Foto: Phillip Weingand

Anfang des 19. Jahrhunderts hat der Fall der „Seherin von Prevorst“ Aufsehen erregt. Noch heute erinnern einige Orte an sie.

Oberstenfeld-Prevorst - Weinsberg im Winter 1826. Eine junge Frau wird aus dem Schlaf gerissen. Der Geist eines alten Mannes steht vor ihr, drängt sie, ein bestimmtes Dokument zu finden. Er erklärt, wie das Papier aussieht, wo es zu finden ist. Die Frau ist nie in Weinsberg gewesen, beschreibt ihrem Arzt dennoch den Weg zum Oberamtsgericht. Und tatsächlich wird dort ein Papier gefunden. Es entlastet einen Verwalter, der bei seinem Tod in Verdacht stand, schlecht gewirtschaftet zu haben. Jetzt kann seine Seele Ruhe finden.

Solche und ähnliche Geschichten ranken sich um Friederike Hauffe, anno 1801 geboren als Friederike Wanner und berühmt geworden als „Seherin von Prevorst“. Noch heute erinnern einige Orte in der Region an sie.

Hauffes Geburtshaus an der Prevorster Ortsstraße ist heute das Gasthaus Zum Ochsen, das letzte der alten Restaurants in dem 450-Einwohner-Ort. Im September 1801, als die Förstertochter geboren wurde, diente das Gebäude als Forsthaus. Im Lauf der Jahrhunderte wurde es ausgebaut, auch die Kirche daneben entstand erst 100 Jahre nach der Geburt der Seherin. Heute erzählt eine Holztafel an der Wand die Geschichte Hauffes in Kurzfassung, auf der Speisekarte steht ein „Seherinnen-Töpfle“, Schweinefilet mit Spätzle und Salat. Draußen hängt ein Schild, das auf die außergewöhnliche Prevorsterin hinweist. Doch von ihr selbst ist kaum etwas erhalten. „Als wir das Lokal übernommen haben, war nichts mehr übrig bis auf einen alten Stuhl, auf dem die Seherin damals wohl gesessen hat“, sagt Inhaber Roland Wolf.

Mehr Hinweise auf das Leben der Friederike Hauffe finden sich knapp 15 Kilometer Luftlinie entfernt, in Weinsberg. Hier lebte Justinus Kerner, zu dem sich die Seherin in Behandlung begab. Der Oberamtsarzt war nach einem langen Leidensweg ihre letzte Hoffnung.

Einen großen Teil ihrer Kindheit verbrachte Friederike bei den reichen Großeltern in Löwenstein. Schon früh zeigte sich bei der Förstertochter eine gewisse Feinsinnigkeit. Kerner schreibt später, es habe das Mädchen oft ein „Weheseyn und Frieren“ gepackt, besonders in der Nähe von Kirchen oder Gräbern. Doch erst einige Jahre später sei „in ihrem Innersten auf einmal ein besonderes Leben aufgegangen“. Zu diesem Zeitpunkt, Friederike war etwa 20 Jahre alt, wohnte ihre Familie neben der Oberstenfelder Stiftskirche. Zum dortigen Prediger, Johann Gottlieb Tritschler, empfand die junge Frau tiefe Zuneigung. Doch 1821 starb der Geistliche. Vor dem offenen Grab hatte Friederike ihr erstes Erleuchtungserlebnis. Ihm sollten viele weitere folgen.

Nachdem sie mit ihrem Vetter eine Vernunftehe eingegangen war, zog Hauffe nach Baden. Dort, während ihr Mann auf Geschäftsreise war, wurde sie zur Seherin. Sie wand sich in Fieberkrämpfen, hörte Stimmen. Angeblich konnte die junge Frau in einem Wasserglas die Zukunft vorhersehen, Gegenstände bewegen, ohne sie zu berühren. Immer wieder meinte Friederike, die Geister ihrer Großmutter oder des verehrten Predigers Tritschler sehen zu können. Handauflegen, Aderlass, Blutegel und Homöopathie konnten die Dämonen nicht vertreiben. „Ein Bild des Todes, völlig verzehrt, sich zu heben und zu legen unfähig“, beschrieb der Oberamtsarzt Justinus Kerner in Weinsberg seine Patientin, als sie ihn im November 1826 erreicht.

Kerner diagnostizierte Somnambulismus, eine Form des Schlafwandelns – und ein Krankheitsbild, das heute keine Rolle mehr spielt, wie Professor Hermann Ebel erklärt, der die Klinik für Psychiatrie am Klinikum Ludwigsburg leitet. „Nach heutigen Einschätzungen litt die Patientin vermutlich an Schizophrenie“, sagt er. Doch zur Zeit der Romantik steckte die Erforschung psychischer Erkrankungen noch in den Kinderschuhen. Betroffene wurden oft weggesperrt, teils waren noch brutale Behandlungsmethoden üblich.

Justinus Kerner hingegen begab sich auf Augenhöhe mit seiner Patientin, ließ sie bei sich wohnen und nahm ihre Visionen ernst. Der Mediziner versuchte, Hauffe mit magnetischen Methoden nach Franz Anton Mesmer zu behandeln. Er baute sogar einen sogenannten „Seelenstimmer“ nach Anweisungen, die seine Patientin aus dem Jenseits erhalten haben wollte. Akribisch verfasste er den Krankheitsbericht, der die „Seherin von Prevorst“ später berühmt machen sollte. „Geisterkunde gehörte damals zu den Naturwissenschaften“, erklärt der promovierte Historiker Bernd Liebig, der das Museum im Weinsberger Kernerhaus betreut.

Dennoch war die junge Frau verloren. Denn neben dem psychischen Leiden wütete in ihrem Körper noch eine weitere Krankheit. „Wahrscheinlich litt die Seherin an Leukämie“, erklärt Liebig. Friederike Wanner starb am 28. August 1829. „Glaube und Liebe heilen auch die irre Seele“, steht auf ihrem Grabstein, der noch heute in Löwenstein steht.