Nur Thorsten Bäuerles Nähmaschine ist elektrisch. Alle anderen Werkzeuge haben sich seit Großvaters Zeiten nicht geändert. Foto: Werner Kuhnle

Die Fahrsportsattlerei Bäuerle in Freiberg am Neckar stellt seit nunmehr drei Generationen spezielles Geschirr für Pferde her. Was früher noch beinahe in jedem Dorf anzutreffen war, ist heute ein fast schon ausgestorbenes Handwerk.

Freiberg am Neckar - Viele Menschen träumen ein Leben lang von ihrem Traumberuf und gehen doch Tag für Tag widerwillig ihrem Broterwerb nach. Anders dagegen Thorsten Bäuerle aus Freiberg am Neckar. Der Sattlermeister ist ein glücklicher Mensch und ruht sichtbar in sich: Er lebt seinen Traum und geht seiner Berufung nach. Wenn er morgens an seinen Arbeitsplatz geht, weiß er: „Hier arbeitete schon mein Großvater. Und ich folge jetzt wie er meiner Berufung, arbeite mit den gleichen Werkzeugen und Materialien“.

Tritt man über die Schwelle der Fahrsportsattlerei Bäuerle in der Freiberger Nothaftstraße, fühlt man sich als Zeitgenosse im fortgeschrittenen Lebensalter augenblicklich an die eigene Kindheit erinnert. So roch es einst beim Schuhmacher am Ort, in Ställen in der Sattelkammer oder eben bei den Sattlern. Die Bäuerles sind jetzt schon in der dritten Generation Sattler für Pferde.

Gefüllt wird die Lederhülle mit Roggenstroh

Zieht ein Pferd einen Pflug oder einen Wagen, braucht es ein Kummet. Anders als beim Joch verteilt sich beim Kummet der Druck gleichmäßig auf Brustkorb, Schultern und Widerrist. Die Aufgabe des Sattlers ist es, dieses Arbeitsgeschirr eigens für jedes Pferd anzufertigen. Jedes Kummet ist somit einzigartig, weil maßgeschneidert. Thorsten Bäuerle kommt dafür zu den Pferdebesitzern. „Wenn ich dort meine Messwerkzeuge in der gewohnten Umgebung der Pferde auspacke, sind die Tiere, die Kunden und damit auch ich viel entspannter“, schildert er den aufwendigen Vorgang des Maßnehmens. So ein passend gefertigtes Kummet hält dann ein Kutscherleben oder drei Pferdeleben, lautet eine alte Sattlerweisheit – auf 70 bis 80 Jahre Arbeitseinsatz kann es ein hochwertiges Kummet locker bringen.

Die Kummethülle wird aus drei Teilen für jedes Pferd auf Maß gefertigt, dabei zunächst auf links genäht und erst später umgedreht. Gefüllt wird das Leder mit echtem Roggenstroh. Dafür beauftragt Thorsten Bäuerle extra einen Landwirt, der für ihn die alte Getreidesorte mit den langen Halmen anbaut. Ist das Stroh gewässert, stopft es Bäuerle mit viel Gefühl und einem Füllstock in das Kummet. „An unserer Arbeit hat sich seit 100 Jahren nichts grundsätzlich verändert. Lediglich die Nähmaschinen sind jetzt elektrisch“, beschreibt der Sattlermeister seine traditionelle Arbeit. Doch sehr oft kommt noch die Ahle, eine Art übergroße Nähnadel, zum Einsatz. „Das ist schwere Arbeit und geht auf die Hände.“ Die kräftigen Hände von Thorsten Bäuerle bezeugen das.

Das Geschäft läuft gut, auch wenn es aus Pakistan und Indien viel Konkurrenz gibt. „Die bieten zu Preisen an, da können wir nicht mithalten“, sagt Thorsten Bäuerle. Doch Pferde – und damit auch die Nachfrage nach Bäuerles selten gewordener Handwerkskunst – sind wieder gefragt. Nicht immer freilich waren die Aussichten so rosig wie heute.

„Für mich ist das eine Berufung“

Infolge des starken Rückgangs der Pferdebestände in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wäre der Beruf des Sattlers damals fast ausgestorben. Vater Berthold hatte daher seinem Sohn dringend geraten, einen Brot- und Butterberuf zu erlernen. Und Thorsten Bäuerle entschied sich, dem Rat des Vaters folgend, für eine Automechanikerlehre bei einem schwäbischen Autobauer. Erst im Jahr 2008 meldete er die Sattlerei wieder zum Vollerwerb an und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Auch wenn er heute in der Automobilindustrie bei weniger Arbeitsstunden weit mehr verdienen würde, hat er „diesen Schritt in den Sattlerberuf hinein und zurück zu den beruflichen Wurzeln meiner Vorfahren nie bereut. Für mich ist das eine Berufung. Wenn ich viel Geld verdienen wollte, wäre ich nicht Sattler geworden“, sagt Bäuerle.

Dank der Automechaniker-Lehre konnte er direkt in die Meisterausbildung als Sattler quereinsteigen. Gelernt hatte er ja das Handwerk von der Pike auf sowieso schon bei Großvater, Onkel und Vater im elterlichen Betrieb. Thorsten Bäuerle ist damit sprichwörtlich in das Sattlerhandwerk hineingewachsen.

Vier bis acht Wochen Arbeit für ein Kummet

Bis ein Kummet fertig ist, arbeitet der Sattlermeister mit den flinken Händen oftmals vier bis acht Wochen. „Vom Verkaufspreis gehen dann noch die Materialkosten ab“, schildert der begnadete Sattlermeister, wie schwer es inzwischen ist, sogar für anspruchsvolle und aufwendige handwerkliche Arbeit einen angemessenen Lohn zu bekommen. Und selbst für das Leder gibt es nur noch ganz wenige Gerber, die mit pflanzlichen und ohne chemische Stoffe arbeiten. Doch nicht für alles Geld der Welt würde Thorsten Bäuerle seinen Traumberuf gegen die Arbeit in einer Fabrikhalle am Fließband wieder eintauschen wollen.