Christa Schultheiß (links) ist es wichtig, während der Fahrt mit ihren Gästen ins Gespräch zu kommen. Foto: KS-Images.de (1), Julia Amrhein (3)

Die E-Tuk Tuks sind wohl jedem schon aufgefallen. Warum nicht mal mitfahren und die Sehenswürdigkeiten von Marbach aus einer anderen Perspektive kennenlernen?

Marbach - Die Schiller- und Literaturstadt Marbach hat schon viele Gäste von Rang und Namen begrüßen dürfen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist aber der Besuch der Queen Elizabeth II. im Jahr 1965. Und nun – gut 55 Jahre später – trete ich in die Fußstapfen Ihrer Majestät. Menschen am Straßenrand und in den Cafés beobachten meine Fahrt und winken mir zu. Nur sitze ich nicht einer Limousine, sondern in einem knallroten Tuk Tuk namens „Chilli“.

Fünf Jahre gibt es die Tuk Tuk Tours nun schon. Und passend dazu breche ich an diesem Sommertag zur Jubiläumstour auf. Die habe ich mir ausgesucht, da sie in der Beschreibung auf der Homepage ein tolles Gesamtpaket verspricht: Menschen, Museen, Restaurants und Gassen, in denen es sich lohnt, Zeit zu verbringen. Und Christa Schultheiß nimmt meine Herausforderung nur zu gerne an: „Es ist auch mal spannend, jemandem Marbach zu zeigen, der die Stadt eigentlich schon kennen müsste.“ Denn wie es der Zufall so will: Auch ich habe ein „Jubiläum“ und arbeite nun seit genau fünf Jahren bei der Marbacher Zeitung. Doch ich bin mehr als zuversichtlich, dass ich noch viel Neues über die Schillerstadt erfahren kann.

Zuerst gilt es jedoch, eine sportliche Herausforderung zu meistern. „Vorsicht beim Einstieg und den Kopf einziehen“, warnt mich Christa Schultheiß vor. Ist das Einsteigen ohne Zusammenprall mit dem Dachrahmen des Tuk Tuks gemeistert, kann die Fahrt schon losgehen. Meine Fahrerin will erst einmal von mir wissen, wie denn so mein erster Eindruck der Schillerstadt gewesen ist als ich herkam und welche Erwartungen sich erfüllt oder auch nicht bestätigt haben. Denn die Rundfahrt ist keine „One-Woman-Show“: „Ich will mit meinen Gästen ins Gespräch kommen, um deren Hintergründe und Vorwissen zu erfahren.“ Dadurch ist keine Tour wie die andere, sondern stets individuell.

Ich war im Deutsch-Leistungskurs und habe neben dem Studium in einer Buchhandlung gearbeitet. Literatur ist also schon mein Ding und so ist natürlich das Literaturarchiv mit den Museen das prägende Element von Marbach. Unser Weg führt also zuerst einmal zur Schillerhöhe, wo wir es uns auf der Plattform mit Blick auf den Neckar bequem machen und ins Gespräch – und ich ins Staunen – komme. Dass der Park von Bürgern „mit Schaufel und Spaten“ angelegt worden ist, um dem Schillerdenkmal ein würdiges Plätzchen zu bescheren wusste ich so nicht. Schwer vorstellbar, dass dort einmal ein Steinbruch war. Der lässt sich am Spielplatz noch erkennen. Die Museen selbst betrachten wir im Hinblick auf ihre Architektur. Und Christa Schultheiß macht hier Touristen wie Bürgern Mut, mehr Angebote anzunehmen: „Man muss sich einfach darauf einlassen. Es gibt tolle kostenlose Führungen und Vorträge, für die es kein Fachwissen braucht.“ Dazu lädt das Museums-Café zum Verweilen ein.

Wir fahren flott weiter – das mit einem Elektromotor angetriebene Gefährt schafft theoretisch bis zu Tempo 45 – und halten an der Trattoria Toscana, wo uns Eugenio Dominech einen Imbiss reicht. Durch die Marktstraße geht es weiter zum Burgplatz und dem Torturm – neben Schillers Geburtshaus das Wahrzeichen der Stadt schlechthin. Heute ist der eine Sehenswürdigkeit, früher war der Durchgang als Stadttor für die Sicherheit der Marbacher unabdingbar. Wir wandeln auf historischen Wegen in die Holdergassen weiter, „dem schönsten Teil der Stadt“, so Schultheiß. Dem kann ich nur zustimmen: Wie oft bin ich schon durch die Gassen geschlendert? Anno dazumal hätte ich mir das aber wohl eher nicht erlaubt, erfahre ich: „Viele Eltern haben ihren Töchtern verboten in die Holdergassen zu gehen.“ Vor allem Bauern und einfache Leute lebten dort früher, davon wollten viele Bürger sich abgrenzen. Und auch der Haspelturm liefert ein düsteres Kapitel der Stadtgeschichte. Die Kehrtwende kam durch Zugezogene und die heutigen Bewohner, die ihre Häuser mit viel Liebe zum Detail renovierten und bis heute pflegen: „Die Menschen in den Holdergassen sind das Salz in der Suppe.“ Dazu gehört etwa Dieter Baader, der mit seiner Salzscheuer ein echtes Unikat ist. Aber auch die Familie Zell ist aus den Gassen nicht wegzudenken.

Vor deren Haus halten wir mit dem Tuk Tuk, um einen Blick in den kleinen Schmuckladen zu werfen, der bei der Tour symbolisch auch für die anderen kleinen Lädchen in den Gassen steht. Außerdem entdecke ich hier den „Galgenhonig“. Den produzieren die Kinder der Familie Zell. Ihre Völker stehen – wo auch sonst – auf dem namensgebenden Galgen. Von dort schwärmen die Insekten schließlich auf die benachbarten Streuobstwiesen aus. Lokaler geht es wohl kaum.

Nun ist Zeit für einen weiteren Imbiss: Diesmal gibt es ein Spinatküchlein vom Amaranth. Die Stopps bei Gastronomen kommen nicht von ungefähr, erklärt Christa Schultheiß: „Ich will Inspiration liefern, nach der Rundfahrt noch in der Stadt zu verweilen.“ Die Touren starten meist so, dass sich ein Mittag- oder Abendessen im Anschluss anbietet. Wir genießen unseren Snack auf der Fahrt, die jetzt zur Alexanderkirche führt. Zu deren Füßen liegt mit der Bleichweise und den Handwerkerhäusern der älteste Teil der Stadt. Die Erklärung: „Hier führte einmal ein alter Handelsweg entlang.“

Wir besuchen dagegen zum Abschluss der Fahrt eine relative neue Attraktion der Stadt: Durch die Weinberge geht es zur Aussichtsplattform über dem Neckar. Urlaubsgefühl pur! Hier genießen wir bei einem Gläschen alkoholfreien Sekt den Ausblick über Marbach und Benningen. Außerdem überreicht Christa Schultheiß mir noch eine Tasche mit jeder Menge Infomaterial über die Stadt und einem Schiller-Gutschein über fünf Euro. Den bekommt übrigens jeder Fahrgast der Jubiläumstour – mit einer Auflage: „Bitte noch in dieser Saison ausgeben.“ Das soll den anderen Selbstständigen in Marbach besonders jetzt nach der Krise helfen. Eine schöne Geste! Wir fahren schließlich wieder zurück zum Torturm wo ich dann aussteige – mit mehr Wissen und einem neuen Bewusstsein dafür, wie viele schöne Ecken es hier direkt vor der Haustüre gibt. Nur: Wo waren eigentlich die Pferde?