Ein Grenzstein erinnert an die ehemalige innerdeutsche Grenze auf dem Warteberg nahe Klettenberg in Sachsen-Anhalt. Foto: picture alliance/dpa/Martin Schutt

Wo bis 1990 mitten durch Deutschland ein Todesstreifen verlief, kommt heute die Natur zu ihrem Recht. An die bitteren Jahre einer hochgerüsteten Grenze erinnern Museen und Gedenkstätten.

Heiligenstadt - „Alles was blieb, waren das Trafohäuschen und ein paar Grabsteine auf dem Friedhof!“ Der ehemalige Bürgermeister Gerhard Berghold kämpft mit den Tränen, wenn er über das Schicksal von Billmuthausen spricht. Er schaufelt mit seinen Händen durch die Luft beim Erzählen, als könnten große Gesten ihm Linderung verschaffen.

 

1340 wurde Billmuthausen erstmals urkundlich erwähnt. Mit der Teilung Deutschlands lag das Dorf in der fünf Kilometer breiten Sperrzone unmittelbar an der Grenze zum Westen. Nur mit einer Sondergenehmigung durfte man sich hier überhaupt aufhalten. „Das Leben im Grenzgebiet war brutal“, so Berghold, „die Risse gingen durch die Familien. Eheleute wussten voneinander nicht, ob der Partner bei der Stasi war.“

Schon bald nach dem Krieg wurde das Herrenhaus des Ritterguts abgerissen, erzählt Berghold: „1955 und 1961 erfolgte dann jeweils eine ,Aktion Ungeziefer‘, bei der man alle nicht absolut systemtreuen Bewohner zwangsumsiedelte. 1965 ließ man die Kirche abreißen, während der Pfarrer gerade Ferien machte. 1978 wurde schließlich das ganze Dorf dem Erdboden gleichgemacht“. Billmuthausen war ausgelöscht – ebenso wie die Nachbardörfer Erlebach und Leitenhausen im Heldburger Unterland.

Zwischen Lochbetonplatten sprießen seltene Pflanzen

An das Schicksal von Billmuthausen erinnert heute eine kleine Gedenkstätte am Friedhof. Nur wenige Kilometer davon entfernt liegen Bad Colberg mit seinem Thermalbad und Ummerstadt, ein Fachwerkidyll. Im einzigen Gasthaus wird Bodenständiges serviert, Thüringer Klöße mit Ochsenfleisch und Gulasch. Aber es gibt kein Netz fürs Handy, kein Geschäft, keinen Bankautomaten und übernachten kann man nur in privaten Fremdenzimmern. Doch neuerdings hat ein Bürgercafé eröffnet, wo es morgens frisch gebackene Brötchen gibt.

„Natürlich wünschen wir uns hier mehr Tourismus“, so der pensionierte Lehrer Peter Haase. In Fleißarbeit hat er die Wanderwege in der Umgebung von Ummerstadt mit Wegweisern versehen. Die wichtigste Route verläuft auf dem „Grünen Band“, der verbliebenen Narbe der deutschen Teilung. Zwischen den Lochbetonplatten des ehemaligen Kolonnenwegs der DDR-Grenzer sprießen heute seltene Pflanzen. Praktisch der gesamte Grenzstreifen ist inzwischen ein Paradies für Wanderer und Radler.

Das „Grüne Band“ entlang der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West ist in Deutschland rund 1400 Kilometer lang. In Thüringen liegt der größte Teil, 763 Kilometer. Wo sich einst der Todesstreifen dehnte, finden heute mehr als 1200 Arten, die auf der Roten Liste stehen, ihren Lebensraum. Das Unesco- Biosphärenreservat Rhön bietet eindrucksvolle Naturerlebnisse, etwa im Schwarzen Moor direkt am Dreiländereck, wo Bayern, Hessen und Thüringen aufeinanderstoßen. Einen weiten Blick ins „Land der offenen Fernen“, wie die Rhön genannt wird, gewährt der Aussichtsturm Noahs Segel bei Kaltenwestheim. Der Weg auf dem Grünen Band führt von hier aus in rund einer Stunde zur Arche Rhön mit kindgerechter Naturkundeausstellung, großem Spielplatz und Spielarche. Gerd Dietzel, zertifizierter Natur- und Landschaftsführer, ist hier oft mit Gästen unterwegs. Er zeigt ein Stück Grenzzaun aus Streckmetall, der sich zwischen den Fichten versteckt.

Am Fulda Gap belauerten sich Ost und West

Im nicht weit entfernten Dermbach agiert ein ganz anderer Grenzgänger. Im Gourmet-Restaurant Björns Ox serviert Björn Leist feine regionale Küche. Schlafen kann man unterm gleichen Dach im Saxenhof mit Fachwerkfassade. Leist stammt aus Hilders im hessischen Teil der Rhön, wo der Bruder die Familienmetzgerei führt. Björn Leist aber zog es hinüber nach Thüringen, um seinen Traum als Gastgeber wahr zu machen.

Point Alpha, so von den hier stationierten US-Streitkräften benannt, ist eine der wichtigsten Wegmarken am Grünen Band. Hier, am sogenannten Fulda Gap, wo im Kriegsfall der Einfall der Truppen aus dem Warschauer Pakt vermutet wurde, belauerten sich in unmittelbarer Nachbarschaft Ost und West mit Abhörstationen und Beobachtungstürmen. Im Haus an der Grenze macht eine Ausstellung die Teilung anschaulich. 20 Zeitzeugen aus der Region berichten in Hörstationen vom Leben im Sperrgebiet direkt am Eisernen Vorhang. Draußen führt ein Rundgang an den im Laufe der Zeit immer stärker ausgebauten Grenzanlagen vorbei. Vom einfachen Schlagbaum mit dem Schild „Stopp“ in russischer Sprache über die ersten Stacheldrahtzäune bis hin zum praktisch unüberwindbaren Bollwerk zieht sich der Weg. Schritt für Schritt erlebt man mit zunehmender Beklemmung den Irrsinn dieser Grenze. Heute grasen Rhönschafe mit ihren markanten schwarzen Köpfen direkt unter dem einstigen Beobachtungsturm auf DDR-Seite.

Der Todesstreifen war mit giftigen Stoffen präpariert

Seit 1990 existiert die privat geführte älteste Gedenkstätte der innerdeutschen Grenze: das Grenzmuseum Schifflersgrund zwischen dem hessischen Eschwege und dem thüringischen Heilbad Heiligenstadt. Rebecca Bode empfängt ihre Besucher im grünen Shirt mit der Aufschrift „Natur ist grenzenlos“. Hier ist das längste Teilstück des Eisernen Vorhangs in Europa originalgetreu auf 1,5 Kilometern erhalten. „Wir müssen diesen Ort bewahren, damit sich die jungen Leute überhaupt noch vorstellen können, was diese Teilung bedeutete“, sagt Bode.

Sie führt die Gäste zur Grenzanlage, berichtet von Splitterminen, Erdbunkern und dem Alltag der Wachmannschaften. Und sie erzählt vom Fluchtversuch des Heinz-Josef Große, der hier im März 1982 erschossen wurde, nachdem er den Zaun bereits überwunden hatte. Die Einschusslöcher im Streckmetallgitter sind noch gut zu erkennen. Der Anblick lässt sich kaum ertragen.

„Der sogenannte Todesstreifen hieß auch deshalb so, weil man das Erdreich bewusst mit giftigen Chemikalien und Dieselöl präparierte, um alles Pflanzenwachstum zu ersticken“, erklärt Rebecca Bode noch. Inzwischen hat die Natur sich erholt am Grünen Band, das nun ein Band der Hoffnung ist.

Anreise

Mit dem Auto von Stuttgart nach Ummerstadt, A 81 über Würzburg. Von Heiligenstadt zurück über A 7 und A 81. Mit dem Zug über Erfurt und Suhl, weiter mit dem Bus. Von Heiligenstadt via Kassel nach Stuttgart, www.bahn.de

Unterkunft

Saxenhof in Dermbach, ein historisches Haus mit modernem Interieur und exzellenter Küche, D/F ab 100 Euro, www.rhoener-botschaft.de. Hotel Norddeutscher Bund in Heilbad Heiligenstadt, gediegenes Haus in einem schönen Fachwerkbau, DZ/F ab 78 Euro, www.hotel-norddeutscher-bund.de. Hof Sickenberg in Asbach-Sickenberg, charmante ländliche Adresse in einem Thüringer Vierseitenhof im ehemaligen Sperrgebiet gelegen, DZ/F ab 85 Euro, www.hof-sickenberg.de.

Geführte Wanderungen

www.biosphaerenreservat-rhoen.de

Allgemeine Informationen

www.thueringen-entdecken.de