„Die Scheenschde“ bei der Wasenpirsch im Schwabenbräu-Zelt Foto: /Sascha Feuster

Beim Volksfest trifft sich die kostümierte Vielfalt des Volkes. Ein Rundgang zwischen der Wasenpirsch, einem Treff von Stuttgarts bunter Stadtgesellschaft bei Schwabenbräu, und dem Heiratsantrag einer schwulen Liebe beim Pink Sunday von Fürstenberg.

Vor etwa zehn Jahren kamen sich viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter komisch vor, wenn sie in Lederhose oder Dirndl das Cannstatter Volksfest besuchten. Heute fühlt man sich fast schon ausgestoßen, wenn man’s nicht tut. Die Kostümierung schreitet immer weiter voran. Die verrückten Tage auf dem Wasen sind Fasching mit anderen Mitteln.

Die Tracht sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl. Zur elften Wasenpirsch am Sonntagabend im Schwabenwelt-Zelt ist ein Paar in Jeans gekommen. Als es so viel Alpen-Schick um sich herum sah, so viel Lederpracht und Dirndl-Pomp, sagten die beiden dem Veranstalter Frederic C. Reinicke, sie müssten noch mal kurz nach Hause. „Eine Dreiviertelstunde später kamen sie in Tracht zurück“, berichtet der Organisator, der vor elf Jahren damit begonnen hat, mit PR-Mann Andreas Stütz und Festwirt Michael Wilhelmer eine Benefizveranstaltung aufzubauen, die zum gesellschaftlichen Topereignis des Festes werden sollte. Etwa 600 Gäste aus Wirtschaft, Show, Sport und Medien (alle zahlen 160 Euro Eintritt) sind diesmal zum Pirschen und Spenden auf die Empore des Schwabenbräu-Domizil gekommen. Gestopft voll war’s oben, relativ wenig dagegen unten. Der Sonntag zählt für die Wirte zu den schweren Tagen, an denen sie sich mit Events und Sonderveranstaltung deshalb was einfallen lassen.

Vorbild für die Wasenpirsch ist der Almauftrieb auf der Wiesn im Käfer-Zelt. Dort versammeln sich seit 25 Jahren heimische und zugereiste VIPs beim Ball der berühmten Herzen. In Stuttgart ist die Promiquote von Natur aus geringer, also auch die Quote der Wichtigtuer, was nur Leute mit ausgeprägtem Minderwertigkeitsgefühl bedauern.

An Macht, Geld und wirtschaftlichem Einfluss fehlt es in der Autostadt Stuttgart nicht, aber die Überspanntheiten, Aufgeregtheiten und Protzereien, wie sie aus der Schickeria-Hauptzentrale München vermeldet werden, sind in hiesigen Breiten nicht so stark. Aber schön sein will man auch hier!

Wer bei der Wasenpirsch dabei war

Man brezelt sich auf fürs Volksfest, lässt sich bei der Wasenpirsch mit Schildern fotografieren, auf denen steht „Mir send hier die Scheenschde!“ Die Stimmung auf der mit Luftballons bunt geschmückten Empore ist bestens. Es wird gelacht, getanzt, angestoßen. Gesehen: Ex-Fußballer Christian Gentner, Christian Klein, der CEO von SAP, Jürgen Schweighardt (TVB Stuttgart), Gunnar Severin (Audi Stuttgart), Kunstrad-Weltmeister Harry Bodmer, Sänger Almklausi (mit neuer Freundin Michaela aus Mallorca), Degenfechterin Monika Sozanska, Angermaier-Chef Axel Munz, Marco Mangold, der Chef von Koelbe & Brunotte, Elisa Krafritas (sie bewirbt sich mit ihrem Projekt für einsame Menschen für die Wahl der Miss Germany) und viele andere.

Der Erlös fürs Kinderhospiz fällt bei der Pirsch mit 5000 Euro trotz der vielen Gäste deutlich geringer aus als vor einem Jahr – da waren es 10 000 Euro. „Das Geld sitzt nicht mehr so locker“, beobachtet Frederic C. Reinicke. Wenige Meter weiter im Dinkelacker-Zelt von Klaus & Klaus kommen bei einer weiteren Benefizparty für Kinderprojekte von Kiwanis in der Ta Os Lodge mit 100 Gästen exakt 10 000 Euro zusammen. Veranstalter Zoltán Bagaméry präsentiert als Stimmungskanone Geri von den Klostertaler.

An dem für Wirte nicht so einfachen Sonntag kann sich der neue Fürstenberg-Wirt Moritz Haake aus München über ein weitgehend volles Haus freuen. Der erste Pink Sunday, von den Machern der Gay-Partyreihe Fame organisiert, trägt deutlich zur Verjüngung des Publikums bei. 1500 Karten waren verkauft – ohne Reservierung kamen etwa noch mal so viele. „Selbst aus Köln und Österreich sind unsere Gäste angereist“, sagt Veranstalter Konstantin Wulle. Zu Herzen ging eine schwule Liebe, die sich auf der Bühne präsentiert hat. Mario kniet sich nieder, um seinen Mike zu fragen, ob er ihn heiraten will. Unter lautem Getöse geht sein Ja unter.