Die Aktion mit den Pylonen (Bilder oben) macht deutlich, wann es im Rad-Alltag brenzlig wird. Falschparker in der Theo (unten) lösen jedoch Gefahrensituationen aus. Foto: Haar

Zugestellte Radwege, frech grinsende Fahrer: Stuttgarter Rad-Aktivisten prangern die Mentalität von Autofahrern an und fordern nun rigorose Abschleppaktionen.

Stuttgart - Die Büßermiene ist echt. Der Paketfahrer empfindet echte Reue, weil er mit seinem Sprinter minutenlang in der Wilhelmstraße auf einem Radweg geparkt hat, um seine Waren auszuliefern. Also zieht er seine Schultern hoch bis zu den Ohren und sagt kleinlaut: „Tschuldigung, aber wo soll ich hin?“ Ein Fahrer eines anderen Unternehmens, der auf der gegenüber liegenden Straßenseite ebenso gegen die Straßenverkehrsordnung verstößt, ist weniger schuldbewusst. Er grinst nur frech, winkt ab und sagt, als er zu seinem Wagen zurückkehrt: „Es waren nur zwei Minuten, reg’ dich ab.“

Für die Radfahrer macht es keinen Unterschied. Ob der Autofahrer Reue zeigt oder einfach dreist die Rechte und den Raum des anderen Verkehrsteilnehmer verletzt. Die Folge ist dieselbe: Für die City-Radler wird es in so einem Fall richtig brenzlig. Denn sie müssen noch weiter auf die Straßenmitte, um das parkende Auto zu umfahren. „Auf der Theo, wo das oft vorkommt, kann es so zu lebensgefährlichen Situationen führen“, sagt Susanne Keller, „so werden unnötig Gefahren geschaffen, die vielen Falschparkenden gar nicht bewusst sind.“

Gummibärchen für Autofahrer

Um auf diese Gefahren nebst der Rücksichtslosigkeit mancher Autofahrer hinzuweisen, hat Susanne Keller zusammen mit den Mitstreitern für den Radentscheid (www.radentscheid-stuttgart.de) eine Aktion gestartet. Am Montagmittag haben sie um die Falschparker an der Wilhelmstraße herum Pylonen aufgestellt, die einen Korridor für Radfahrer bildeten, der um das Hindernis herum führte. Dadurch hatten sie einen (Rad-)Weg, und die Autos mussten auf die Gegenfahrbahn ausweichen. Oder im Falle von Gegenverkehr anhalten.

Das schmeckte freilich vielen Autofahrern nicht. Doch da es den Aktivisten weniger auf Konfrontation als vielmehr auf Sensibilisierung ankam, verteilten sie an die wartenden Automobilisten Gummibärchen. Ein Radfahrer, der die Aktion begrüßte, reagierte jedoch weniger süß: „Stellen Sie sich mal vor, wenn alle Radfahrer ihr Gefährt einfach auf der Straße parkten, dann gäbe es Chaos oder einen Volksaufstand.“ Der Radler fordert daher einen schnelleren und besseren Ausbau der Radinfrastruktur in der Stadt.

Damit hat er sich bewusst oder unbewusst mit den Zielen der RadentscheidAktivisten identifiziert. „In der Stadt gibt es so gut wie keine reinen Radwege oder eine sichere Radinfrastruktur“, sagt Susanne Keller, „daher haben sich Bürger zusammengeschlossen und wollen mit dem Radentscheid Stuttgart ein Bürgerbegehren umsetzen.“

Bisher haben 13 000 Stuttgarter unterschrieben. Bis zum Stichtag am 7. November soll die Zielmarke von 20 000 Unterschriften erreicht sein. Die Forderung lautet: „Alle Menschen in Stuttgart sollen die Möglichkeit haben, sicher, zügig und ohne Angst ihre Wege in Stuttgart mit dem Fahrrad zurückzulegen. Dazu braucht es eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik und vor allem mehr gute Radwege und sicher gestaltete Straßen und Kreuzungen.“

Berlin dient als Vorbild

Als Vorbild dient den Aktivisten Berlin. Das dortige (erfolgreiche) Bürgerbegehren führte dazu, dass der Berliner Senat die Forderungen der Radfahrer in ein neues Mobilitätsgesetz goss.

Bis es in Stuttgart soweit ist, will Susanne Keller nicht warten. Sie hat aktuelle Forderungen: „Polizei und Ordnungsamt drücken oft ein Auge zu. Falschparker sollten schneller abgeschleppt werden.“ Wie das gehen könne, zeige die Stadtverwaltung von Wiesbaden: „Dort hat der Verkehrsdezernent angekündigt, künftig schneller abschleppen zu lassen. Das wäre auch in Stuttgart möglich.“