Im Eninger Hospiz ist der Frust groß, weil die Vermittlung eines Arztes für die Leichenschau oft stundenlang nicht möglich ist. Das neue Callcenter der Kassenärztlichen Vereinigung ist überlaufen.
Eningen - Das Sterben gehört im Hospiz zum Alltag, das stundenlange Hingehaltenwerden, um am Wochenende einen Arzt für die Leichenschau anzufordern, neuerdings auch. Andreas Herpich, Leiter des Hauses Veronika in Eningen unter Achalm, ist genervt. „Das Problem mit den Computerwarteschleifen hat letzten Sommer angefangen, für meine Kollegen war es eine Katastrophe“, erzählt der Mann mit der Aura eines Buddhisten. Er ist selten aus der Ruhe zu bringen, doch der Ärger mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst macht ihn fassungslos. „Plötzlich war von einem Tag auf den anderen die Leitstelle des Deutschen Roten Kreuzes nicht mehr für uns zuständig, und keiner hat uns das gesagt.“
Lesen Sie aus unserem Angebot: Lange Wartezeiten bei der 116 117
Jahrelang habe er sich ans DRK gewandt, um einen Mediziner für die Untersuchung eines Verstorbenen ins Haus geschickt zu bekommen. „Dann sollten wir die 116 117 wählen“, sagt Herpich, die Nummer des Notdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Sie vermittelt abends und an Wochenenden, wenn die Hausärzte zu haben, medizinische Hilfe. Dann kommt der Bereitschaftsarzt vorbei. Für lebensbedrohliche Fälle ist die Nummer nicht gedacht, dafür gibt es die 112 und den Rettungswagen.
„Wir haben oft halbe Tage lang niemanden erreicht“, sagt der Hospizleiter, „es kann doch nicht sein, dass die Mitarbeiter am Telefon hängen und sich nicht um die Angehörigen eines Verstorbenen kümmern können“, kommentiert Herpich die schlechte Erreichbarkeit des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Noch schlimmer sei es für Anrufer, die in einer Notlage auf einen Arzt angewiesen sind, sagt Herpich. „Es ist unzumutbar, dass Menschen mit einem dringenden medizinischen Problem so lange warten müssen.“
Erkrankte Anrufer oder Angehörige kommen nicht durch
Nicht nur in Eningen ist der Frust über die Hotline groß. Erkrankte Anrufer aus ganz Baden-Württemberg, aber auch Altenheime kommen bei der 116 117 nicht schnell genug durch. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) weiß um die Schwierigkeiten und bessert nach.
Der KVBW-Pressesprecher Kai Sonntag klärt auf, wie es zu den Staus in der Hotline kommt. Wo früher im Südwesten die integrierten Leitstellen des Deutschen Roten Kreuzes abends und an den Wochenenden in dringenden medizinischen Fällen die Bereitschaftsärzte losgeschickt haben, übernimmt das mittlerweile ein neu aufgebautes Callcenter der KVBW. An zwei Standorten, in Bruchsal und Mannheim, säße das „medizinisch geschulte Personal“. Seit April 2021 laufe die Umstellung auf das Callcenter, die Verträge mit dem Deutschen Roten Kreuz wurden beendet, der Prozess sei zu 70 Prozent bereits abgewickelt worden. Ein Engpass sei ganz klar beim Personal, sagt Sonntag. Der Ansturm auf die Notfallnummer war in Zeiten von Corona „explosiv“.
Nicht aus eigener Initiative sei die Umstellung erfolgt, betont Sonntag. Der Gesetzgeber habe der 116 117-Hotline neue Aufgaben zugewiesen, sie sind nachzulesen im Terminservice- und Versorgungsgesetz. Seit Januar 2020 können sich unter der bundesweit einheitlichen Nummer Anrufer theoretisch rund um die Uhr Termine bei Haus-, Kinder- oder Fachärzten sowie Psychotherapeuten geben lassen. „Die 116 117 soll zum zentralen Vermittlungsportal werden“, sagt Sonntag, „die Rettungsleitstellen hätten das nicht leisten können.“
Lesen Sie aus unserem Angebot: Höhere Sterblichkeit wegen Corona
Die Abkehr vom bisherigen System hält Markus Wenzel, der Chef der integrierten Leitstelle für Ulm und den Alb-Donau-Kreis, für den falschen Weg. Zum November 2021 sei in Ulm der Ausstieg erfolgt. „Es gab vor allem am Anfang viele Reibungsverluste und wahnsinnig lange Wartezeiten“, kritisiert er. Letztere seien bis heute noch immer zu lang. Viele Anrufer würden dann auflegen und die 112 wählen. „Das schafft das nächste Problem, dann ist die Notrufnummer wegen Bagatellfällen belegt.“ Der große Vorteil war bisher, „dass es eine zentrale Stelle gab, wo alles auf einmal abgefragt wird“. Bisher hätten Anrufer maximal zwei Minuten gewartet.
Negative Rückmeldungen hat Wenzel auch von Bereitschaftsärzten erhalten. Die hätten sich über die schlechte Kommunikation mit dem Callcenter beschwert und seien ebenfalls oft nicht durchgekommen.
Regelmäßig an ihre Grenzen stoßen auch die Mitarbeiter des KV-Callcenters. Die gesetzlich vorgeschriebene Terminvergabe abends oder an Wochenenden sei nicht leistbar, sagt Sonntag. Man habe es aber geschafft, die Wartezeit im sprachcomputergesteuerten System „auf maximal sechs Minuten“ zu reduzieren. „Das war zumindest vergangene Woche so“, so Sonntag. Ein abendlicher Testanruf zeigt, dass das Problem nicht behoben ist. Erst nach zehn Minuten und etlichen Warteschleifenansagen hebt jemand ab. „Es tut uns leid“, sagt die Frau am anderen Ende „wir kommen kaum hinterher“.