Die Radtour beginnt an Schillers Geburtshaus: Birger Laing, Georg Hesse und Oliver von Schaewen (von links). Foto:  

Wie spannend ist eine literarische Radtour? Wir waren auf den Spuren Friedrich Schillers und anderer schwäbischer Dichter am Neckar unterwegs und fuhren von Marbach nach Ludwigsburg und wieder nach Marbach.

Marbach - Wie spannend ist ein Literatur-Radausflug vor der eigenen Haustüre? Diese Frage treibt mich schon lange um. Natürlich könnte ich mich einfach auf mein Zweirad setzen, ein gutes Buch mitnehmen und darin in den Pausen lesen. Aber dann würde ich Wesentliches verpassen. Kleine Schmankerl aus dem Leben Friedrich Schillers etwa. Oder Erlebnisse anderer schwäbischer Poeten. Genau das aber verspricht ein etwa drei- bis vierstündiger Trip mit Birger Laing, dem Vorsitzenden des Schillervereins Marbach. Laing kennt sich wie kaum ein anderer im Leben des Marbacher Dichterfürsten aus und bietet seit etwa 20  Jahren mit einigen Freunden regelmäßig literarische Spaziergänge in Marbach, Ludwigsburg und Stuttgart an.

Thematisch stilsicher treffen wir uns um 10 Uhr an Schillers Geburtshaus. Mit Georg Hesse nimmt ein interessierter Freund als dritter Mann an der etwa 32 Kilometer langen Tour über Benningen, Freiberg, dem Schloss Monrepos und der Ludwigsburger Innenstadt teil. Wir folgen dem offiziellen Literarischen Radweg Nummer 5, wie er in der Reihe „Per Pedal zur Poesie“ von der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, ansässig im Deutschen Literaturarchiv Marbach, entwickelt wurde. „Hier im Schwäbischen haben wir eine unheimliche Dichte an Literaturgedenkstätten – wie vielleicht sonst nur noch in Thüringen, wo ja auch noch Johann Sebastian Bach an vielen Orten gelebt hat“, schwärmt Birger Laing.

Strahlender Sonnenschein und eine angenehme Brise verschönern uns den Einstieg in die Tour. Laing erzählt die Geschichte von der Geburt Schillers. „Fast wäre er in Pleidelsheim geboren worden, wo sein Vater stationiert war und seine Mutter an dem Tag zu Besuch war.“ Doch Dorothea, die gebürtige Marbacherin aus dem nahen Goldenen Löwen, schaffte es zum Glück Marbachs mit ihren Wehen noch ins Haus in der Niklastorstraße.

Solche Geschichten sind das Salz in der Suppe der geführten Radtour. Man merkt Birger Laing an, dass er für Schiller brennt und es genießt, Details aus der Historie zu entfalten. „Mir gefiel Schillers Philosophie und sein Sinn für Ästhetik schon während des Studiums“, erzählt der Jurist und Philosoph, der dem oft egoistischen Treiben der Wirtschaftswelt entsagte und seit vier Jahren das Antiquariat „Friedrich“ nahe dem Geburtshaus betreibt. Eine kleine Rose am Lenker seines Fahrrads spiegelt die Devise Laings und Schillers gleichermaßen wider: „Man sollte es sich schön machen im Leben.“

Ganz in diesem Sinne erreichen wir nach etwa 45 Minuten flotter Fahrt die zweite Station: Schloss Monrepos im Norden von Ludwigsburg. Dort machen wir es uns auf einer Wiese gemütlich. Es macht Spaß, Birger Laing zuzuhören, wenn er davon erzählt, dass Schillers schon bald in die Garnisonsstadt Ludwigsburg umzogen und Friedrich als Kind das Exerzieren beobachtet, sodass er es später im Drama „Wallenstein“ genau beschreiben konnte. Und wer weiß schon, dass der 13-Jährige nach dem Wunsch seines Vaters Theologie studieren sollte, aber am despotischen Herzog scheiterte, der seinen Untergebenen dreimal aufforderte, seinen Sohn auf die hohe Karlsschule beim Schloss Solitude zu schicken – sodass der Vater gar nicht mehr anders konnte. Wo Schiller dann den unmenschlichen Drill erlebte, dem er zu entkommen trachtete.

Mit einem Kenner an einem solchen Ort ins 18. und 19 Jahrhundert und in das Leben Schillers in Stuttgart, Mannheim, Weimar, Jena und anderen Orten einzutauchen, beflügelt die eigene Fantasie. Lässt Fragen stellen – Birger Laing beantwortet sie gerne, spinnt den Faden weiter, erzählt neue Geschichten. Die Zeit verfliegt, und doch muss es weitergehen. „Meistens sind die Gruppen mit etwa zehn Personen vertreten“, berichtet er. Stadtspaziergänge durch Stuttgart oder Ludwigsburg würden gebucht, aber auch die Radtouren, mit denen sich Betriebe einen Ausflug gönnten. „Ich hatte auch schon mal eine Gruppe Techniker und war überrascht, wie viel Spaß die hatten.“

Ernster wird es am Gefängnis Hohenasperg, in das der Herzog Carl Eugen auch den bekannten Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart zehn lange Jahre einsperrte, nachdem ihn ein Freund bei Blaubeuren in eine Falle gelockte und den Schergen des Herzogs ausgeliefert hatte. Wir drei Radfahrer denken an die lange Zeit und tiefer Respekt erfüllt uns beim Gedanken, wie viel Schubart und andere Kämpfer für Demokratie und Freiheit riskieren. „Zehn Jahre erscheinen uns lang“, sagt Laing, „aber manche Gefangene in der Türkei sitzen auch schon seit 1000 Tagen ein.“ Wir fühlen uns ohnmächtig, sind uns aber einig: Wichtig ist, dass man über Amnesty International die Gefängnisbetreiber daran erinnere, dass diese Schicksale nicht vergessen werden.

Durch enge Gassen der Barockstadt geht es zum Marktplatz. Hier ist gewissermaßen das geografische Epizentrum schwäbischer Dichterexistenzen. Eduard Mörike, Justinus Kerner, David Friedrich Strauß – und ganz nebenbei zeigt Laing im Vorüberfahren auf ein Haus am Schillerplatz, in dem die Geschwister Scholl eine Zeit lang lebten. Nach einer Tasse Kaffee geht es schon zurück. Die Tour endet auf der Marbacher Schillerhöhe – und es ist schön zu sehen, was im Namen der dichterischen und gedanklichen Freiheit dort alles entstanden ist. Fazit: Eine literarische Fahrradtour am Neckar bei Marbach lässt Geschichte lebendig werden – und ist eine Reise wert.