Nico Hülkenberg: Der Formel-1-Pilot von Force India fiebert seinem Debüt in Le Mans entgegen Foto: Porsche

An diesem Samstag (15 Uhr/Eurosport) geht das 24-Stunden-Rennen in Le Mans in seine 83. Auflage – jedes Jahr sind Neulinge am Start. 2015 gehört auch Nico Hülkenberg zu diesen Rookies, obwohl der Emmericher 83 Formel-1-Einsätze hinter sich hat, erzählt er im Interview, dass er noch viel lernen muss.

Stuttgart - Herr Hülkenberg, haben Sie eigentlich viel Sitzfleisch?
Nicht so sehr. Ich bin ein Mensch, der viel in Bewegung sein will.
Bei den 24 Stunden von Le Mans werden Sie aber deutlich länger im Cockpit sitzen müssen als bei einem Formel-1-Rennen.
Ja, aber ich wollte das schon lange mal machen. Und jetzt habe ich die Chance dazu. Außerdem ist auch ein Langstreckenrennen Rennsport pur, da merkt man gar nicht, dass man sitzt.
Wie ist die Umstellung von einem Formel-1-Auto hin zu einem Langstreckenfahrzeug?
Die ist groß. Grundsätzlich ist es ja ein völlig anderes Auto. Es braucht einen anderen Fahrstil. Der Hauptunterschied zur Formel 1 ist, dass ein LMP-1-Auto Allrad und Traktionskontrolle hat, das erfordert eine aggressivere Fahrweise. Dabei nutzen sich allerdings im Gegensatz zur Formel 1 die Reifen fast gar nicht ab. Jeder denkt zwar, dass wir bei einem Langstreckenrennen nur über einen langen Zeitraum so dahincruisen würden, doch es ist wie in der Formel 1 ein ständiges Fahren am Limit.
Zudem ist mehr Verkehr auf der Strecke.
Das stimmt. Wir haben in Le Mans ja andere Rennklassen am Start. Die langsameren GT- und LMP-2-Fahrzeuge. In der Formel 1 sind alle Autos mehr oder weniger gleich schnell. Das ist auch ein bisschen das Problem.
Inwiefern?
Weil wir mit dem Porsche 919 Hybrid fast alles trainiert haben, doch den Verkehr auf der Strecke können wir bei den Tests nicht simulieren. Bei meinem ersten Langstrecken-Rennen im Mai in Spa konnte ich erste Erfahrungen machen. Für mich ist es letztlich eine große Herausforderung oder vielleicht doch eher ein Kampf mit mir selbst, wie gut ich durch den Verkehr komme und wie effektiv ich die Lücken zum Überholen nutze. Man kann es mit Slalomfahren vergleichen.
Es ist unüblich, dass ein Formel-1-Pilot noch in einer anderen Rennserie fährt. Warum sitzen Sie in einem Langstreckenauto?
Bereits Mitte vergangenen Jahres kam der Kontakt zu Porsche zustande, nachdem klar war, dass der Konzern ein drittes Auto ins Rennen schicken wird, um die Siegchancen in Le Mans noch zu steigern. Damit war klar, dass sie drei Fahrer mehr brauchen. Und ich war sofort bereit.
Ihr Formel-1-Rennstall Force India war mit der Doppelbelastung auch gleich einverstanden?
Ja. Ich bin damals zu meinem Teamchef Vijay Mallya gegangen, und der fand die Idee cool. Er hat mir umgehend die Freigabe erteilt. Auch, weil er ein Riesenmotorsportfan ist. Er kommt an diesem Wochenende sogar nach Le Mans.
Glauben Sie, dass es noch weitere Ihrer Formel-1-Kollegen künftig in eine andere Rennserie zieht?
Früher war das ja so. Da sind die Formel-1-Piloten zwar nicht unbedingt Langstreckenrennen gefahren, aber sie waren etwa in der Formel 2 vertreten. Heute kann ich mir kaum vorstellen, dass ein Ferrari- oder Mercedes-Fahrer sich in ein und derselben Saison bei Langstreckenrennen in ein Fahrzeug eines anderen Herstellers setzen darf. Das würde zu einem Interessenkonflikt führen. Force India ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme, weil es ein Privatteam ist.
Das in dieser Formel-1-Saison jedoch noch nicht so auf Touren gekommen ist.
Aber wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Performance, die Aerodynamik weiter zu verbessern. Es wird noch bis zum Grand Prix in Österreich dauern, bis die Updates greifen. Unser Problem war, dass wir im Winter in der Entwicklung auf der Stelle stehen geblieben sind und die anderen uns überholt haben.
An diesem Wochenende steht das Rennen auf dem Circuit de la Sarthes an. Wie oft waren Sie zuvor schon im Rennsportmekka Le Mans?
Ganz ehrlich? Bis zu den ersten Tests in dieser Woche und der Zeit im Simulator in Weissach noch nie.
Ernsthaft?
Ja, ich bin ein blutiger Anfänger. Für mich ist alles Neuland.
Trotzdem hat Sie die Faszination Le Mans gepackt?
Natürlich. Jeder Le-Mans-Kenner, mit dem ich spreche, ist hellauf begeistert. Alle schwärmen von der Atmosphäre, der Strecke, dem Rennen, den Fans. Für mich ist es ein einmaliges Erlebnis, für Porsche, ein Team, das so viel Tradition in Le Mans hat, fahren zu dürfen.
Ex-Formel-1-Fahrer Mark Webber fährt auch für Porsche. Hat er Ihnen schon Tipps gegeben?
Ich habe mich schon viel mit ihm unterhalten. Aber nicht nur mit ihm. Und das ist auch das Schöne beim Langstreckenrennen: Es ist ähnlich wie Fußball oder Handball mehr ein Teamsport und ein rundum angenehmes Miteinander, obwohl die drei Fahrer eines Autos alle anderen natürlich schlagen wollen. In der Formel 1 ist das anders. Da schaust du – überspitzt ausgedrückt – als Fahrer nur nach dir selbst.
An diesem Wochenende ist Porsche-Werkfahrer Nico Hülkenberg also als Teamplayer gefragt?
Ja, aber das ist nicht schwierig. Ich verstehe mich sehr gut mit meinen Mitstreitern Earl Bamber und Nick Tandy. Wir tauschen uns ständig aus. Es fühlt sich ein wenig wie eine Familie an.
Die im Rennen perfekt wechseln muss.
Wir drei haben deshalb viel Trockentraining gemacht. Dabei steht das Auto in der Box, und dann muss es ganz schnell gehen. Der eine Fahrer muss sich abschnallen, rausspringen und der andere dann ganz schnell ins Fahrzeug reinspringen. Weil ich der Größte von uns dreien bin, habe ich den Vorteil, dass mein Sitz schon auf die Ausgangsposition eingestellt ist. Die anderen müssen den Sitz noch für sich anpassen.
Ein 24-Stunden-Rennen erfordert nicht nur gute Wechsel in der Box, sondern auch ein hohes Maß an Fitness. Wie bringen Sie sich in Form?
Laufen, Schwimmen, Tennisspielen. Mein Vorteil ist, dass ich viele Sportarten liebe.
Und wie sieht’s mit der Ernährung aus?
(Lacht und zeigt auf seine Mineralwasserflasche) Die ist natürlich wichtig. Aber ich bin ein erwachsener Mann, ich weiß, was mir guttut, was ich essen kann und darf – auch wenn ich an manchen Süßigkeiten nicht vorbeikomme. Ich bin nämlich ein Süßer. Doch wenn alles im Rahmen bleibt, geht das schon.
Wo landen Sie am Ende bei den 24 Stunden von Le Mans?
Es wäre ein Traum, hier zu gewinnen, und wir haben auch ein siegfähiges Auto, aber ich bin ein Rookie, und das Rennen ist extrem lang. Da kann so viel passieren. Ich will einen guten Job für Porsche und mich selbst erledigen und Spaß haben, der Rest wird sich zeigen.