Auch wenn die Jäger mit großem Kaliber unterwegs sind – bei dieser Bewegungsjagd wird kein Schwarzwild zur Strecke gebracht. Foto: Avanti/Ralf Poller

Bei einer Bewegungsjagd im Otterbachtal bei Steinheim wird Schwarzwild gejagt. So sollen Schäden durch Wildschweine für Land- und Forstwirtschaft begrenzt werden.

Steinheim - Das Thermometer zeigt minus sechs Grad. Durch die FFP-2-Masken steigen kleine Dampfwolken über den Köpfen der dick vermummten Jäger auf. Es ist kurz vor acht Uhr auf dem Parkplatz am Eingang ins Otterbachtal. Volker Schiele trennt die Teilnehmer zu Beginn der Bewegungsjagd. Links sammeln sich die Jäger, rechts die Treiber. Am Hang entlang auf der westlichen Talseite haben die Treiber heute eine Herkulesaufgabe vor sich. Steil abfallendes Gelände mit Abbruchstufen der einstigen Weinberge und nahezu undurchdringliches Gestrüpp verwickeln sie in einen Kampf mit dem Terrain. Doch die angehenden Jungjäger übernehmen die schwierige Aufgabe gern. Sie wollen Erfahrung sammeln und sich ihre ersten Lorbeeren verdienen. Schließlich stehen sie kurz vor der Jägerprüfung.

Anders als noch im Feudalzeitalter dient die Jagd von heute vor allem der Hege und Pflege. „Wer nur auf Trophäen schielt oder schießen will, ist fehl am Platz und gibt die Sache mit der Jagd bald wieder auf“, weiß Peter Schütz. Er bildet die Jungjäger im Landkreis aus.

„Rehwild nur bei optimalen Verhältnissen“

Jagdherr Schiele begrüßt die Gäste der Bewegungsjagd. Hinter ihm liegt ein Organisationsmarathon. In knappen, präzisen Ansagen weist Schiele seine Jagdgäste ein. „Schießt nur, wenn ihr einen Kugelfang habt – im Zweifelsfall lieber gar nicht als schlecht. Ich will hier nachher keinen Krankenwagen sehen“. Und er schiebt eine Bitte nach „an die Treiber auf der linken Seite: Seid vorsichtig!“ Dann gibt er die Jagd frei auf Sau und Reh. „Jagt bevorzugt auf Schwarzwild, Rehwild nur bei bei optimalen Verhältnissen. Alles andere ist heute tabu“, weist Schiele die Jagdgesellschaft unmissverständlich an. Die Schwarzkittel, wie die Wildschweine in der Jägersprache auch bezeichnet werden, haben sich stark vermehrt, milde Winter und reich gedeckte Maisäcker sorgten für viel Nachwuchs. Da sind die Konflikte mit den Landwirten programmiert. Wenn wieder eine Rotte Wildschweine auf Futtersuche weite Teile eines Maisackers umgebrochen und vernichtet hat, ist die hohe Kunst der Diplomatie gefragt, weiß Martin Lederer. Er lebt selbst von seiner Bio-Landwirtschaft, betreibt eine Biogasanlage und hat erst vor fünf Jahren seinen Jagdschein gemacht. Lederer kennt also beide Seiten.

Ab und an kommen sich Treiber und Jäger ganz nahe

Wenn hungrige Wildschweine wie jüngst sogar Friedhöfe umgraben, erfahren die immer wieder geschmähten Jäger plötzlich viel Solidarität aus der Bevölkerung, die nicht zuletzt auch deshalb besorgt ist, weil Wildschweine als Überträger der Afrikanischen Schweinepest gelten, auch wenn eine Übertragung des Erregers auf den Menschen wohl ausgeschlossen werden kann.

Mit lauten „Hohoho - hossa“-Rufen setzen sich die Treiber zur verabredeten Uhrzeit entlang der Hänge in Bewegung. Das Wild soll langsam in die gewünschte Richtung der Jäger talaufwärts gedrückt und nicht in wilde Flucht geschlagen werden. Immer wieder hört man ein Krachen und Rumpeln, wenn ein Treiber im Gestrüpp gestürzt ist oder sich mühsam durch Brombeerhecken vorwärts kämpft. Ein Knochenjob.

Im Gegensatz zu den schwitzenden Treibern frieren die wartenden Jäger. Ab und an kommen sich Treiber und Jäger ganz nahe. Dabei werden freundliche Handzeichen ausgetauscht. Ein Zeichen signalisiert „Ich sehe dich und achte auf dich“ und ist eine vertrauensvolle Geste.

Jeder ist leidenschaftlich bei der Sache, ganz gleich ob als Jäger oder Treiber. Immer wieder muss die Treiberkette auf der rechten Hangseite auf ihre Mitstreiter auf der anderen Talseite warten. Bis jetzt ist nur Geschrei, brechendes Unterholz und vielstimmiges Hundegebell zu hören. Kein Schuss fällt. Rechts machen die Treiber „ein Reh hoch“, scheuchen es also auf. Doch die Rehgeiß zieht eher gemächlich in Richtung der Obstplantagen, Wiesen und Felder.

Am Ende gibt’s für die Jagdteilnehmer Glühwein und Rote Wurst

Später bläst Volker Schiele zum Jagdende. Am Parkplatz sammeln sich Jäger und Treiber wieder. Jagdherr Schiele bedankt sich bei allen Beteiligten, besonders bei den Mitarbeitern von Gemeinde und Bauhof in Steinheim. „Auch das ist eben Jagd“, weist er fast entschuldigend auf die fehlende Strecke hin, wie die Jagdbeute in der Jägersprache heißt. Doch anders als bei unseren fernen Vorfahren knurren die Mägen nicht an diesem Nachmittag. Am Ende laben sich die Jagdteilnehmer an Glühwein und Roter Wurst.

Volker Schiele ist einer, der verbindet und Brücken baut. Als einstiger Forstwirt kennt er sich in Forst- und Landwirtschaftsthemen wie der Jagd gleichermaßen gut aus. Und für noch etwas entschuldigt sich Schiele an diesem Tag: „Leider können wir heute nicht wie sonst gemeinsam ums Lagerfeuer sitzen.“ Selbst unter Freiluftbedingungen macht Corona beim sozialen Miteinander und der Pflege schöner Bräuche den Teilnehmern einen Strich durch die Rechnung.