Die Angst vor Untoten, die sich aus ihren Gräbern erheben und als Wiedergänger durch die Welt der Lebenden geistern, ist tief im menschlichen Unterbewusstsein verwurzelt. Bei Grabungen für den Bau einer Stromtrasse in Sachsen-Anhalt ist jetzt ein Wiedergänger-Grab entdeckt worden. Eine Reise durch Religion, Ethnologie und Kulturgeschichte.
Der Glaube an Untote und Wiedergänger ist uralt – und existiert bis heute. Dass Verstorbene ruhelos sein könnten, davor fürchten sich Menschen seit es Bestattungsriten gibt. Immer kommt es zu bizarren Funden durch Archäologen wie jetzt in ostdeutschen Oppin.
In der knapp 1400 Einwohner zählenden Gemeinde im Saalekreis in Sachsen-Anhalt haben Spatenforscher ein rund 4200 Jahre altes sogenanntes Wiedergänger-Grab entdeckt. „Es ist ein erwachsener Mann, etwa 40 bis 60 Jahre alt. Er liegt auf der linken Seite mit angewinkelten Beinen und schaut nach Osten“, sagt Grabungsleiter Uwe Moos auf der Grabungsfläche. „Über seinen Unterschenkeln liegt quer ein großer, etwa einen Meter langer, 50 Zentimeter breiter und zehn Zentimeter hoher Stein.“
Schwerer Stein sollte Wiederkommen verhindern
Uwe Moos zufolge war der Tote möglicherweise ungeliebt oder litt an einer schweren Krankheit. „Der schwere Stein sollte das Wiederkommen verhindern.“ Der Mann stammt möglicherweise aus der Zeit der Glockenbecherkultur. Damit könnte es das erste derartige Wiedergänger-Grab aus dieser Epoche in Mitteldeutschland sein. Eine genaue Datierung muss noch erfolgen.
Zur Info: Als Glockenbecherkultur wird eine kupfersteinzeitliche Kultur des mitteleuropäischen Spätneolithikums bezeichnet, die in Süd-, West- und Mitteleuropa (im Osten bis nach Ungarn) ab 2600 v. Chr. aufkam und bis etwa bis 2200 v. Chr. andauerte.
Angst vor unliebsamen Wiedergängern
„Wir wissen, dass man schon in der Steinzeit Angst vor unliebsamen Wiedergängern hatte. Das wollten die Menschen mit Magie verhindern“, erklärt die Projektleiterin und Archäologin Susanne Friederich.
„Es gibt Gräber, bei denen der Leichnam sogar auf dem Bauch liegt. Damals glaubten die Leute, dass Tote mitunter versuchten, sich aus ihrem Grab zu befreien“, so Susanne Friedrich. „Liegt er auf dem Bauch, gräbt er sich immer tiefer ein, anstatt an die Oberfläche zu gelangen. Ebenso gibt es bäuchlings niedergelegte Tote, die zusätzlich mit einer Lanze durchstoßen, also praktisch im Boden fixiert waren.“
Die Grabungen laufen im Vorfeld des Netzausbaus der Gleichstromtrasse SuedOstLink. Der rund 150 Kilometer lange Teilabschnitt durch Sachsen-Anhalt wird noch bis 2025 archäologisch untersucht. Die gesamte Trasse ist rund 540 Kilometer lang und reicht von Wolmirstedt bei Magdeburg bis zum Standort Isar bei Landshut in Bayern.
Glaube an Untote und Wiedergänger
Im März 2023 waren Archäologen um Johan Claeys von der Katholischen Universität Löwen in Belgien bei Ausgrabungen in der antiken römischen Stadt Sagalassos auf ein Grab gestoßen, das die Angst vor der Rückkehr jener widerspiegelt, die nicht ordentlich begraben worden oder eines unnatürlichen Todes gestorben waren.
Das Grab in der Ausgrabungsstätte im Südwesten der Türkei unweit des heutigen Ortes Ağlasun in der Provinz Burdur enthielt die verkohlten, nicht vollständig verbrannten Knochen eines Mannes. Das Alter der Überreste datierten die Forscher auf die Zeit zwischen 100 und 150 n. Chr.. Was diese letzte Ruhestätte archäologisch so interessant macht, ist die Art der Bestattung.
Sonderbare Art der Bestattung
Die Totengräber hatten eine Reihe von rituellen Maßnahmen getroffen, die man in der Altertumswissenschaft bisher so noch nicht kannte. An den Rändern des Scheiterhaufens lagen 41 gebogene und verdrehte Nägel verstreut. Zudem waren 24 Ziegelsteine sorgfältig auf den noch schwelenden Scheiterhaufen gelegt worden, über den eine Schicht Kalkputz geschüttet worden war.
„Unabhängig davon, ob der Tod des Mannes gewalttätiger Natur, krankheitsbedingt oder das Ergebnis einer Bestrafung war“, urteilen die Wissenschaftler in ihrer Studie. „Es spricht vieles dafür, dass die Hinterbliebenen Angst davor hatten, dass er mit Rachegedanken aus dem Reich der Verstorbenen zurückkehren könnte.“
Voodoo in Afrika und auf Haiti
Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit war der Aberglaube weit verbreitet, dass die Untoten aus der Gemeinschaft der Lebenden und Toten ausgeschlossen und dazu verdammt sind auf Erden umher zu wandeln.
Der französische Ethnologe Michel Leiris beschreibt diese Wiedergänger in seinem Buch „L’Afrique Fantôme“ („Phantom Afrika“, 1934) als „Individuen, die man künstlich in einen Scheintodzustand versetzt, beerdigt, dann wieder ausgegraben und geweckt hat und die infolgedessen folgsam wie Lasttiere sind, da sie ja gutgläubig annehmen müssen, dass sie tot sind“.
Leiris fand Hinweise auf Untote im haitianischen Voodoo-Kult und in der Religion der Yoruba, einem Volk im Südwesten Nigerias. Im zwar christianisierten, aber immer noch von heidnischen Bräuchen durchtränkten Leben der Haitianer besitzen Voodoo-Hexer und Priesterinnen die geheimnisvolle Fähigkeit, Lebende mit einem Fluch zu belegen, so dass sie scheintot sind.
Nekrophobie – die Angst vor den Untoten
Die Angst vor den Untoten lässt sich auch psychologisch erklären. Nekrophobie – das Gegenteil ist Nekrophilie, die Liebe zum Tod und zu Toten – ist eine spezielle Art der Phobie, die sich in einer krankhaft übersteigerten Angst vor Toten und toten Dingen wie Leichen, Kadavern oder Mumien ausdrückt. Die Betroffenen haben eine regelrechte Höllenangst vor der Nähe zu Sterbenden, Friedhöfen und Krankenhäusern.
Bizarre Begräbnisriten
Im bulgarischen Sozopol am Schwarzen Meer fanden Archäologen vor einigen Jahren ein Skelett aus dem 13. Jahrhundert, dass mit Eisenpfählen und Nägeln in der Brust an den Sarg festgenagelt war. Ein anderer Knochenmann, der in einem bulgarischen Kloster entdeckt wurde, war an Händen und Füßen gefesselt.
Auch in anderen Gräbern in Südeuropa ist man Leichen gestoßen, denen die Glieder zertrümmert, die Sehnen durchtrennt, das Herz gepfählt, Erde in den offenen Mund geschoben oder Kreuze auf die Brust gelegt worden waren.
In der englischen Ortschaft Southwell fanden Archäologen 2012 ein Grab aus der Zeit 550 bis 700 n. Chr., das auf einen Wiedergänger-Begräbnisritus schließen lässt. Dem Toten waren Pfähle in die Schultern, das Herz und die Knöchel getrieben worden. Vermutlich in der Absicht, dass der so Fixierte seine Ruhestätte nicht mehr verlassen kann.
Angst vor Wiederkehr der Toten
Solche Funde deuten nach Ansicht von Anastasia Tsaliki auf bizarre Begräbnisriten hin, die von der Angst vor einer Wiederkehr der Toten angetrieben wurden. Die griechische Archäologin, die an der englischen Durham University lehrt, hat sich intensiv mit dem Phänomen der Wiedergänger-Gräber beschäftigt.
Ihr zufolge gibt es natürliche Erklärungen dafür, dass sich Tote im Grab regen. Der Leichnam kann sich durch bakterielle Fäulnisvorgänge in seinem Inneren aufblähen. Eilig zugescharrt kann es sein, dass plötzlich ein Hand aus dem Grab ragt. Die Verwesung kann dazu führen, dass sich im Magen- und Darmtrakt Gase bilden, die entweichen und wie schmatzende Geräusche klingen.
Ein Utensil aus allseits bekannten Gruselfilmen, dass auf Wiedergänger und Untote schließen lässt, haben Forscher bisher allerdings niemals gefunden: die für Vampire so unentbehrlichen spitzen Eckzähne (mit dpa-Agenturmaterial).