Mitglieder des Vespa Clubs auf einer gemeinsamen Ausfahrt zur Burg Lichtenberg. Foto: Avanti/Ralf Poller

Für die Mitglieder im Vespa Club Bottwartal ist ihr Gefährt mehr als ein kultiger Motorroller. Der Oldtimer auf zwei Rädern ist oft ein wichtiges Bindeglied in die ehemalige Heimat.

Oberstenfeld - Ihre Leidenschaft ist unüberhörbar. Knatternd kämpfen sich die Männer auf ihren Vespas wie ein Wespenschwarm den steilen Anstieg zur Burg Lichtenberg hinauf. Es ist Ausflugszeit. Die Fahrer sind nicht nur Mitglied im Vespa Club Bottwartal, sondern auch Freunde. Und: Für viele ist es nicht nur ein Motorroller oder gar ein Stück Blech auf Rädern. Ihre Vespa bedeutet für sie Freiheit. Und obendrein ist sie eine Erinnerung an ihre Heimat meist tief im Süden Italiens. Der Glanz von Lack und Chrom wärmt ihre Herzen wie die südliche Sonne in Kalabrien – im oft kalten und nebligen Deutschland.

Für die Mitgliedschaft im Club braucht es aber keinen italienischen Pass. Gleich zwei der vier Vorstände des Clubs sind deutsche Staatsbürger. Die Liebe zu ihren Vespas verbindet die Club-Mitglieder, über Grenzen und Nationen hinweg. Und kein anderes Gefährt steht so sehr für Freiheit und den hoffnungsvollen Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn: Die Vespa ist seit 1946 Sinnbild für die schnell wieder aufkeimende Lebensfreude.

Eine Vespa Faro basso aus dem Jahr 1953

Fragt man Giacomo nach seinem Motiv zum Kauf seiner Vespa, kommt wie aus der Pistole geschossen: „Kindheitstraum! Da bin ich schon als Kind immer bei meinem Opa in Italien drauf gehockt“, schwärmt der Italo-Schwabe. Schon sein sympathischer schwäbischer Dialekt ist hörbarer Beweis, wie tief er in „The Länd“ verwurzelt ist.

Eine legendäre Grazie und etwas ganz besonders Schönes jedoch fährt Filippo: eine Vespa Faro basso aus dem Jahr 1953. Dieser Name geht auf den tief sitzenden Scheinwerfer direkt auf dem Vorderrad zurück. Mit 125 Kubikzentimetern ist die faro basso nicht nur das Kraftpaket und der Ausdauersportler, sondern der Traum vieler Vespa-Liebhaber schlechthin.

Vergessen ist auch der Kummer nach dem Kauf von seinem Bruder. Bereits nach 500 Metern gab der Motor seinen Geist auf. Was wäre ein Vespa-Liebhaber, wenn das nicht in stundenlanger, liebevoller Arbeit wieder repariert wird?

Ein Stück Familiengeschichte

Für Giovanni sind seine Vespa und Ape noch mehr: nämlich ein Stück Familiengeschichte. Damals waren sie eine zehnköpfige Familie: Mama, Papa und ihre acht Kinder. Die Eltern haben sich ihren Lebensunterhalt mit Obst und Gemüse verdient, tief unten im sonnigen Kalabrien. Alles wurde von Hand transportiert.

Dann kam eines Tages ein neuer „Familiennachwuchs“: die Ape. Das ist eine Art dreirädrige Vespa mit Ladefläche. „Unsere Ape ernährte die ganze Familie, sie war unser Brot“ erinnert sich Giovanni. Zu dritt saßen sie vorne mit Papa. Hinten auf der Ladefläche fanden entweder sieben weitere Kinder Platz, ein kleiner Traktor oder die Ladefläche waren voll beladen mit Gemüse und Oliven für den Markt.

Später kam dann eine Vespa mit hinzu. Nicht nur Papa, auch sein Bruder fuhr heimlich damit. Bis dann eines Tages die Polizei kam. „Giovanni, es ist nicht in Ordnung, wenn ein 13-jähriger Knirps allein auf der Vespa durch den Ort braust.“ Papa schimpfte. Doch es half nichts. Sein Bruder fuhr immer wieder heimlich los.

Ape in bemitleidenswertem Zustand

Als der Papa von Giovanni 2014 starb, war die postgelbe Ape – ähnlich wie die beiden Vespas – in einem bemitleidenswerten Zustand. Jedes der Kinder bekam einen Gegenstand aus der Scheuer als Erinnerung an Papa. Giovanni wünschte sich die Ape. Doch er ließ seinem Bruder den Vortritt, „denn der hat Papa in seinen letzten Jahren hingebungsvoll gepflegt.“

Was Giovanni drei Jahre später in der elterlichen Scheune in Kalabrien sah, trieb ihm die Tränen in die Augen. Die Vespas und die Ape waren in einem noch schlechteren Zustand. Sein Bruder hatte durch seinen Hausbau keine Zeit für die aufwendige Renovierung. Nach einem Gespräch mit den Brüdern nahm er die Ape mit nach Deutschland und renovierte zusammen mit einem Freund in leidenschaftlicher Detailarbeit Vespas und Ape. Für die Papierarbeit zur Überführung nach Deutschland hatte ihm der Freund und Oldtimerspezialist Giuseppe geholfen.

Heute sind die Ape und Vespas für Giovanni viel mehr als nur Oldtimer. Sie sind ein Stück Erinnerung – und ein ganz wichtiger Halt in seinem Leben fern der Heimat seiner Familie.

Balsam für die Seele

Was ist Heimat? Diese Frage stellt sich wohl jeder dieser leidenschaftlichen Vespabesitzer mit italienischen Wurzeln. Vor mehr als 65 Jahren wurde das deutsch-italienische Anwerbeabkommen geschlossen. „Italienische Gastarbeiter“ wurden die Arbeitskräfte aus dem Süden Europas damals noch wenig wertschätzend bei uns genannt – und das war noch die freundlichste Bezeichnung. Dennoch sollten sie das deutsche Wirtschaftswunder weiter mit ihrer Arbeitskraft in Schwung halten. Das haben sie – und noch viel mehr. Sie haben die Deutschen für ihre Heimat als Urlaubsdomizil begeistert, für ihre Lebensart und Herzlichkeit. Und nicht zuletzt haben sie viele Teile unserer Kultur bereichert. Doch selbst heute nach mehr als sechs Jahrzehnten stellt sich für die Kinder und Enkel der einst ins Land geholten Italiener immer wieder die Frage, ob sie nun italienische Schwaben oder schwäbische Italiener sind. Wie sich das anfühlt, kann nur jemand ermessen, der selbst seine Heimat verlassen musste. Da ist dann so ein kultiger Roller, gleich ob Vespa oder Ape, wie Balsam für die Seele und lässt ein Stück südliche Sonne im Herzen leuchten. Denn eines sind sie alle: Menschen mit einer Leidenschaft für Vespas, die sie nebenbei zu Freunden macht.