Gemütlich ist es in der Leseecke des Jugendbereichs der Bücherei Waiblingen. Ute Bräuninger-Thaler hatte aber wenig Gelegenheit, das Sofa zu nutzen. Foto: Gottfried Stoppel

Ute Bräuninger-Thaler war fast 40 Jahre lang Leiterin der Bücherei Waiblingen. Diese hat sich sehr gewandelt und nach und nach die Räume einer Drogerie, einer Karaokebar, einer Bank und sogar einer Kegelbahn erobert.

Mehr Platz – dazu hat Ute Bräuninger-Thaler nie Nein gesagt. Und so hat sich die Stadtbücherei Waiblingen unter ihrer 36 Jahre dauernden Leitung immer mehr Flächen im zentral gelegenen Marktdreieck erobert. Die Räume einer Textilreinigung und die der Pleite gegangenen Drogerie Schlecker sind heute ebenso Teil der Bibliothek wie eine Ex-Karaokebar und eine ehemalige Kegelbahn, die inzwischen als Seminarraum dient. Nachdem eine Bank ihre Filiale im Gebäude aufgegeben hatte, nutzte das Büchereiteam den Schalterbereich als Verbuchungstheke: Nun wurden eben Bücher statt Bargeld ausgegeben. Geld für eine aufwendige Umgestaltung war eigentlich nie da. „Wir haben halt versucht, was draus zu machen“, sagt Ute Bräuninger-Thaler: „Der Bauhof hat uns immer toll unterstützt.“

 

Schon als Teenie las sie Grass, Sartre und Böll

1987 hat Ute Bräuninger-Thaler ihre Stelle in Waiblingen angetreten, nach einer knapp fünf Jahre dauernden Tätigkeit in Kornwestheim, wo sie mit 23 Jahren nach dem Studium als stellvertretende Leiterin der Bücherei ins Berufsleben gestartet war. Die Eltern hatten sich die Tochter eigentlich als Bankangestellte oder Erzieherin vorgestellt. Doch Ute Bräuninger-Thalers Herz hat seit Kindesbeinen für Bücher und jene Orte geschlagen, an denen man den Lesestoff günstig bekommen kann. Schon als Teenie hatte sich die gebürtige Hohenloherin durch die komplette Kinder- und Jugendabteilung der Bücherei in Öhringen gelesen. Ein Glück, dass die Bibliothekarin dort ein Auge zudrückte, wenn die junge Ute sich nun Sartre, Böll und Grass auslieh.

Ihr Studium mit den Schwerpunkten Kinder- und Jugendbibliothek und Literaturwissenschaften hat Ute Bräuninger-Thaler geliebt und nie bereut. „Mein Herz schlägt für die öffentliche Bücherei“, sagt die 63-Jährige. Diese sei für Bildung, aber auch Unterhaltung da. Wichtig ist der Bibliothekarin auch die soziale Komponente, sprich niedrige Nutzungsgebühren: „Hierher kann jeder kommen und sich versorgen.“

Sie packte Krimi zu Krimi, Liebesroman zu Liebesroman

Vieles hat sich verändert, seit Ute Bräuninger-Thaler in Waiblingen ihre Stelle antrat. Die damals knapp 10 000 Bücher standen von A nach Z geordnet im Regal. Benutzerfreundlich war das nicht gerade – weshalb die junge Bücherei-Leiterin zum Wohle der Leserschaft die althergebrachte Ordnung über den Haufen warf und die Bücher nach Genres sortierte: Krimi zu Krimi, Liebesroman zu Liebesroman, Thriller neben Thriller. Was heute gang und gäbe ist, glich damals einer kleinen Revolution. Die verlief letzten Endes erfolgreich und hatte den Effekt, dass Büchereibesucher besser das Gewünschte fanden. „Nach einem halben Jahr hatten sich alle daran gewöhnt“, sagt Ute Bräuninger-Thaler, die ungefähr zu dieser Zeit auch die ersten Taschenbücher anschaffte.

Spiele und Videos gab es noch nicht, die Zahl der Zeitschriften lag bei gerade mal 20 Stück. Nun sind es 120. Das sehr komplizierte und viel Zeit fressende Ausleihverfahren der Anfangsjahre ist ebenfalls Geschichte. Jeder Nutzer benötigte ein Leseheft, in das die Buchnummern eingetragen wurden. Außerdem mussten Fristzettel im Buch mit dem Datum versehen und Buchkarten gestempelt werden. Als das aufwendige System durch ein frühes EDV-Buchungssystem ersetzt wurde, gab es endlich mehr Spielraum. Die Bücherei war nun auch samstags offen, was gerade bei Familien gut ankam.

Backgammon, Schach und Puzzle: der neue Renner sind die Spieltische

Gleich mehrere EDV-Systeme hat Ute Bräuninger-Thaler in ihrem Berufsleben kommen und gehen sehen. CDs, die einstigen Ausleihschlager, stehen inzwischen überwiegend auf der Nullerliste – das heißt, sie bleiben das ganze Jahr über in den Büchereiregalen und setzen Staub an. Deshalb hat das Büchereiteam gründlich aussortiert und Platz für neue Trends geschaffen.

Jetzt stehen ein Puzzletisch und mehrere Spieltische in der Bücherei, die rege genutzt werden von Stamm-Puzzlern, Schach- und Backgammon-Fans. „Spiele insgesamt laufen wahnsinnig gut, schon seit rund fünf Jahren, nicht erst seit Corona“, berichtet die Bibliotheksleiterin, die deshalb ein sehr großes Regal in der Bücherei dafür reserviert hat: „Hier gibt es die Möglichkeit, ein Spiel vor dem Kauf auch mal auszuprobieren.“ Gleiches gilt für die Gegenstände in der Bibliothek der Dinge, in der seit einigen Jahren E-Book-Reader, ein Laminiergerät oder Bluetooth-Lautsprecher ausgeliehen und getestet werden können.

Papierobjekte von Sibylle Lewitscharoff

Im Jahr 2007 musste die komplette Stadtbücherei Waiblingen in die frühere Karolingerschule umziehen, weil das Marktdreieck saniert wurde. „Wir dachten, es dauert ein dreiviertel Jahr, daraus sind dann 3,5 Jahre geworden“, sagt Ute Bräuninger-Thaler. In den neu renovierten Räumen gab es dann mehr Platz für kleine Ausstellungen, eine zweite Leidenschaft der 63-Jährigen, die später Kulturmanagement studiert hat. Unter anderem zeigte die Bücherei Papierobjekte der kürzlich verstorbenen Autorin Sibylle Lewitscharoff – ein echter Glücksfall, sagt Ute Bräuninger-Thaler. Denn mittlerweile sind diese im Marbacher Literaturmuseum verwahrt und würden sicher nicht mehr an eine Stadtbücherei ausgeliehen.

Die Arbeit in der Bücherei werde ihr fehlen, sagt Ute Bräuninger-Thaler, deren passive Alterszeit im September beginnt. „Man sagt ja, man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge, bei mir sind es eher zwei weinende.“ Andererseits freut sie sich darauf, mit ihrem Mann im Wohnwagen die Lande zu erkunden. Aber etwas Bibliotheksarbeit steht auch künftig an: Für den Leitfaden der Einkaufszentrale der öffentlichen Bibliotheken wird sie Bücher lesen und Besprechungen schreiben.