Hochsensible Messgeräte zeichnen den Schall in sieben Wohnungen auf – Experten aus Wuppertal hoffen, auf diese Weise ein bestimmtes Muster zu finden Foto: Horst Rudel

Immer mehr Menschen in der Region Stuttgart werden von einem rätselhaften Brummen um den Schlaf gebracht. 100 von ihnen haben sich inzwischen zusammengeschlossen. Einen ersten Erfolg gibt es jetzt: Experten haben am Dienstag Messungen gemacht.

Leinfelden-Echterdingen - „Heute ist es wieder so richtig krass“, sagt eine Betroffene aus Leinfelden. In ihrem Schlafzimmer kann sie die Belastung derzeit nicht ertragen. Die Brummgeräusche und die damit verbundenen Vibrationen, die seit Jahren viele Menschen in der Region, aber auch darüber hinaus plagen, werden nicht von jedem wahrgenommen. Diejenigen, die sie spüren, leiden allerdings massiv unter dem tieffrequenten Schall, der erwiesenermaßen krank macht. Seine Herkunft ist nach wie vor ungeklärt. Doch die Ursachensuche geht jetzt ein Stück voran.

In dem Schlafzimmer sind nämlich an diesem Abend zwei Schallschutzexperten am Werk. Das Büro, hinter dem unter anderem Professor Detlef Krahé von der Universität Wuppertal steht, hat von der Stadt Leinfelden-Echterdingen den Auftrag erhalten, dem Phänomen auf die Spur zu gehen. 5000 Euro hat der Gemeinderat nach harten Diskussionen dafür bewilligt. Eigentlich zu wenig, zumal aus dem benachbarten Stuttgart, wo es ebenfalls viele Betroffene gibt, bisher keine Signale einer Unterstützung kommen.

Doch die Experten sind trotzdem angerückt. Am Dienstag haben sie sieben Wohnungen von Betroffenen in Leinfelden mit moderner Messtechnik ausgestattet. Einen Tag lang haben sie damit die Schalldruckpegel aufgezeichnet. Es geht darum, die gemessenen Frequenzen zu analysieren und bestimmte Muster herauszufinden. Besonders unter Beobachtung steht dabei eine Gashochdruckstation der Netze BW an der Autobahn. Sie könnte eine mögliche Ursache sein und ist zeitweise abgeschaltet worden, um zu sehen, ob sich der aufgezeichnete Infraschall dadurch verändert.

Ergebnisse erst im November

Die Auswertung der Messung wird allerdings eine ganze Weile auf sich warten lassen. Erste Ergebnisse sollen erst im November beim nächsten Runden Tisch der Betroffenen vorgestellt werden. Das hinterlässt bei ihnen und ihren Unterstützern kein gutes Gefühl. Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt könnte in ihren Augen noch deutlich besser sein.

„Die Informationen fließen – wenn überhaupt – nur spärlich“, kritisiert Stadträtin Sabine Onayli von der Liste Engagierte Bürger. Auch auf ihr Betreiben hin ist das Thema überhaupt erst im größeren Kreis auf den Tisch gekommen. Dabei steigt die Zahl der Betroffenen, die sich melden, ständig. Viele kommen aus Leinfelden oder Möhringen, es gibt aber auch Kontakte nach Bad Cannstatt, Kornwestheim oder Filderstadt. Einige berichten, dass auch Ohrenärzte in der Region immer mehr Patienten verzeichneten, die wegen anhaltender Brummgeräusche kommen. In der Regel werden aber keine gesundheitlichen Gründe gefunden.

Das Land hat sich bereits vor rund 15 Jahren mit dem Thema Brummton beschäftigt – damals weit gehend ergebnislos (siehe Hintergrundkasten). Jetzt ist das Problem erneut bei der Landesregierung aufgeschlagen. Die FDP-Landtagsfraktion hat in einer Kleinen Anfrage eine ganze Reihe von Auskünften eingefordert. Die Antwort von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fällt allerdings ernüchternd aus. Sowohl die früheren Messungen als auch aktuelle Untersuchungen des Landratsamts Esslingen und der Landesanstalt für Umwelt in Leinfelden-Echterdingen hätten keine Auffälligkeiten ergeben. Die tieffrequenten Geräusche dort lägen deutlich unter der Hörschwelle. Es liege deshalb im rechtlichen Sinne „keine erhebliche Belästigung vor“.

Land lehnt jede Unterstützung ab

Das Land sieht deshalb keinerlei Möglichkeit, die Betroffenen zu unterstützen – zumal ein größeres Einsteigen im Zuge eines „wissenschaftlichen Gesamtkonzepts“ zu teuer wäre. Hermann geht sogar noch weiter, denn er gibt auch den aktuellen Untersuchungen durch das Wuppertaler Büro keine Chance auf Erfolg: „Weitere Messungen dürften aus fachlicher Sicht im vorliegenden Fall in Leinfelden-Echterdingen zu keinem weiteren Erkenntnisgewinn führen.“

Die vielen Brummton-Geplagten hoffen, dass diese Prognose nicht zutrifft. Sie wollen weiter jeder Spur nachgehen. Neben der Gashochdruckstation spielt in der Diskussion derzeit auch der Mobilfunk wieder eine Rolle – und zwar nicht der Funk an sich, sondern nicht entkoppelte Masten. Auch dort ist offen, ob und wann es Ergebnisse gibt.

Die Betroffenen bauen derzeit eine eigene Internetseite auf. Die ersten Informationen gibt es dort schon unter der Adresse www.brummton-region-stuttgart.de.

Hintergrund: Mysteriöses Phänomen

Weltweit tritt immer wieder ein vergleichbares Phänomen auf. Auf Englisch heißt es Taos-Hum, also Taos-Brummen, benannt nach einer Kleinstadt in den USA. Dort hörten einige der Einwohner das Geräusch bereits in den 90er Jahren. Aufwendige Untersuchungen brachten kein Ergebnis. Selten wird für die mysteriösen Geräusche, die die Betroffenen nachts um den Schlaf bringen und manchmal gar als Vibrationen wahrgenommen werden, eine Ursache gefunden. Die Gepeinigten glauben zuerst oft an technische Defekte im Haus, die sich aber meist ebenso wenig bestätigen wie äußere Quellen, etwa Baustellen, oder gesundheitliche Ursachen.

In Baden-Württemberg ist das Phänomen um die Jahrtausendwende herum verstärkt diskutiert worden. Nachdem sich im Jahr 2000 einige Betroffene aus der Region Herrenberg öffentlich geäußert hatten, meldeten sich Hunderte Leidensgenossen aus dem ganzen Land. Einige erstatteten wegen Körperverletzung Anzeige gegen unbekannt. Auch eine Petition in den Landtag wurde eingebracht.

Schließlich gab das Umweltministerium eine Untersuchung bei der Landesanstalt für Umweltschutz in Auftrag. Deren Fachleute befragten Betroffene und rückten anschließend mit filigraner Messtechnik in 13 ausgewählten Wohnungen in ganz Baden-Württemberg an. Dabei stellten sie zwar in unterschiedlicher Ausprägung Geräusche, Erschütterungen und Magnetfelder fest, aber bis auf zwei Standorte lagen sie alle unterhalb der Hörschwelle. Weil sich so keine einheitliche Ursache feststellen ließ, wurde die Untersuchungsakte im März 2002 geschlossen. Seither tauchen immer wieder Fälle in unterschiedlichen Regionen auf. (jbo)


http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.mysterioeses-geraeusch-immer-mehr-brummton-geplagte.2e2057c1-629c-4d4c-ba79-855d3d796736.html " title=" " class="system-pagebreak">