Lebendig in der tiefe: der Quastenflosser Foto: imago images/imagebroker/imageBROKER/G. Lacz via www.imago-images.de

Lazarus-Effekt: Manchmal werden bei Tieren und Pflanzen Arten entdeckt, die bereits als ausgestorben gegolten haben.

Ende des Jahres 2022 machten Forschende eine interessante Entdeckung. Auf Fergusson-Island, einer unzugänglichen Insel vor der Ostküste Papua-Neuguineas, tappte ihnen eine Schwarznacken-Fasantaube (Otidiphaps nobilis insularis) in die Fotofalle. Das ist durchaus bemerkenswert, denn seit ihrer Erstbeschreibung im Jahre 1882 hatte kein Ornithologe die Tiere je wieder zu Gesicht bekommen, sie galten als ausgestorben.

Doch dann mehrten sich in den letzten Jahren die Berichte von Einheimischen, die behaupteten, die Tiere gehört und sogar gesehen zu haben. Daraufhin wurden von verschiedenen Naturschutzorganisationen Expeditionen losgeschickt, um die Vögel gezielt zu suchen und aufzufinden, was dem Team um Jordan Boersma von der amerikanischen Cornell University dann mit seiner Fotofalle im September 2022 auch tatsächlich gelang. In der Biologie gibt es einen Begriff dafür, wenn ausgestorben geglaubte Arten wiederentdeckt werden: Lazarus-Effekt.

Nach Millionen Jahren zurück

Die Bezeichnung nimmt Bezug auf den Lazarus des Johannesevangeliums, der von Jesus von den Toten auferweckt wurde. Ein internationales Forscherteam um Brett Scheffers von der National University of Singapore hat ermittelt, wie viele Tierarten bis ins Jahr 2011 wiederentdeckt wurden, die schon als ausgestorben galten. Demnach waren es immerhin 351 Arten, von Amphibien über Vögel bis hin zu Säugetieren. Im Durchschnitt lagen 61 Jahre zwischen Verschwinden und Wiederentdeckung, haben die Forschenden herausgefunden. Das bekannteste Beispiel für den Lazarus-Effekt in der Tierwelt ist wohl der Quastenflosser (Latimeria chalumnae), ein Urzeitfisch, von dem man annahm, er sei vor 66 Millionen Jahren zusammen mit den Dinosauriern ausgestorben, bis er dann 1938 vor der Küste Südafrikas wiederentdeckt wurde. Inzwischen wurde mit Latimeria menadoensis sogar eine zweite Art gefunden. Der Urzeitfisch kommt in einem für Menschen ähnlich unzugänglichen Gebiet vor wie die Schwarznacken-Fasantaube, nämlich in Wassertiefen von mehr als 150 Metern, was auch erklärt, warum die Tiere so lange unentdeckt bleiben konnten.

Flut von Fangaktionen

Beim Quastenflosser zeigt sich allerdings auch, dass der Lazarus-Effekt auch seine Nachteile haben kann. Als die Funde bekannt wurden, setzte nämlich eine wahre Flut von weltweiten Fangaktionen ein, sodass die ohnehin nur geringen Bestände durch die Wiederentdeckung noch weiter dezimiert wurden. Eigentlich sollte ja das genaue Gegenteil der Fall sein, dass nämlich wiederentdeckte Arten, die nur noch in geringen Populationen vorhanden sind, unter einen besseren Schutz gestellt werden, so wie es bei der Schwarznacken-Fasantaube geplant ist.

Die Vogelschutzorganisation American Bird Conservancy in The Plains, USA, geht davon aus, dass mehr als 150 Vogelarten derzeit weltweit als verschollen einzustufen sind. Einige der Arten seien nur von alten Zeichnungen her bekannt, andere zehn Jahre und mehr nicht mehr von Ornithologen gesichtet worden. Die Expeditionen, die die Vogelschützer zur Wiederauffindung verschollener Arten in alle Welt ausgesendet hat, konnten schon erstaunliche Erfolge aufweisen. Neben der Wiederentdeckung der Schwarznacken-Fasantaube im Jahr 2022 fanden die Forscherteams 2016 den 60 Jahre lang verschollenen Táchira-Ameisenpitta im Regenwald Venezuelas wieder und 2015 das über 75 Jahre lang vermisste hübsche Blauaugentäubchen in Brasilien.

Auch der Klettersalamander: wieder da

Aber auch andere Naturschützer machen sich auf die Suche nach totgesagten Arten. Die Organisation Re:wild, zu deren Mitbegründern der Schauspieler Leonardo DiCaprio gehört, hat 2017 eine Liste von Experten erstellen lassen mit 25 Arten, die damals verschollen waren und gesucht werden sollten, um sie besser schützen zu können. Inzwischen sind acht davon wieder aufgetaucht, darunter der 42 Jahre lang totgeglaubte Klettersalamander Bolitoglossa jacksoni, die 113 Jahre lang verschollene Riesenschildkröte Chelonoidis phantasticus und die größte Biene der Welt, die immerhin 38 Jahre lang vermisste Wallace-Riesenbiene.

2020 fand ein Team um Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung München das Voeltzkow-Chamäleon (Furcifer voeltzkowi) wieder, das vor 110 Jahren zum letzten Mal gesehen wurde. „Im Unterschied zu vielen anderen verschollenen Arten war in diesem Fall relativ genau bekannt, wo die ersten Exemplare gesammelt worden waren“, sagt Glaw. „Ich nahm an, dass der Lebenszyklus beim Voeltzkow-Chamäleon ähnlich verläuft wie bei der verwandten Art Furcifer labordi und dass es entscheidend sein würde, im richtigen Zeitraum, also in der Regenzeit zu suchen. Das ist nicht die beste Reisezeit, viele Straßen sind kaum befahrbar.“

Zukunftschancen stehen gut

Die Wiederentdeckung im bekannten Lebensraum gelang dann allerdings sogar schon am ersten Abend, berichtet Glaw, gibt aber auch zu bedenken: „Entscheidend für den Erfolg der Wiederentdeckung war neben der sorgfältigen Vorbereitung und der Auswahl des richtigen Zeitraums sicher auch eine gute Portion Glück. Denn bei einer zweiten verschollenen Art (Furcifer monoceras) hatten wir trotz gleicher Strategie noch keinen Erfolg, und so wartet diese Art bis heute auf ihre Wiederentdeckung.“ Glaw schätzt die Zukunftschancen der kleinen Chamäleons als recht gut ein.

Den Lazarus-Effekt gibt es übrigens nicht nur bei Tieren. Am 25. Mai 2022 fanden Botaniker im Big-Bend-Nationalpark im Süden von Texas die seit zehn Jahren vermisste Eiche Quercus tardifolia wieder. Allerdings entdeckten die Forschenden nur ein einziges Exemplar, das zudem auch noch unter Pilzbefall und Waldbrandschäden litt. Die Botaniker versuchen nun, den Baum zu retten, was sich allerdings nicht ganz einfach gestaltet, denn bisher konnten noch keine vermehrungsfähigen Eicheln gefunden werden.