Umstrittener VfB-Präsident: Claus Vogt. Foto: Baumann

Der vereinspolitische Konflikt rund um den Aufsichtsratsvorsitz der VfB AG und die Zukunft des e.V.-Präsidiums um Präsidenten Claus Vogt erreicht immer wieder neue Höhepunkte. Wir zeichnen die einzelnen Stufen der Eskalation nach.

Der vereinspolitische Konflikt beim VfB Stuttgart ist eskaliert. Wie kam es dazu? Wir zeichnen die Chronologie der Ereignisse der vergangenen zwölf Monate nach.

Spätes Frühjahr 2023 Erste Sondierungsgespräche zum späteren „Württemberger Weltmarkenbündnis“ der Unternehmen Mercedes, Porsche und MHP finden statt – unter anderem bei einem Barbecue auf der Terrasse des VfB-Vorstandsvorsitzenden Alexander Wehrle.

27. Juni 2023 Drei Wochen nach der Rettung in der Relegation präsentiert der VfB das Bündnis auf einer Pressekonferenz. Porsche erklärt seine Absicht, als neuer Investor und Sponsor beim Fußball-Bundesligisten einzusteigen. Die Porsche-Tochter MHP erwirbt für zehn Jahre die Namensrechte an der Heimspielstätte des VfB für rund 40 Millionen Euro. Im Sommer 2023 soll Präsident Vogt auch schon zugestimmt haben, im Zuge des Porsche-Einstiegs den Posten als Aufsichtsratschef der VfB AG abzugeben. Hier können Sie zudem noch einmal die Hintergründe zu den Abwahlplänen von Claus Vogt im Zuge der Mitgliederversammlung nachlesen.

Herbst 2023 Der offizielle Vollzug zieht sich, unter anderem aufgrund rechtlicher Prüfungen durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL). In deren Satzung ist verankert, dass kein Unternehmen an mehr als drei Clubs aus der ersten und zweiten Liga gleichzeitig beteiligt sein darf. Über die Porsche Holding SE sind die Porsche AG und der Volkswagen-Konzern verbunden – und der VfL Wolfsburg gehört zu hundert Prozent VW. Zudem hält der Autobauer aus Niedersachsen über das Tochterunternehmen Audi 8,33 Prozent am FC Bayern München und 19,9 Prozent am Drittligisten FC Ingolstadt.

23. Januar 2024 Die DFL gibt grünes Licht für den Einstieg von Porsche als Investor bei der VfB AG. Der Plan sieht vor, dass der Sportwagenhersteller rund 10,4 Prozent der Anteile für gut 40 Millionen Euro erwirbt. In einem ersten Schritt übernimmt Porsche 5,49 Prozent der Anteile, die zweite Tranche desselben Volumens soll im Sommer fließen.

3./4. Februar 2024 Rund um das Auswärtsspiel beim SC Freiburg geht der VfB-Führungszirkel in Klausur. Mit dabei sind neben dem Vorstand der AG sowie dem Präsidium und Vereinsbeirat des e.V. auf Einladung auch zwei Vertreter von Porsche – die Vorstandsmitglieder Lutz Meschke und Albrecht Reimold – sowie Mediatorin Ilka von Klitzing. Eine erste, sachlich geführte Diskussion über Trennung von Präsidentenamt und Aufsichtsratsvorsitz findet statt.

27. Februar 2024 Der Vereinsbeirat plädiert in einem internen Schreiben in Nachbetrachtung der Klausurtagung dafür, dass Aufsichtsratsvorsitz und das Präsidentenamt nicht getrennt werden. Dieses interne Schreiben wird rund zwei Wochen später mit einigen geschwärzten Passagen in der Mitteilung des Vereins verlinkt und so für jedermann zugänglich gemacht.

29. Februar 2024 Der Aufsichtsrat des VfB nimmt zwei Vertreter von Porsche auf – den stellvertretenden Vorstandschef und Finanzvorstand Lutz Meschke und den Produktionsvorstand Albrecht Reimold. Damit umfasst das Gremium jetzt elf Mitglieder.

7. März 2024 Der Aufsichtsrat kommt zu einer ordentlichen Sitzung zusammen. Streitpunkt ist die Frage, ob Claus Vogt weiter dem Gremium vorstehen soll.

8. März 2024 Der stellvertretende Aufsichtsratschef Peter Schymon verschickt eine erste Einladung zu einer außerordentlichen Sitzung für den 12. März wegen „Eilbedürftigkeit“. Das Ziel und der einzige Tagesordnungspunkt ist die Abwahl von Claus Vogt als Vorsitzendem.

9. März 2024 Claus Vogt reagiert mit einer Gegeneinladung.

10. März 2024 Die Aufsichtsratsmitglieder Tanja Gönner, Peter Schymon und Lutz Meschke legen Vogt einen Rücktritt aus „privaten und gesundheitlichen Gründen“ nahe, um den Weg für Gönner als neue Vorsitzende freizumachen.

12. März 2024 Die außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats beginnt zunächst in zwei verschiedenen Calls. Nach dem Zusammenschluss und der Ablehnung der von Claus Vogt vorgegeben Tagesordnung erklärt Vogt die Sitzung für beendet und verlässt den Call. Die restlichen Aufsichtsratsmitglieder votieren mehrheitlich für seine Absetzung als Vorsitzendem: Lediglich Rainer Adrion und Beate Beck-Deharde stimmen für Vogt, Christian Riethmüller enthält sich, der Rest votiert gegen Vogt.

12. März 2024 Um 17.22 Uhr wird die Neuordnung des Gremiums in einer Pressemitteilung bekannt gegeben – und Vogt dabei implizit die Eignung für das Amt des Vorsitzenden abgesprochen: „Mit den Aufsichtsratsmitgliedern unserer Partner Mercedes-Benz und Porsche bin ich der Meinung, dass in Zukunft die Idealbesetzung des Aufsichtsratsvorsitzenden ein Präsidiumsmitglied des Vereins sein sollte, das von den Mitgliedern direkt gewählt wurde und über die notwendigen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen verfügt“, wird Gönner zitiert.

13. März 2024 Die Vereinsgremien tagen bis spät in die Nacht. Eine Reaktion auf die Abberufung und deren Herleitung soll erfolgen, Schluss ist erst gegen 1.30 Uhr.

14. März 2024 Bereits um 5 Uhr morgens erfolgen erste weitere Abstimmungen.

14. März 2024 Um 8.02 Uhr geht eine Pressemitteilung raus, in der Vogt zum Gegenschlag ausholt. In dem Statement im Namen des Präsidenten und Vereinsbeirats (allerdings waren zwei Mitglieder dagegen) wird die Rechtmäßigkeit der Abstimmung im Aufsichtsrat angezweifelt und ebenso die Frage in den Raum gestellt, ob ein Verstoß gegen die sogenannte 50+1-Regelung vorliegt.

15. März 2024 Um 14.36 Uhr folgt die nächste Pressemitteilung mit Sprengkraft. VfB-Vizepräsident Rainer Adrion und Präsidiumsmitglied Christian Riethmüller bestätigen erstmals offiziell, dass Claus Vogt bei den Verhandlungen über den Einstieg von Porsche als Investor schriftlich zugesagt hat, das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden abzugeben. Dass Vogt VfB-Präsident bleiben kann, wird immer unwahrscheinlicher.

Rund zweieinhalb Stunden später gibt es schon die nächste Pressemitteilung, diesmal vom dreiköpfigen Vorstand der VfB Stuttgart AG. Alexander Wehrle (Vorsitzender), Thomas Ignatzi (Finanzen und Verwaltung) sowie Rouven Kasper (Marketing und Vertrieb) gießen mit ihrer Stellungnahme zwar kein weiteres Öl ins lichterloh brennende Feuer, äußern aber ihren Unmut. Und erklären, was sie tun wollen, um die Lage zu befrieden – man werde die Initiative ergreifen.

16. März 2024 Die Partie bei der TSG Hoffenheim gewinnt der VfB dank einer herausragenden Leistung mit 3:0. Inmitten der spielerisch besten Halbzeit der Saison sendet die organisierte Fanszene (oder zumindest ein Teil davon) ein Ultimatum an die zerstrittene Chefetage. Auf dem Plakat in ihrem Block steht unmissverständlich: „Mitglieder verkauft & verraten – ihr habt zwei Wochen Zeit, diesen Fehler zu korrigieren“. Nach der Partie sucht Präsident Claus Vogt im Innenraum demonstrativ den Schulterschluss mit einigen Fans.

19. März 2024 Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Tanja Gönner, als Vorsitzende des Aufsichtsrates „wohl eine Übergangslösung“ zu sein. Sie betont, dass künftig der Chefposten im Aufsichtsrat wieder von einem durch die VfB-Mitglieder gewählten Präsidiumsmitglied übernommen werden soll. Sie selbst habe „keinerlei Ambitionen“, ins VfB-Präsidium einzuziehen.

22. März 2024 In einem Statement, das mit „Cannstatter Kurve“ unterzeichnet ist und folglich nicht nur von den Ultragruppen stammt, prangert die organisierte Fanszene die „Zerstrittenheit des Präsidiums“ an und fordert den sofortigen Rücktritt von Claus Vogt, Rainer Adrion und Christian Riethmüller: „Wir haben die Schnauze voll.“ Einen Rückzug vor der nächsten Mitgliederversammlung, die baldmöglichst stattfinden solle, schließen Adrion und Riethmüller für sich aus: „Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Verein und allen seinen nahezu 100 000 Mitgliedern.“

27. März 2024 Unter dem Motto „Es reicht!“ fordert der Fan-Zusammenschluss „Cannstatter Kurve“ alle Anhänger auf, aus Protest beim nächsten Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim schwarze Kleidung zu tragen. Präsident Claus Vogt schließt im „Kicker“-Interview seinen Rücktritt aus: „Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ unseres Vereins, diese hat mich auch gewählt. Nur und ausschließlich diesem Gremium bin ich verpflichtet und Rechenschaft schuldig, welcher ich nachkommen werde.“

29. März 2024 Keine Aktion ohne Reaktion in der vereinspolitischen Malaise beim VfB Stuttgart. Auf das nicht mit der eigenen Medienabteilung abgestimmte Interview von Vogt reagieren die VfB-Vorstände Alexander Wehrle und Rouven Kasper mit einem eigenen Interview. „Claus Vogt hat dem VfB Stuttgart großen Schaden zugefügt“heißt es da. Die Situation als völlig verfahren zu bezeichnen, ist nicht untertrieben.

6. April 2024 Die Fanprostete enden nicht. Auch beim Spiel in Dortmund, der größten Kulisse der Bundesliga, kommt von den rund 8000 mitgereisten Fans zu Beginn nichts als Schweigen. Dann folgt wie zuletzt immer eine große Wolke schwarzer Rauch. Erst danach legen die Fans los – und nehmen stimmgewaltig die Dortmunder hops – und das, obwohl die anlässlich von 50 Jahren Westfalenstadion genug zu feiern hatten. Bemerkenswert: auch die Dortmunder Südtribüne zeigt ein Spruchband, mit dem das VfB-Präsidium adressiert wird. Angesichts des Verhältnisses der Fans umso bemerkenswerter. Schließlich sind sich beide Lager seit Jahren in tiefer Abneigung verbunden.

10. April In Bad Cannstatt werden in einer Aufsichtsratssitzung wichtige Weichenstellungen getroffen. Doch damit nicht genug. Ohne Vorwarnung verkündet VfB-Präsidiumsmitglied Christian Riethmüller seinen Rücktritt – nicht ohne via privatem Facebook-Account zu einem Rundumschlag auszuholen. Einige Tage zuvor wurde ein PDF bekannt, das einer Initiative zuzuordnen ist, die Vogt stürzen will. In den Metadaten als Bearbeiter verewigt: Riethmüller. Dessen Versuch, diesen Umstand zu bagatellisieren, hat nicht wirklich Erfolg.

13. April Die Fanproteste erreichen ein neues Level, werden kreativer. Plakate und Aufkleber werden gedruckt und verteilt, auf den Parkplatzschildern des Präsidiums an der Geschäftsstelle firmieren diese kurzfristig als „Verräter des e.V.“. In einer vor dem Spiel gegen Frankfurt stattfindenden Fanausschusssitzung wird der Konflikt nicht weiter thematisiert – obwohl Wehrle, Vogt und führende Fans beziehungsweise Vertreter von Fangruppen dort gemeinsam an einem Tisch saßen. Vor dem Spiel fand derweil die feierliche Eröffnung der für die anstehende EM im Sommer ertüchtigten Arena statt. In trauter Gemeinsamkeit lächelten dabei Wehrle, Vogt und Porsche-Vertreter Lutz Meschke in die Kameras, als gäbe es die schwelenden Konflikte im Hintergrund überhaupt nicht.