„Dialogische Beziehungen“ zwischen Kunst und Betrachter, darauf kommt es Susanne Gaensheimer vor allem an. Foto: MMK

Am Wochenende wird die 13. Triennale Kleinplastik in Fellbach eröffnet. Kuratorin ist Susanne Gaensheimer, die Chefin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Unter ihrer Regie geht es diesmal ums Essen und „Ökologien des Alltags“.

Fellbach - Der Goldene Löwe steht jetzt im Kinderzimmer. Anfangs war Susanne Gaensheimer gar nicht damit einverstanden, dass ihre beiden Kleinen ihr die berühmteste Auszeichnung, die man als Kurator gewinnen kann, entführt haben. Aber mittlerweile sieht sie die Sache relativ entspannt: „Kinder sind etwas so Wunderbares, die bringen einen von allen Allüren runter.“

Auf der Kunst-Biennale 2011 in Venedig erhielt Gaensheimer die begehrte Trophäe für ihre Hommage an den kurz zuvor gestorbenen Christoph Schlingensief. Spätestens seit diesem Erfolg gehört die Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) zu den einflussreichsten Personen der deutschen Kunstszene. In ihrer Wahlheimat am Main hat man die 49-Jährige in letzter Zeit allerdings seltener angetroffen. Denn der Stadt Fellbach ist es gelungen, die promovierte Kunsthistorikerin als künstlerische Leiterin für die dreizehnte Ausgabe der Triennale Kleinplastik zu gewinnen. Vor ein paar Tagen hat der Aufbau begonnen, am Wochenende fällt der Startschuss.

Dass unser Gespräch nicht am Ausstellungsort, der Alten Kelter, sondern im Fellbacher Rathaus stattfindet, hat einen strategischen Grund. Die Ausstellungsarchitektur soll nämlich bis zum Eröffnungstag ein Geheimnis bleiben. Zu erfahren war nur: die Kelter wird quasi in zwei Bereiche geteilt. Der agrarische Grundcharakter der Holzkonstruktion, versichert die Kuratorin, bleibe dabei aber erhalten. Schließlich beschäftigt sich die diesjährige Triennale, die unter dem Motto „Food – Ökologien des Alltags“ steht, mit Ernährungsfragen.

Sie kann Begeisterung für ihre Ideen wecken

Auf den ersten Blick wirkt Gaensheimer – schwarzer Trenchcoat, brauner Pullover und leichte Augenringe –, als wäre sie eine übervorsichtige, distanzierte Person. Doch wer auch nur ein paar Minuten mit ihr geredet hat, lernt schnell die wahre Susanne Gaensheimer kennen. Eine unkomplizierte Endvierzigerin, die auch schon mal „Scheiße“ sagt, wenn ihr etwas nicht gleich einfällt. Aus ihren braungrünen Augen funkelt viel Esprit in die Welt hinaus. Sie weiß für ihre Ideen zu begeistern, kann lange und lebendig erzählen, aber auch zuspitzen. Und all das in so glattem Hochdeutsch, wie man es von jemand, der in München geboren wurde und über drei Jahrzehnte dort gelebt hat, nicht erwartet hätte. „Ich war als Studentin mal ein Jahr in Hamburg“, erklärt sie. „In Norddeutschland ist vieles leichter, wenn man sich den bayrischen Akzent abtrainiert.“

Als sie das Frankfurter MMK übernahm, hatte das einst vom legendären Jean-Christophe Ammann aufgebaute Haus seine frühere Strahlkraft verloren. Zu übermächtig schienen die drei bis vor Kurzem von Max Hollein geführten Institutionen Schirn, Städel und Liebieghaus. Durch Gaensheimer wurde das MMK wieder zur eigenen Marke. Ihre Erfolgsrezepte? „Auf die eigenen Stärken gucken, nicht auf die anderen!“ Und außerdem: „Vermitteln, vermitteln, vermitteln.“ Auf ihre Initiative hat das MMK jetzt mehr zielgruppenspezifische Angebote organisiert: Programme nicht nur für Kinder, sondern auch für Familien, Migranten und Künstler.

Als Ausstellungsmacherin sieht Gaensheimer ihre Rolle vor allem in der einer Moderatorin. Sie versuche „dialogische Beziehungen“ herzustellen – sowohl zwischen den Werken einer Ausstellung als auch zwischen den Objekten und dem Raum. „Die Kunst dagegen“, meint sie, „wird am besten, wenn man die Künstler machen lässt.“ Theorien und gegenwartskritische Diskurse sind ihr wichtig, sie betont aber auch, dass es in Ausstellungen darauf ankomme, das Intellektuelle und das Sinnliche ins Gleichgewicht zu bringen.

Spezialisiert auf zeitgenössische Kunst

Dass sie 2010 zur Kommissarin für den Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale ernannt wurde, habe sie wirklich überrascht. Dem Wahlausschuss des Außenministeriums, der alle zwei Jahre den Kurator finden soll, gehörte sie nämlich selber an. Aber dann musste Gaensheimer plötzlich den Raum verlassen: Sie selbst war vorgeschlagen worden.

Im Unterschied zu ihren Fachkollegen hat sich die MMK-Chefin schon während ihres Kunstgeschichtsstudiums gezielt auf aktuelle Kunst spezialisiert. „Bereits als Schülerin“, erzählt sie, „hatte ich ein großes Interesse an Gegenwartskultur, nicht nur Kunst, auch Film und Musik.“ Dass es der Kunst seit der Moderne nicht mehr um Schönheit gehe, sei ein Vorurteil. „Schönheit“, sagt Gaensheimer, „liegt in der Liebe zur Welt.“ Als Beispiel nennt sie Skulpturen des Frankoalgeriers Kader Attia, den sie derzeit in Frankfurt ausstellt. „Kader hat Porträts entstellter Soldaten durch afrikanische Bildschnitzer in Holz nachbilden lassen – eine ergreifende Mahnung gegen den Krieg.“

Auch Gaensheimers Konzept für die Triennale entstand aus der Überzeugung, dass in der Kunst Ethik und Ästhetik zusammenfallen. So verspricht sie mit ihrer Fellbacher Sommerschau zwar eine Ausstellung „zum Sehen, Riechen und Schmecken“, aber nicht die Verlängerung einer TV-Kochshow mit den Mitteln des Kunstbetriebs. In den rund vierzig Arbeiten spiegele sich der Zusammenhang von politisch-sozialen Strukturen und Ernährungspraktiken. Etwa in der hyperrealistischen Mango des indischen Bildhauers Subodh Gupta, die auf dem Triennale-Flyer prangt. „Als ich klein war, gab es nur Äpfel, Birnen und Bananen. Für meine Kinder heute ist eine Mango eine ganz alltägliche Frucht. So gesehen“, resümiert Susanne Gaensheimer, „fängt Globalisierung im Obstkorb an.“