Ein Lastwagen tankt in Stuttgart-Vaihingen Heizöl, um es zu den Kunden zu bringen. Foto: Judith A. Sägesser

Wie erfindet sich ein Unternehmen neu, das nach wie vor hauptsächlich fossile Energien wie Heizöl und Gas verkauft? Scharr aus Stuttgart-Vaihingen musste sich seit 1883 immer wieder wandeln.

Die Kälte ist diesen Sommer ein Thema wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für die breite Masse hieß Heizperiode, dass man am Thermostatventil dreht. Dass es Zeiten gab, in denen man völlig anders eingeheizt hat, daran wird erinnert, wer das Foyer der Zentrale der Scharr-Gruppe in Stuttgart-Vaihingen betritt.

 

Neben dem Empfang sind alte Holz- und Kohleöfen ausgestellt. Und ja, man muss sagen ausgestellt, denn heuer sieht man solche mit Verzierungen gefertigten Raritäten in Heimatmuseen oder allenfalls als Accessoires in Wohnzimmern. Doch es gab eine Zeit, in der standen diese Öfen im Mittelpunkt. Es war eine Zeit, in der die Scharr-Gruppe unter den Vaihingern als Kohlen-Scharr bekannt war. „So ändern sich die Zeiten“, sagt der Geschäftsleiter Markus König. Das Geschäftsmodell des Energiehändlers hat sich seit der Gründung vor fast 140 Jahren mehrmals gewandelt. Wandeln müssen.

Wie erfindet sich der Händler für fossile Energien neu?

Die Energiewende, in der Deutschland steckt, ist nicht die erste für Scharr. Die Firma sei in einer Energiewende gegründet worden, erzählt Markus König, in der Wende vom Holz zur Kohle. „Kohle war damals ein moderner Brennstoff.“

50 Jahre später ist wieder Energiewende, sie ist Experten zufolge zwar nicht an dem Punkt, an dem sie sein sollte, um die Klimaziele zu erreichen, und aufgrund der aktuellen Gaskrise verkaufen sich Fossile derzeit eher besser als schlechter. Doch die Zeichen stehen auf Transformation. Wie aber erfindet sich ein Unternehmen neu, das nach wie vor hauptsächlich mit fossilen Energien wie Heizöl und Gas handelt? „Unser Geschäftsmodell ist es, Wärme und Energie zu verkaufen“, sagt der Geschäftsleiter. Scharr beliefere rund 250 000 Kunden, vor allem in Baden-Württemberg. Die Allermeisten kaufen bei Scharr Heizöl ein, weitere 35 000 Flüssig- oder Erdgas.

Scharr nennt sich nach wie vor Familienunternehmen

Die Scharr-Gruppe, die sich auch mit 900 Mitarbeitern noch als Familienunternehmen bezeichnet, handelt beispielsweise auch mit Pellets, Ökostrom, Batteriespeichern oder PV-Anlagen und hilft, die Heiztechnik zu modernisieren und Gebäude zu automatisieren. Nach wie vor mache der Handel mit traditionellen Energien, wie Markus König die Fossilen nennt, aber rund 80 Prozent aus.

Die neue Energiewende ist auch an Scharr nicht vorbeigegangen. Gleichzeitig sagt Markus König: „Fossile Energien werden auch in den nächsten 20 Jahren und vielleicht sogar länger eine wichtige Rolle spielen.“ Er könne sich schwer vorstellen, wie der Umstieg auf Erneuerbare schneller gelingen soll bei einer Modernisierungsquote von unter einem Prozent.

4,5 Millionen Ölheizungen effizienter machen

Ein Thema, auf das Scharr setzt: die Ölheizungen, von denen es in Deutschland rund 4,5 Millionen gibt – effizienter zu machen. „Der Bedarf an Öl hat sich inzwischen halbiert.“ Und deshalb gräbt sich der Energie-Händler quasi selbst das Wasser ab, indem er seinen Kunden nicht nur die Heizöltanks befüllt, sondern sie auch darin berät, wie sie weniger vom fossilen Stoff brauchen.

Alle zwei Jahre lässt die Scharr-Gruppe ihren CO2-Fußabdruck berechnen. Für 2020 liegt dieser nach eigenen Angaben bei 12 386 Tonnen. Wobei es sich dabei um die Auswirkungen handelt, die das Unternehmen hat, weil es existiert, nicht aber um jene, die durch Produktion und Verfeuerung seiner Handelsware entstehen. Seine Emissionen kompensiere Scharr seit 2015 mit einem eigenen Projekt in Darfur (Sudan) nach Gold-Standard. Laut Broschüre sind so bisher knapp 12 000 Haushalte mit Flüssiggaskochern versorgt worden – als Alternative zu Holzöfen, die Umwelt und Gesundheit schaden.

Bleiben die Emissionen, die die verkauften Energieträger verursachen. Markus König sagt, etwa die Hälfte der Kunden beziehe Premium-Heizöl, hier sei die Kompensation inklusive. So auch beim Erdgas. Wer normales Heizöl einkaufe, dem biete man an, per kleinem Aufpreis zu kompensieren. „Die Bereitschaft der Kunden, dieses Angebot anzunehmen, ist jedoch sehr begrenzt.“

Die Scharr-Gruppe

Handel
Im Jahr 2021 verzeichnete die Scharr-Gruppe nach eigenen Angaben einen Absatz von 567 Kilotonnen Heizöl, 345 Kilotonnen Flüssiggas und 103 Kilotonnen Betriebsstoffen. Der Umsatz lag laut Firmenangaben im zurückliegenden Jahr bei 871 Millionen Euro.

Standorte
Die Scharr-Gruppe hat insgesamt 20 Standorte in Deutschland. Der Hauptsitz ist in Stuttgart-Vaihingen an der Liebknechtstraße, hier arbeitet rund ein Drittel der insgesamt 900 Mitarbeiter. Das Familienunternehmen, gegründet 1883, wird in der vierten Generation geführt. ana