Sie haben es geschafft: Roy Lichtensteins Gemälde „We rose up slowly“ (Ausschnitt) von 1964. Foto: (c) Estate of Roy Lichtenstein/MMK FfM

Derzeit pilgern die Massen nach Wien zur Ausstellung von Roy Lichtenstein, der Comics, Werbung und Hollywoodkitsch auf die Leinwand brachte. Aber warum ist Pop-Art Kult?

Er wusste, was den Menschen glücklich macht: eine Wanne mit Heißwasser, Badeschaum, Schwamm – und dann abtauchen im wohlig warmen Nass. Aber wenn 1963 jemand in die heimische Badewanne stieg, war das mehr als entspannend. Ein eigenes Bad war noch immer ein Privileg – und so, wie einem diese junge Frau nun aus dem Schaumbad entgegenlächelt, steckt darin auch ein Gutmaß Prahlerei des neuen Wohlstandsbürgertums.

 

Heute schert es kaum noch jemanden, Roy Lichtenstein staunte dagegen nicht schlecht, wie die Konsumversprechen der Werbung zunehmend den Alltag eroberten – und wie willig die Menschen dieser Vorstellung eines rundum perfekten Wohlstands nacheiferten. So malte er, was diese neue Konsumgesellschaft liebte: Kuchen mit Erdnussbutter, Toast mit Marmelade, neue Anzüge und immer wieder glückliche Paare. Und das alles herrlich bunt und plakativ.

Wer die ersten Bilder des No-Names kaufte, musste es nicht bereuen

Deshalb wird die neue Sonderausstellung zu Roy Lichtenstein der Albertina in Wien sicher beste Besucherzahlen bescheren. Denn seine poppigen Motive kursieren auch heute noch auf T-Shirts, Uhren oder Kaffeetassen. Die Zeitgenossen waren dagegen nicht alle begeistert von den knalligen Farben und Punkten auf den Bildern, die den Eindruck erwecken, als wären Comics oder Zeitungsanzeigen stark vergrößert worden. Plagiat, schimpften die einen, als Lichtenstein 1962 in einer Galerie in New York ausstellte. Eine Unverschämtheit, meinten andere, die diese schlichten Werbemotive für eine Beleidigung des hehren Kunstbetriebs hielten.

Bilder erzielen bis zu 40 Millionen Euro

Trotzdem wurden sofort sämtliche Bilder verkauft – und die Käufer mussten ihre Risikobereitschaft nicht bereuen. Denn heute wechseln Lichtensteins Bilder schon mal für dreißig, vierzig Millionen Euro ihre Eigentümer und hängen in den größten Museen der Welt. Und aus diesen hat die Albertina nun allerhand Hochkarätiges ausgeliehen, das nicht nur Touristen in Scharen, sondern auch erstaunlich viele junge Leute anzieht. Die allerdings fotografieren sich lieber selbst vor den Bildern statt diese anzuschauen.

Als Kind hielt Lichtenstein stereotype Blondinen für schön

Aber die plakativen Motive lassen sich ja auch durchaus auf einen schnellen Blick erfassen: die Rolle Nähgarn oder das überdimensionierte Schulheft, das perfekt die Welt des köstlichen Oberflächenreizes verkörpert, weil es schön anzuschauen, aber ohne jeden Inhalt und Sinn ist. Oder die langweiligen Blondinen – jung, hübsch, austauschbar. „Als ich ein Kind war, hielt ich sie tatsächlich für große Schönheiten“, hat Lichtenstein einmal erzählt – und genau das macht seine scheinbar harmlosen Szenen eben doch interessant. Denn wenn Lichtenstein kitschige Hollywoodszenen vergrößert, haut er einem die klischierten Rollenbilder und Stereotype, die Film und Werbung reproduzieren, förmlich um die Ohren. Hier die liebende Frau, dort der Held und Herzensbrecher, der die Dame nach einem sentimentalen Abschied zurücklässt und in die weite Welt aufbricht.

Entgegen der Vorstellungen im Olymp

Schluss mit einer individuellen Künstlerhandschrift

Roy Lichtenstein wäre es nicht recht gewesen, wenn jemand aus seinen Bildern allzu viel Bedeutung herausliest, schließlich wollte er nichts mehr zu tun haben mit der Vorstellung, das Kunst bedeutsam und hehr zu sein hat. Ein Rebell war er eigentlich nicht. Geboren wurde er 1923 in New York als Kind deutsch-jüdischer Eltern, wurde Lehrer und lebte mit seiner Familie in Cleveland. Er wollte der idealisierten Vorstellung von Kunst eine Absage erteilen und suchte möglichst banale, alltägliche Motive, die er in Werbung und Comics fand. Während sich andere Künstler für ihre besondere Handschrift feiern ließen, sollten seine Bilder so glatt wirken, als kämen sie direkt aus der Druckerpresse.

Ironie des Schicksals: Heute hängt die Pop-Art selbst bejubelt im heiligen Olymp der Kunst. Lichtenstein wurde von heute auf morgen bekannt und stellte schon bald Assistenten an, die für ihn die Punkte durch Schablonen aufs Bild brachten. Aber eine Kunst, die nichts anderes will, als den vorausgegangenen Kunstbegriff zu konterkarieren, führt letztlich in eine Sackgasse, und Lichtenstein begann auf der Stelle zu treten. Er versuchte gegenzusteuern und übersetzte Werke etwa von Picasso in seine Bildsprache, er probierte sich in Landschaftsbildern und malte Motive aus Wohnprospekten ab. Die Rasterpunkte aber verkamen dabei zunehmend zum Selbstzweck, weshalb die Ergebnisse der späten Jahre heute tatsächlich so wirken, wie der Künstler es ursprünglich intendiert hatte: banal und dekorativ.

Mickey Mouse im Museum

Provokation
Vor allem die Comicfiguren mit Sprechblasen machten Roy Lichtenstein bekannt. So trifft man in der Albertina auch Mickey Mouse und Popeye, mit denen der Maler provozieren wollte, die eigene Vorstellung von Kunst zu hinterfragen.

Ausstellung
bis 14. Juli, geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag 10 bis 21 Uhr. adr