Rottweiler Iwan ist mittlerweile prominent. Die Attrappe soll Radfahrer abschrecken, die illegal auf dem Gehweg fahren. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Der Plastikhund „Iwan“, der in Esslingen Radfahrer vom Gehweg verscheuchen soll, hat es deutschlandweit in die Schlagzeilen geschafft. So sind die Reaktionen.

Wer als Fahrradfahrer in Esslingen auf dem Bürgersteig unterwegs ist, könnte es mit „Iwan dem Erschreckenden“ zu tun bekommen. Der Plastikhund mahnt an der Maille-Kreuzung mit Gekläffe aus dem Lautsprecher zur Einhaltung der Verkehrsregeln. Für die Radler heißt das: absteigen und schieben oder auf der Straße weiterfahren. Seitdem unsere Zeitung Ende September über die Attrappe berichtete, kann sich Initiator Werner Bolzhauser vom Verein Kultur am Rande vor Anfragen nicht mehr retten.

Zuerst hatte der Südwestrundfunk zwei Radiobeiträge über den Hund gesendet, dann auch die Landesschau und ein regionaler Fernsehsender. Seit die Deutsche Presseagentur über den Protest-Rottweiler geschrieben hat, taucht er bundesweit in den Medien auf, von tagesschau.de bis zu „Focus“, „Welt“ oder der „Süddeutschen Zeitung“. In dieser Woche war RTL mit einem Kamerateam vor Ort. „Jetzt fehlen eigentlich nur noch CNN und BBC“, witzelt Bolzhauser. Der Berliner Sender RBB widmete Iwan sogar eine eigene Kolumne, die das Esslinger Vorbild bis zu den Klimaaktivisten weiterspinnt: „Die Letzte Generation könnte doch auf die Idee kommen, sich nicht mehr selbst anzukleben, sondern den Hund des Nachbarn“, schreibt der Autor. Bolzhauser erzählt, dass sich auch einige Privatleute bei ihm gemeldet hätten, die ein ähnliches Exemplar gerne in ihrem Garten aufstellen würden, vor allem um Eindringlinge oder andere Hunde zu verscheuchen.

Nachhaltige Mobilität soll Thema im Kommunalwahlkampf werden

Was aber zunächst ausblieb, war die erhoffte Reaktion aus dem Rathaus oder von Mitgliedern des Gemeinderats. Denn der 74-Jährige, früher selbst passionierter Radfahrer, kritisiert mit der Aktion auch die fehlende Radinfrastruktur in Esslingen. Vor allem im Hinblick auf die Kommunalwahl im nächsten Jahr möchten Bolzhauser und seine Mitstreiter aufrütteln und das Thema auf die Agenda heben.

Stadt möchte für Rücksichtnahme sensibilisieren

Auf Presseanfrage reagiert die Stadt: „In den kommenden Wochen planen wir, unsere Bürgerinnen und Bürger für eine gegenseitige Rücksichtnahme zu sensibilisieren und für beidseitiges Verständnis zu werben“, teilt Teresa Engel, Leiterin der Stabsstelle Mobilität, mit. Parallel soll es in diesem Jahr eine Bestandsaufnahme des Esslinger Radverkehrsnetzes geben. Im kommenden Jahr werde mit den Planungen für das Nahmobilitätskonzept gestartet, bei dem verschiedenen Akteure beteiligt werden. „Grundsätzlich arbeiten wir kontinuierlich daran, die Infrastruktur für umweltfreundliche Mobilität in Esslingen zu stärken – trotz des oft begrenzten Raums“, betont Engel.

Rottweiler soll Zuwachs bekommen

Werner Bolzhauser möchte derweil nachlegen und einen weiteren, größeren Rottweiler anschaffen, den ein Bildhauer gestalten soll. Mit dem möchte der 74-Jährige dann vor das Esslinger Rathaus ziehen und demonstrieren, während sich drinnen der Mobilitätsausschuss mit Verkehrsfragen beschäftigt.

Es gibt aber auch Kritik an dem Plastik-Vierbeiner. Vor allem Besitzer von Rottweilerhunden beschweren sich. Die Aktion rücke die Rasse in ein falsches Licht und befeuere Vorurteile, fasst Bolzhauser deren Einwände zusammen. Die Reaktionen von Radfahrern seien dagegen moderat. „Es gibt natürlich sehr viele Ignoranten“, berichtet der Kulturschaffende, die würden unbeirrt weiterradeln auf dem Gehweg. Mit manchen aber könne man ins Gespräch kommen, der ein oder andere Radfahrer steige sogar ab.

„Iwan“ schreitet vor dem Vereinsdomizil Alte Spinnerei übrigens nicht von allein zur Tat. Während ein Mitglied von Kultur am Rande nach Radfahrern späht, löst ein weiterer die lauten Bellgeräusche aus einer tragbaren Box aus, sobald der Betreffende auf zehn Meter herangekommen ist. Der Abstand soll verhindern, dass jemand vor Schreck auf die Straße falle, so Bolzhauser. Auch auf dem Boden verteilte Zettel mit der Aufschrift „Nur für Fußgänger“ sollen eine frühzeitige Warnung sein. Das scheint zu klappen. Unfälle habe es bislang nicht gegeben, teilt die Stadt mit, auch würden keine Beschwerden über diese Aktion vorliegen.

Mit einen Protest-Boot bis nach Bonn

Für Werner Bolzhauser ist es nicht das erste Projekt, das deutschlandweit derart viel Resonanz in den Medien ausgelöst hat. 1991 habe er mit Vereinskollegen, darunter auch ein arbeitsloser Schiffsbauer, ein gut elf Meter langes Boot selbst gebaut, erzählt er. Mit dem ist die Crew dann von Esslingen bis nach Bonn, dem damaligen Regierungssitz, geschippert. Die mehrtägige Reise wurde von Kamerateams begleitet. Mit an Deck war ein rund vier Meter hoher Rucksack aus Glasfaser. Mit dieser Aktion wollte die Gruppe auf die prekäre Situation von Wohnungs- und Arbeitslosen aufmerksam machen – ein Problem, das auch heute noch mindestens so aktuell ist wie die nachhaltige Verkehrswende, der Iwans Gebell Gehör verschaffen soll.

Lücke im Fahrradnetz

Lücke im Radnetz
Thomas Albrecht vom Fahrradclub ADFC in Esslingen kann Fahrradfahrer, die an der Maille-Kreuzung den Gehweg nutzen, grundsätzlich verstehen, „die Straße daneben ist so ungemütlich und gefährlich“, sagt er. Die Stelle sei eine typische Lücke im Fahrradnetz der Stadt. Prinzipiell fehlt es jedoch nicht an Plänen für eine Verbesserung der Infrastruktur, sondern an der Umsetzung, so Albrecht. „Immer wenn es darum geht, dass man tatsächlich Platz schafft“, herrsche im Gemeinderat die Angst davor, den Autoverkehr zu Gunsten der Fahrradfahrer einzuschränken.

Wenig Rücksichtnahme
Holger Bach vom ADAC Württemberg verweist auf eine aktuelle Umfrage des Automobilclubs zu störendem Verhalten im Straßenverkehr. Danach würden sich 68 Prozent der Befragten durch Radfahrer gestört fühlen, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten. Nur ein Viertel spreche von gegenseitiger Rücksichtnahme.