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Der Engelbergtunnel feiert Zehnjähriges: Am 10. September 1999 wurde die zweite Röhre für den Verkehr freigegeben. Leonberg atmete auf: weniger Staus, weniger Lärm und Abgase in der Stadt.

Leonberg - Der Engelbergtunnel feiert Zehnjähriges: Am 10. September 1999 wurde die zweite Röhre für den Verkehr freigegeben. Leonberg atmete auf: weniger Staus, weniger Lärm und Abgase in der Stadt. Komplett bezahlt ist das Millionenprojekt aber erst 2014.

Der alte Engelbergtunnel war dem Verkehrsaufkommen schon lange nicht mehr gewachsen: Die Fahrzeuge quälten sich auf zwei Spuren je Fahrtrichtung die sechsprozentige Steigung hinauf. Ein Standstreifen fehlte in dem 300 Meter langen Tunnel aus den 1930er Jahren. Leonberg tauchte täglich in den Verkehrsnachrichten auf. Die Zeiten, in denen die Autobahn für ein Rennen auf der Solitude-Strecke gesperrt und als Parkplatz genutzt wurde, waren längst vorbei. Die ersten Planungen für die dringend benötigte Alternative für das A-81-Nadelöhr gehen bis ins Jahr 1973 zurück. Lange Zeit drohte der Tunnel aber an den Baukosten zu scheitern.

Wissmann macht's möglich

In den 90er Jahren entwickelte der damalige Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) das Finanzierungsmodell. Ein Konsortium aus Baufirmen streckte die Kosten vor. Als das Großprojekt abgenommen war, trat der Firmenzusammenschluss die Kosten samt Zinsen an Banken ab, die der Bund in 15 Jahresraten abbezahlen sollte. Die Zinsen dafür werden jährlich an einem bestimmten Stichtag für das Folgejahr neu festgelegt. Die letzte Rate für den Engelbergtunnel wird 2014 fällig sein. Nach diesem Modell wurden bundesweit zwölf Projekte realisiert, zwei davon in Baden-Württemberg. Wegen der enormen Belastung der Steuerzahler aber kritisierte der Bundesrechnungshof das Finanzierungsmodell, und Wissmanns Nachfolger, Franz Müntefering (SPD), strich das Programm zusammen.

Der Widerstand

Nicht alle Leonberger waren begeistert von dem Millionenvorhaben. Drei resolute Rentnerinnen organisierten mit Bürgervereinen im Rücken den Widerstand gegen das Projekt und zogen vor alle deutschen Gerichte - und unterlagen.

Baukosten explodieren

Die Kosten für den rund 2,5 Kilometer langen Tunnel liefen völlig aus dem Ruder. Am Ende war er 40 Prozent teurer als geplant. Die Abschlussrechnungen für den Tunnel belaufen sich auf rund 500 Millionen Euro. Leonbergs OB Bernhard Schuler ist heute noch froh, dass er den Anteil der Stadt an dem Jahrhundertprojekt auf 900.000 D-Mark deckeln und festschreiben ließ. Die Stadt beteiligte sich finanziell an dem Tunnel, weil er auf ihren Wunsch um etwa 200 Meter verlängert wurde. Mit den rund 500 Millionen Euro Baukosten aber war es nicht getan. Weil über Kredite finanziert, kommen noch Zinsen hinzu. In den vergangenen zehn Jahren machten sie nochmals rund 150 Millionen Euro aus. Der Grund für die Kostenexplosion war das Mineral Anhydrit.

Der Berg gibt keine Ruhe

Anhydrit kommt im Untergrund häufig vor. So auch im Engelberg. In Verbindung mit Wasser verwandelt sich das Mineral in Gips und quillt auf. Die immer dicker werdende Gesteinsschicht drückt auf die Tunnelröhren. Das Phänomen, das auch die Bauingenieure bei dem Projekt Stuttgart 21 beschäftigen wird, wurde schon beim Bau berücksichtigt: Die Röhren sind nicht wie üblich 70 Zentimeter, sondern bis zu drei Meter dick. Dennoch macht das Gestein Probleme, es verschiebt die Tunnelröhren und drückt auf die Fahrbahn. Die Folge sind Reparaturen mit Kosten in Höhe von annähernd 1,5 Millionen Euro - bislang.

Tunnel wird sicherer

Sicherheit kostet - im Fall des Engelbergtunnels weitere 5,2 Millionen Euro. Für das Geld wurden unter anderem zusätzliche Lampen eingebaut, die Beleuchtung der Fluchtwege verbessert und eine leistungsstärker Funkanlage eingebaut. Grund für die Nachbesserungen war eine neue Richtlinie für Ausstattung von Straßentunneln aus dem Jahr 2006.

Eine Stadt atmet auf

Ohne den neuen Engelbergtunnel mit seinen sechs Spuren in beiden Richtungen plus einen Standstreifen würde Leonberg im Verkehr ersticken. "Die A81 würde noch heute unsere Stadt durchschneiden", sagte OB Schuler bei der Tunneleröffnung, "die Menschen würden noch immer unter Lärm und Abgasen von bis zu 12.000 Autos täglich vor ihrer Haustür leiden". Am Autobahndreieck Leonberg waren es nach Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart 1995 rund 114.000 Fahrzeuge am Tag und rund 133.000 zehn Jahre später. Auf der A81 im Engelbergtunnel stieg die Zahl im selben Zeitraum von 84.000 auf gut 92.000. Jedenfalls brachte der Tunnel "eine massive Verbesserung der Gesamtsituation", so Schuler. In der Grabenstraße, der B295, zählte die Stadt vor zehn Jahren noch rund 28000 Fahrzeuge am Tag. Zwei Jahre später waren es noch etwa 26000 und im März dieses Jahres nur noch etwa 23000. Grund für den Rückgang: Ende vergangenen Jahres wurde der Autobahnanschluss Leonberg-West Ende eröffnet.

Partymeile und Gedenkstätte

Nachdem der Verkehr aus dem alten Tunnel im September 1998 verbannt worden war, wurden dort Feste gefeiert. Schimmelpilz, der sich in den Röhren ausbreitete, bedeutete drei Jahre später das Aus für die Partymeile. Danach wurden verschiedene Nutzungsmöglichkeiten diskutiert. Ideen gab es genug - vom Kulturzentrum bis zur Teststation für Autoscheinwerfer. Am Ende kam eine KZ-Gedenkstätte. Die Röhren wurden zugeschüttet, bis auf 25 Meter. Am Südportal der Weströhre wird mit einer Stahlwand an die fast 300 Opfer des NS-Regimes gedacht. Vom Frühjahr 1944 bis Ostern 1945 mussten in dem Tunnel Tausende KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter Tragflächen für Kampfflugzeuge herstellen.