So fing alles an: Eis-Pionier Giulio Bertazzoni (re.) kontrolliert die Speiseeisproduktion. Klicken Sie sich durch Bilder von damals und heute. Foto: Privat

110 Jahre Speiseeis: Generationen von Esslingern sind mit Bertazzoni-Eis aufgewachsen.

Esslingen/Stuttgart - Generationen von Esslingern sind mit Bertazzoni-Eis aufgewachsen: Seit fast 110 Jahren stellt die Familie "Speiseeis nach italienischer Art" her und besitzt das vermutlich älteste Eiscafé in Baden-Württemberg. Der Familienbetrieb wird in der dritten Generation geführt. Die vierte Generation folgt der Tradition.

"Eismachen ist eine Wissenschaft", verrät der 65-jährige Mario Bertazzoni. Eine Wissenschaft, die er von der Pike auf gelernt hat. Denn wie sein Großvater und sein Vater, die beide Giulio hießen, haben er und sein Bruder Dino sich dem Eismachen verschrieben. Sie führen mit ihren Ehefrauen Roswitha und Eugenia die beiden Esslinger Eiscafés im Stammhaus in der Pliensauer Straße sowie in der Bahnhofstraße. "Die Männer sind für die Produktion, die Frauen für die Geschäfte verantwortlich", beschreibt Mario Bertazzoni die Arbeitsteilung in dem Familienunternehmen.

Sein Neffe Marco arbeitet ebenfalls im Betrieb mit und soll die "Eisdynastie" irgendwann weiterführen.

Eisblöcke in Eiskellern

Angefangen hatte alles im 19. Jahrhundert. Der 1869 in der Poebene geborene Giulio Bertazzoni hatte während seiner Militärzeit gelernt, wie Speiseeis hergestellt wird. 1896 verschlug es ihn dann nach Esslingen, wo er als Gastarbeiter auf dem Bau arbeitete. Dort wollte er einige Jahre Geld verdienen und dann in seine Heimat zurückkehren. Doch alles kam ganz anders, als er sich in eine Schwäbin verliebte.

Giulio beschloss, in Esslingen zu bleiben, und baute sich dort eine neue Existenz auf. Zunächst handelte er mit Südfrüchten. Zudem ließ er seine Kenntnisse aus der Militärzeit wieder aufleben und verkaufte ab 1901 in der Pliensauer Straße nebenbei selbst hergestelltes Eis. Mit den Sorten Vanille, Schokolade, Erdbeere und Zitrone ging es anno dazumal los. Echte Klassiker, die sich noch heute einer großen Beliebtheit bei den Kunden erfreuen.

Die Eisherstellung war zunächst sehr mühsam. Nur mit Hilfe großer Eisblöcke, die in Eiskellern gelagert wurden, gelang es, die kalte Süßspeise herzustellen.

Um 1907/1908 investierte der Italiener in seine erste elektrisch angetriebene Eismaschine. Stolz ließ er das damals hochmoderne, aber noch recht raumfüllende Gerät fotografieren.

Der Renner der Saison

Zu Beginn fremdelten die Schwaben noch mit der südländischen kalten Neuheit zwischen zwei Waffeln, die dem sogenannten Sandwich-Eis vergleichbar war. "Die Leute wussten nicht so recht, was sie damit anfangen sollten", erzählt Mario Bertazzoni. Es hätten sich anfangs sogar Kunden Eis aufs Brot geschmiert. Doch diese Startschwierigkeiten konnten den Siegeszug des Speiseeises nach italienischer Art in der Region nicht aufhalten.

Immer wieder nahm die Familie Bertazzoni im Laufe der Zeit neue Herausforderungen an: Während des Kriegs wurden die Zutaten fürs Speiseeis knapp. Einige Zeit später erwiesen sich die Amerikaner in den Kasernen als gute Kunden. 1971 ging der Betrieb des Straßencafés los, und die Konkurrenz nahm im Laufe der Jahre enorm zu, und mit ihr kamen immer mehr Eissorten auf den Markt.

Etwa 50 Geschmacksrichtungen sind inzwischen im Angebot.

Der Renner der Saison

Bei allen Veränderungen bleibt die Familie einer Sache treu: den traditionellen Rezepten mit natürlichen Zutaten. "Die habe ich alle im Kopf", sagt Mario Bertazzoni und tippt sich dabei mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Alle Rezepte sind streng geheim und bleiben in der Familie. Einige habe man ein wenig verfeinert. Zum Beispiel liefern Vanilleschoten aus Haiti mittlerweile das Aroma fürs Vanilleeis. Keine Chance hätten bei ihm allerdings Chemie und Geschmacksverstärker, sagt der "italienische Schwabe": Das Bananeneis werde noch immer mit Bananen und das Erdbeereis mit Erdbeeren gemacht. Der Grund liegt fast auf der Hand: "Die ganze Familie bis zu den Enkelkindern isst gerne Eis, deshalb muss es gut sein und sauber gemacht werden", erklärt Bertazzoni.

Bei den Schwaben besonders beliebt sind immer noch die Klassiker Vanille, Schokolade, Zitrone, Erdbeere, "Pinguin" (Stracciatella) und Haselnuss. Die Geschmacksrichtungen Joghurt und "gebrannte Mandeln" sind bei den Bertazzonis der Renner in dieser Saison.

Auch bei anderen Eisdielen gehen die klassischen Geschmacksrichtungen übrigens sehr gut, wie Inan Kösker, Betriebsleiter der Santin-Eiscafés in Stuttgart und Esslingen, bestätigt. Aktuell besonders häufig über die Theke gehen Becher und Waffeltüten mit Kugeln der Geschmacksrichtungen Zartbitterschokolade-Kokos und Galak (weiße Schokolade) in den insgesamt neun Santin-Verkaufsstellen. Zudem erfreuen sich die Sorten Cookies und Ferrero Rocher in den Santin-Eiscafés großer Beliebtheit, sagt Kösker.

Mit dem Saisonstart sind beide Eiscafé-Chefs allerdings überhaupt nicht glücklich. "Unser Riesenproblem ist die Sonne", sagt Bertazzoni. Denn nur bei gutem, warmem Wetter haben besonders viele Menschen Heißhunger auf Eis. Also: Der Sommer soll kommen.