Daimler, Porsche und Bosch entwickeln die Fabriken der Zukunft und schützen sich mit eigenen Mobilfunknetzen gegen Hacker.
Stuttgart - In der Vorstellung von Andreas Müller verbinden sich schon die Elemente, die für Bosch die Fabrik der Zukunft ausmachen: die fahrerlosen Transporter, die Roboter, die Maschinen, die Mitarbeiter mit ihren Spezialbrillen. Sie alle agieren flexibel und mobil, nur noch die Wände, Böden und Decken sind fest. Sicherer, effizienter und schneller würden in den Werken Elektroteile, Halbleiter oder Kühlschränke entstehen, meint der Leiter des Bereichs Netzwerktechnologie – erfasst, dirigiert und überwacht vom neuen Mobilfunkstandard, der dies möglich macht: 5G. „Der Standard wird das zentrale Nervensystem, damit werden wir komplett neue Fertigungskonzepte realisieren“, sagt Müller. „Deutschland übernimmt hier eine weltweite Vorreiterrolle, weil es den Unternehmen ermöglicht, eigene, lokale Campusnetze aufzubauen.“
Die sogenannten Campusnetze elektrisieren zurzeit die Konzerne im Land, denn mit ihrer Hilfe wollen Auto- und Maschinenbauer, die Logistiker und die Chemiebranche nicht nur produktiver werden, sondern mit den gesammelten Daten neue Geschäftsmodelle entwickeln. Erstmals können die Firmen ihr eigenes Mobilfunknetz betreiben und die Verbindungen zur Außenwelt kontrollieren – mehr Schutz vor Hackern inklusive. Wie schnell die Unternehmen beim Aufbau des Zukunftsnetzes sind, hängt weitgehend von ihnen selbst ab. Sie müssen lediglich die entsprechenden Frequenzen von der Bundesnetzagentur beantragen – seit November vergangenen Jahres ist dies möglich.
Bisher haben 21 Unternehmen in Deutschland die Frequenzen beantragt
Die Kosten dafür richten sich unter anderem nach Fläche, Laufzeit und Bandbreite, betragen aber bei einem Spektrum von 50 Megahertz für zehn Jahre lediglich 2000 Euro aufwärts, sagt Nokias Netzwerkexperte Martin Beltrop: „Die Preise sind extrem gering. Das ist sehr gut, um damit Innovationen in den Unternehmen zu stimulieren.“
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Bisher haben 21 Unternehmen in Deutschland die Frequenzen beantragt, teilt die Bundesnetzagentur auf Anfrage unserer Zeitung mit. Namen und Branchen dürfe man nicht nennen. Öffentlich gemacht haben es unter anderem Industrieriesen wie Siemens, Airbus, BASF und Osram. Am fleißigsten sammeln Frequenzen aber die Autobauer und große Zulieferer ein – neben VW, Audi und BMW sind auch Daimler, Porsche und Bosch mit von der Partie.
Daimler etwa baut mit dem Netzbetreiber Telefónica und dem schwedischen Netzausrüster Ericsson derzeit die Factory 56 in Sindelfingen auf. Sie soll noch in diesem Jahr betriebsbereit sein und als Blaupause für die smarte und effizientere Zukunft weiterer Werke dienen, heißt es. Nach der Installation wolle man das Netz aus eigener Kraft betreiben. „Einen großen Vorteil dieser Lösung sehen wir darin, dass sensible Produktionsdaten nicht Dritten zur Verfügung gestellt werden müssen“, betont ein Sprecher. Im eigenen Netz könne man Produkte auf der Montagelinie exakt orten, mehr Daten verknüpfen, Maschinen besser vernetzen und die Genauigkeit und Effizienz in der Produktion steigern.
Bosch hat für Feuerbach und Renningen 5G-Lizenzen erhalten
Porsche teilt mit, man sei „gerade dabei“ Frequenzen für „eine zweistellige Anzahl von Standorten“ in Deutschland zu beantragen, darunter für den Stammsitz Zuffenhausen. An diesen werde man in der zweiten Jahreshälfte das 5G-Netz testen und arbeite mit den Schwestermarken VW und Audi zusammen. Ob man das Netz nach dem Aufbau selbst betreiben werde, sei noch nicht klar. „Die privaten Frequenzen sind für unseren Campus exklusiv und somit frei von Störungen“, sagt eine Sprecherin. „Darüber hinaus versprechen wir uns eine schnellere Umsetzung von neuen Funktionen.“
Bosch wiederum hat bereits für das Werk in Feuerbach und den Forschungscampus in Renningen 5G-Lizenzen erhalten. Als Leitwerke sollen sie Pionierarbeit für die übrigen rund 270 Werke weltweit leisten, sagt Müller. Durch die zentrale Lage der Standorte könne man einfach und schnell Kompetenzen und Experten vereinen. Schon früh habe man in Renningen 5G-Anwendungen für die Industrie getestet. Künftig wolle man Szenarien für die Landwirtschaft und die Gebäudeautomatisierung entwickeln, sagt Müller.
Bosch testet Prototypen und die nötige Infrastruktur
Zurzeit testet Bosch Prototypen und die nötige Infrastruktur: wie viele Antennen und Basisstationen man für das Netzwerk braucht oder ob Metallteile in den Fabrikhallen beim Funk zu Interferenzen führen können. Wie man alte Maschinen mithilfe von Sensoren an das Netz anbindet. Was das Minirechenzentrum leisten muss, das den Datenverkehr steuert. Und dann gilt es noch, in Echtzeit die Roboter zu stoppen, falls sie Mitarbeitern zu nahe kommen. Die Beschäftigten wiederum brauchen vernetzte Datenbrillen, um Fehler besser zu erkennen und zu beheben. Schritt für Schritt und parallel zur Produktion gehe man voran, sagt Müller – „bei 5G sind wir alle Pioniere“.
Die Mitarbeiter weiter zu qualifizieren werde eine zentrale Aufgabe sein
Lohn dieser Pionierarbeit könnten Geld und Effizienz sein, glaubt man den Studien. Eine aktuelle von Ericsson und ABI Research etwa rechnet acht Einsatzmöglichkeiten in den Campusnetzwerken verschiedener Branchen vor, darunter das Beispiel einer 500 000 Quadratmeter großen deutschen Autofabrik. Bei Investitionen von knapp 50 Millionen Euro für die benötigte Mobilfunktechnik stünden potenzielle operative Einsparungen in Höhe von knapp 500 Millionen Euro entgegen, heißt es. Zudem könnten binnen fünf Jahren die Erträge um rund fünf Prozent gesteigert und zusätzlich knapp 18 000 Fahrzeuge mehr produziert werden.
Ob das tatsächlich so eintritt, wird die Zukunft zeigen. Bei Bosch konzentriert man sich erst einmal auf den nächsten Schritt und sondiert, mit welchen Netzbetreibern und -ausrüstern man das Zukunftsnetz aufbauen will. Und wie man die Beschäftigten auf dem Weg in die Fabriken der Zukunft mitnehmen will. Die Mitarbeiter weiter zu qualifizieren werde eine zentrale Aufgabe sein, meint Müller. „Wir müssen die Kompetenzen für 5G weiter aufbauen.“