Ein Tanz über Angst und Mut Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Stell dir vor, die Welt wäre eins: Die 21. Nacht der Lieder ist wieder ein Gesamtkunstwerk und wird zur Hommage an den verstorbenen Musiker Jens-Peter Abele.

Die Geschichte dieses Abends beginnt mit dem Ende. Kurz bevor bei der 21. Nacht der Lieder im Theaterhaus der Vorhang fällt, tritt Joe Bauer, der langjährige Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten, Erfinder und bis heute Gestalter der Benefizshow, auf die Bühne und sagt Unfassbares. Musiker, Produzent, Bandleader Jens-Peter Abele ist am Montag im Alter von nur 54 Jahren unerwartet gestorben. Wie stets wäre er dabei gewesen, als treuer Freund der ersten Stunde, wäre für Gotteslohn mit seiner Showband aufgetreten, wie stets hätte dieser freundliche, zugewandte Mensch mit einem Lächeln Gitarre gespielt und andere scheinen lassen.

Gruß aus dem Himmel

Joe Bauer würdigt ihn. „Jens beseelt den Geist unserer Show. Es wäre sein unbedingter Wille gewesen, dass wir unser Miteinander hier fortsetzen.“ Er könne seine Stimme hören: „I’m in Heaven, macht ohne mich weiter. Unsere Musik und unsere Liebe zu ihr wird nie sterben.“ Die Künstler und das Publikum singen zusammen „Imagine“.

Die Zeilen von Sänger John Lennon, „stell dir vor, alle Menschen teilen sich die Welt“ könnten auch für die Ziele der Aktion Weihnachten unserer Zeitung stehen. Jenen zu helfen, denen es nicht gut geht, ist der Antrieb. Unsere Leser spenden dafür seit Jahrzehnten. Zum 21. Mal stehen dafür viele verschiedene Künstler ohne Gage auf der Bühne. Für ein Programm, vielfältig wie die Stadt, eine Revue von Nummern, die eigentlich nicht zusammenpassen und sich doch immer wieder bestens ergänzen. So lautet auch das Motto folgerichtig „ein Abend der Begegnung“.

Endlich singen dürfen

Das beginnt schon damit, dass Bauer beim Flanieren durch die Stadt eine Demo der iranischen Gemeinde auffiel, er stehen blieb, einer Sängerin zuhörte und sie spontan zur Nacht der Lieder einlud. Paria Tavakoli. „Ich bin im Iran aufgewachsen“, erzählt sie, „dort ist es Frauen verboten zu singen.“ Doch der Musik gehörte ihre Liebe. Also ging sie Umwege, arbeitete als Konzertmeisterin des nationalen Orchesters in Isfahan. Ehe sie 2018 nach Deutschland kam, „um in einem freien Land in Freiheit zu singen“. So wie auf der Bühne des Theaterhauses.

Auch die Tänzerinnen  und Tänzer der Salamaleque Dance Company und der Dancers Across Borders sind einen weiten Weg gegangen. Geflüchtet vor Unterdrückung, Krieg, Hunger und Armut nutzen sie den Tanz, um von ihren Leben, ihren Träumen, den verlorenen und den neuen, ihrem Mut und ihrer Angst zu erzählen.

La dolce Vita in der Sparbüchse

Das klingt erdenschwer, doch gelingt es diesem Abend, die Balance zu halten zwischen Verlust und Aufbruch, zwischen Nachdenklichkeit und Leichtigkeit. Was auch an den Moderatoren liegt: Patricia Moresco und Helge Thun. Moresco, „Italienerin mit schwäbischem Migrationshintergrund“ oder „La dolce Vita in der Sparbüchse“, kennt ihre Pappenheimer, „für uns Schwaben ist mit der Abstandsregel ein Traum in Erfüllung gegangen“. Auch Thun hat Positives mitgenommen aus der Pandemie. Er liebte Konzerte im Autokino, seit Lichthupe für ihn Beifall bedeutet, fahre er entspannt mit 80 über die linke Spur auf der Autobahn „und bade im Applaus“.

Ein Lied für Wolle Kriwanek

Applaus, Applaus. Damit sparen die Schwaben nicht. Ganz altmodisch. Indem sie klatschen und jubeln. Für Russudan Meipariani und Thorsten Puttenat, die georgischen Folk und Elektro verbinden; für die acht Cellisten von 8 Celli, für das Pop- und Jazzduo Linda Kyei und Andrew Zbik, Mazen Mohsen, Wajed Alhafyan, Fedaa Safaya und Natalia Chloé, die arabische Musik und Flamenco verknüpfen, für die Jazzer Ekkehard Rössle und Meike Boltersdorf, für Bariton Jorge Ruvalcaba und Pianistin Rita Kaufmann. Und für die Stammgäste: Die Füenf sind immer noch auf Abschiedstournee – und wollen erreichen, dass jeder weiß, dass „mir im Süden die hochwertigeren Kraftfahrzeuge herstellen“. Und sie erinnern an den schwäbischen Liedermacher Wolle Kriwanek, „Guggug, i han a Ufo g’seh“.

Ein Licht in dunkler Zeit

Zum Schluss kommt „Imagine“. Geleitet von Patrick Bopp von den Füenf am Flügel: „Singt für Jens und für die, die in dunklen Zeiten ein Licht brauchen.“ Und alle singen. Ein Ende, das ein Anfang ist.