Mark Foto: Frank Wewoda


Im Frühjahr ziehen Flüchtlinge in die neuen Unterkünfte in Steinheim. Der Freundeskreises Asyl baut für das Miteinander im Ort vor.

Steinheim/Kleinbottwar - - In Steinheim in der Maybachstraße und in Kleinbottwar in den Stangenwiesen sind die Bauarbeiten für die neuen Asylunterkünfte in vollem Gange. Bevor hier voraussichtlich im Mai Flüchtlinge einziehen, haben sich Ortsvorsteher Manfred Waters, 75 Jahre alter Offizier im Ruhestand, die Marketingberaterin Evelin Tschernay (35), und Markus Otto, 51 Jahre alter Ingenieur, im Beisein unserer Zeitung zum Austausch getroffen. Die beiden Kleinbottwarer gehören dem Freundeskreis Asyl Steinheim an, unter dessen Dach sie das Projekt „Willkommen in Kleinbottwar“ gegründet haben. Die Menschen in der Kleinbottwarer Asylunterkunft werden die ersten Flüchtlinge überhaupt im Teilort sein. Das fordert heraus, denn bei einer Bürgerversammlung 2016 waren auch Bedenken und Ängste laut geworden.

Seit wann und warum engagieren Sie sich im Freundeskreis Asyl Steinheim?
Evelin Tschernay:
Ich bin seit zwei Jahren beim Freundeskreis Asyl dabei. Mir geht es vor allem um die Gemeinschaft in Steinheim und hier in Kleinbottwar. Ich war im Februar 2016 bei der großen Bürgerversammlung in Kleinbottwar und war kurz davor, mich zu Wort zu melden, weil ich eine ablehnende oder eher ängstliche Stimmung wahrgenommen habe und mir dachte, dass daran etwas geändert werden muss. Da ging es ja noch um die Standortplanung. Alle haben gesagt: „Bei uns nicht, wir wollen keine Asylunterkünfte vor unserer Haustüre!“ Das war der Anlass für mich zu sagen: Der Freundeskreis Asyl muss hier vor Ort aktiv werden.
Ich möchte, dass das Leben hier friedlich und harmonisch bleibt und dass eine gute Gemeinschaft gepflegt wird. Als ich meine Idee im Freundeskreis vorgestellt habe, war Markus Otto, auch Kleinbottwarer, gleich Feuer und Flamme. Das Projekt „Willkommen in Kleinbottwar“ war geboren und das Planen ging sofort los. Zu zweit ging es gleich besser – und so haben wir gute Startbedingungen.
Wie war es bei Ihnen, Herr Otto?
Markus Otto:
Ich saß an einem Sonntagmorgen 2016 gemütlich beim Frühstück und habe in der Zeitung gelesen, wie es mit den Planungen hier in Kleinbottwar für die Flüchtlingsunterbringung vorangeht. Da war mir klar: Das Thema findet nicht nur im Fernsehen in anderen Gemeinden und Städten statt, sondern wird auch hier vor Ort für uns spürbar werden. Da stellte sich die Frage: Was machen wir jetzt? Man kann das Schicksal natürlich beweinen – oder man kann es in die Hand nehmen. Wir wollten zumindest versuchen, in dem kleinen Umfeld, in dem wir etwas bewegen können, aktiv zu sein. Das war dann der Auslöser für mich und meine Frau, beim Freundeskreis Asyl vorbeizugehen. Meine Frau engagiert sich seither in der Schulnachhilfe für Geflüchtete in Deutsch, Mathe und Englisch. Ich bin hier jetzt dabei, einfach auch aus der Überzeugung heraus, dass es immer besser ist, mit den Menschen zu reden, die hier neu nach Deutschland kommen, als über sie. Was ich in einem Jahr beim Arbeitskreis festgestellt habe: Jeder dieser Geflüchteten hat seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal. Wenn man zu stark pauschalisiert über „die Flüchtlinge“ spricht, wird das der Situation in keinster Weise gerecht.

Würden Sie für Steinheim und Kleinbottwar die Unterbringung in Privathäusern bevorzugen, wenn die Kapazitäten dafür da wären wie etwa in Affalterbach derzeit?
Markus Otto:
(denkt lange nach) Ja und nein. Wenn ich rein auf die Möglichkeit der zwischenmenschlichen Vernetzung blicke, ist eine Unterbringung in Kleingruppen leichter, weil direkte Kontakte zur Nachbarschaft entstehen. Administrativ sind die Geflüchteten, wenn sie zentral untergebracht sind, sicher leichter zu erreichen, wenn ich daran denke, welche Probleme wir derzeit in Steinheim haben, alle an immer wieder anderen Adressen aufzusuchen. Da gibt es für mich kein richtig und falsch. Es hat beides seinen Preis am Ende. Wir bekommen jetzt aber nun einmal die zentrale Unterkunft hier. Dann tun wir gut daran, die Chancen, die damit verbunden sind, zu nutzen.
Evelin Tschernay:
Die Frage stellt sich nicht. Wir haben die zentrale Unterbringung. Jetzt machen wir das Beste daraus. In Steinheim und in Kleinbottwar wird es Sozialräume geben, also zentrale Bereiche für Veranstaltungen. Und das ist genau, was uns bisher fehlt: Ein fester Ort, an dem wir uns treffen können.
Ortsvorsteher Manfred Waters:
Die Zahl der in Kleinbottwar ankommenden 40 Menschen ist sehr überschaubar. Ich vermute auch, dass nicht 40 Flüchtlinge auf einen Schlag hier in Kleinbottwar auf der Matte stehen oder 60 auf einmal in Steinheim, die dann zu betreuen sind. Ich kann nur hoffen, dass sie nach und nach oder Familie für Familie kommen.
Was sind Ihre aktuell dringlichsten Aufgaben und Pläne vor Ort?
Markus Otto:
Für uns ist es jetzt wichtig, unser Netzwerk enger zu knüpfen mit den Vereinen und Institutionen hier. Und wir brauchen weitere Helfer, die sagen: Ich nehme mir einmal in der Woche wenigstens eine Stunde Zeit, um zu helfen. Das kann darin bestehen, ein Café mitzuorganisieren, Nachhilfe zu geben oder auch mit den Kindern Fußball zu spielen. Ideen gibt es sehr viele. Jetzt müssen wir mehr Steinheimer und Kleinbottwarer dazu bringen, sich auf das Projekt einzulassen.
Evelin Tschernay:
Aktuell haben wir hier in Kleinbottwar keine Geflüchteten. Wir informieren die Menschen jetzt. Die Bürger fragen sich ja zu Recht, was da vor ihrer Haustür passiert. Da möchten wir versuchen, so viele und so vollständige Informationen bereitzustellen wie möglich, etwa: Ja, es entstehen Wohnungen hier, die für Familien ausgelegt sind. Aber ob Familien kommen, wissen wir nicht. Wir haben keinen Einfluss darauf, wer uns zugeteilt wird. Wir planen einen Tag der offenen Tür, bevor die Geflüchteten hier einziehen. Das hatte die Stadt ohnehin geplant und ist froh, dass der Freundeskreis Asyl sie unterstützt. Wir machen das gemeinsam. Wir wollen aber auch nichts übermäßig herrichten – so, als würden wir den roten Teppich ausrollen. Es geht darum, dass die Menschen merken, dass sie willkommen sind und nicht abgelehnt werden. Deshalb wollen wir mit den Leuten im Ort vorher schon ins Gespräch kommen, um Missverständnissen vorzubeugen. Wenn dann doch Ablehnung da ist, müssen wir sehen, wie wir dem begegnen, aber es wird anders sein, als wenn wir nichts getan hätten.
Frau Tschernay und Herr Otto, fühlen Sie sich manchmal als Lückenbüßer für fehlende Stellen bei der Flüchtlingsarbeit in der öffentlichen Verwaltung ?
Evelin Tschernay:
Nein, wir fühlen uns nicht als Lückenbüßer, wir machen das gerne. Aufgabe der Verwaltung ist es, die Leute unterzubringen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Integration muss auch aus der Stadt heraus kommen. Das funktioniert in der Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und uns sehr gut, weil alle Parteien dasselbe wollen und miteinander reden. Dennoch ist jede zusätzliche Person, die beim Freundeskreis hilft oder die bei der Stadt angestellt werden kann, gut.
Markus Otto:
Ich sehe mich auch nicht als Lückenbüßer, denn wir setzen an Stellen an, in die die Verwaltung gar nicht hereingeht. Ich persönlich finde es auch nicht richtig, alle Aufgaben grundsätzlich immer an die Verwaltung zu delegieren und sich als Bürger einfach nur gemütlich zurückzulehnen. Ich glaube, wir müssen als Bürger schon überlegen, was jeder Einzelne persönlich tun kann. Ich glaube, ein gutes Gemeinwesen kann nicht nur darauf basieren, als Bürger die Steuern zu bezahlen, sondern hängt auch ab von persönlichem Engagement, das jeder Einzelne in die Gemeinschaft einbringt.
Was entgegnen Sie, wenn gesagt wird, Flüchtlinge seien Schmarotzer und würden uns allen auf der Tasche liegen ?
Markus Otto:
Wir müssen gesellschaftlich dann die Frage stellen, für welche Werte wir einstehen wollen. Es ist eben ein Wert, den Flüchtlingen, die zum Beispiel aufgrund religiöser oder politischer Verfolgung oder aufgrund von Krieg und Zerstörung ihre Heimat verlassen mussten, um einfach ihr Leben zu retten, die Hand zu reichen und zu sagen: Ich bin bereit, etwas meines materiellen Wohlstands abzugeben für diese Menschen, auch über das Grundgesetz hinaus.
Das ist dann eine Frage auch der ideellen Werte. Wollen wir dann nicht auch Geld dafür ausgeben? Natürlich könnte Steinheim das Geld auch an anderer Stelle ausgeben, vielleicht für ein Schwimmbad oder ein noch besseres Jugendhaus. Es gäbe sicher eine lange Liste mit Orten, wo auch Geld willkommen wäre. Aber am Ende ist es eine Frage der Werte.
Ortsvorsteher Manfred Waters:
Das Grundgesetz und das Völkerrecht lassen uns keinen Spielraum. Somit sind wir in der Wertegesellschaft, in der wir leben. Ich kann ja noch darüber reden, wie während und nach Ende des Zweiten Weltkriegs Flüchtlinge aufgenommen wurden. Allerdings waren das damals Deutsche. So taten sich die Gräben zwischen evangelischen Einheimischen und katholischen Flüchtlingen auf oder umgekehrt. Für viele Leute war das ein großes Problem. Es hat sich aber alles eingespielt. Es war auch auf längere Sicht nicht schädlich und hat ja auch die Gesellschaft ebenso wie die Wirtschaft beflügelt. Ich glaube, wenn jetzt Menschen aus anderen Kulturen hierher kommen, dann kann das sicher auch beflügeln und bereichern. Zum anderen muss man aber auch eine Bemutterung oder aufgepropfte Versorgung verhindern. Man darf auch nicht die eigene Kultur wegstecken. Das ist oft das Problem. Die eigene Kultur muss vertreten werden. Die Gastkultur ist die, die man mitnimmt.