Es dauert noch eine Weile, bis aus Splittern der Löwenmensch erkennbar wird. Foto: Max Kovalenko

Der Löwenmensch aus der Stadelhöhle auf der Schwäbischen Alb ist eines der ältesten Kunstobjekte der Welt. Restauratoren des Landesamts für Denkmalpflege ergänzen die Elfenbeinstatue derzeit in einer Puzzlearbeit mit 800 Splittern.

Esslingen - 30 Zentimeter hoch ist der Löwenmensch. Vor 35 000 bis 40 000 Jahren hat ihn ein Künstler mit Steinwerkzeugen aus einem Mammut-Stoßzahn gefertigt. Er ist ein Mischwesen mit menschlichem Rumpf und Beinen und dem Kopf und den Armen eines Löwen. „Was wir hier sehen zählt zu den Anfängen der Kunst, und das gleich in solch hervorragender Ausführung“, urteilt Professor Claus-Joachim Kind, Ausgrabungsleiter und Fachbereichsleiter Steinzeit im Landesamt für Denkmalpflege bei der Präsentation der Figur am Mittwoch in der Aula des Landesamts für Denkmalpflege.

Aus den vier Höhlen Stadelhöhle im Hohlenstein, Vogelherd, Geißenklösterle und Hohler Fels auf der Schwäbischen Alb stammen die ältesten Kunstwerke und Musikinstrumente, auf die Archäologen gestoßen sind. Allesamt sind sie aus Elfenbein und zwischen 35 000 und 40 000 Jahre alt. Die Höhlen sind seit 2009 das archäologische Jagdrevier von Claus-Joachim Kind und seinem drei- bis achtköpfigen Team. Dabei haben sich Wissenschaftler den Entdeckungsort des Löwenmenschen in der Stadelhöhle bei Asselfingen am Rand des Lone-Tals vorgenommen. Am letzten Tag seiner Grabung im Jahre 1939 hatte der Tübinger Anatom Robert Wetzel dort 200 Elfenbein-Fragmente entdeckt, aber ihre immense Bedeutung nicht erkannt. Die Fundstücke landeten in einer Zigarrenkiste und wurden nach dem Krieg der Stadt Ulm vermacht.

Erst 1969 entdeckte der Ur- und Frühgeschichtler Joachim Hahn beim Zusammensetzen der Splitter, dass es sich um eine Figur handelte. Weil nicht erkennbar war, ob sie männlich, oder weiblich ist, nannte man sie neutral „Löwenmensch." Mitte der 1970er Jahre fanden Spaziergänger in der Höhle weitere Splitter der Figur, andere wurden bei der Auflösung des Arbeitszimmers von Robert Wetzel an der Universität Tübingen entdeckt. 1987 bis 1988 setzten Restauratoren des Württembergischen Landesmuseums die Figur neu zusammen und ergänzten fehlende Stücke, mit einer wieder ablösbaren Mischung aus Wachs und Kreide.

Herausforderung Löwenmensch

„Ob es sich bei dem Mischwesen aus Mensch und Löwe um einen Schamanen im Löwenkostüm oder um eine Fabelfigur handelt, wissen wir nicht“, sagt Claus-Joachim Kind. Wegen ihm und seinem Team haben die Restauratoren erneut viel Arbeit. Die Archäologen untersuchten den Abraum, den Robert Wetzel 1939 hinterlassen hat: eine rund 15 Quadratmeter große und einen Meter dicke Erdschicht, die buchstäblich gesiebt wurde. Neben steinzeitlichem Schmuck aus Fuchs- und Wolfszähnen stießen sie dort auf weitere Elfenbeinfragmente, manche wenige Millimeter, manche mehrere Zentimeter groß. Die Restauratoren im Landesamt für Denkmalpflege hoffen nun, den gesamten Löwenmenschen zusammensetzen zu können.

Für die Experten im Esslinger Amt ist die Restaurierung hochkarätiger Kunst nichts Neues. Jüngst haben sie der mittelalterlichen Stuppacher Madonna von Matthias Grünewald neuen Glanz verliehen, Doch der Löwenmensch war eine Herausforderung. „Elfenbein muss man verstehen lernen. Wir brauchten dazu eine Expterin“, sagt die Diplom-Restauratorin Nicole Ebinger-Rist. Deshalb haben sie und ihre Kollegin Annette Lerch für die Puzzlearbeit die Mammut-Elfenbein-Spezialistin Sibylle Wolf gewonnen. Erst hat das Trio die Figur und die Fragmente im Computertomographen gemessen. Anschließend lösten die Restauratorinnen die Ergänzungen aus Wachs und Kreide der vergangenen Restaurierung und nahmen die Figur komplett auseinander. Jetzt stehen sie vor einem Puzzle aus 800 Teilen. Die moderne Computertechnik können sie dabei kaum nutzen: „Berechnungen zur Passgenauigkeit in der Dreidimensionalität würden so große Datenmengen erfordern, dass wir ein Rechenzentrum bräuchten“, sagt Nicole Ebinger-Rist.

Bis November müssen die Restauratoren mit ihrem Werk fertig sein. Ab Mitte November bis Juni 2014 wird die Figur in der Sonderausstellung „Die Rückkehr des Löwenmenschen“ im Ulmer Stadtmuseum erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei wird auch ein Film gezeigt, der die mühevolle Kleinarbeit Arbeit der Archäologen und Restauratoren dokumentiert.