Traditionelle Häuser, traditionelle Trachten. Hannah Melcher (links) lernt in ihrem Jahr in Afrika viel über das Leben der Massai. Foto: privat

Hannah Melcher verbringt ein Freiwilliges Jahr in Afrika. Von dort berichtet sie regelmäßig.

Oberstenfeld/Isinya - Wenn ich jemanden in Kenia frage, woher er kommt, dann war Kenia selten die erste Antwort, die ich bekommen habe. Eher sagte man mir, man sei ein Massai, ein Kikuyu, eine Kamba oder ein Luo. Das sind nur einige der insgesamt 43 „tribes“, die in Kenia zu finden sind. Ein deutsches Synonym dafür ist das Wort „Stämme“. Dieses Wort benutze ich aber nicht gerne, denn dadurch hatte ich immer ein Bild vor Augen, bei dem Menschen in Baströckchen trommeln und um ein Lagerfeuer tanzen.

Und das ist falsch. Bei dem Wort „tribes“ denke ich eher an einen Baum, der die Gesamtheit der Menschen symbolisiert und die Äste, die davon abgehen, stellen die unterschiedlichen ethnischen Gruppen dar, die sich auch innerhalb noch in interne Gruppen aufteilen, die feingliedrigen Äste. Dieses Bild, finde ich, beschreibt die Bevölkerung Kenias sehr viel besser. Jeder dieser „tribes“ ist so unterschiedlich, hat seine eigene Sprache, eigene Legenden, Kleidung sowie Tanz und Gesang. Die Massai sind aufgrund von Filmen in Europa wahrscheinlich am bekanntesten. Aber es gibt noch so viele mehr. Ich kenne auch nur wenige.

Bei den „tribes“ darf man auch nicht vergessen, dass sie sich verändern. Es ist oft nicht mehr so, wie es auf den Reisepostkarten aussieht oder wie man es manchmal im Fernsehen sieht. Man muss zwischen „traditionell“ und „modern“ und zwischen den Menschen, die in der Stadt oder auf dem Land leben, unterscheiden. Nur noch Wenige leben strikt traditionell so wie vor vielen Jahren. Bei meinen Gasteltern finde ich das sehr spannend, sie stehen genau dazwischen. Sie gingen beide aufs College, mein Gastvater hat einen Job und sie haben ein kleines Haus gebaut. Es erinnert nur noch wenig an das Leben von früher in selbst gebauten Hütten und dem Viehhüten als Tagesbeschäftigung.

Mein Gastvater geht abends nach der Arbeit oder am Wochenende zu seinen Tieren. Aber für tagsüber gibt es zwei Angestellte, die sich um die Kühe, Ziegen und Schafe meiner Familie kümmern. Das Melken jedoch übernehmen traditionell die Frauen aus meiner Gastfamilie selbst. Die traditionelle Massaikleidung wird nur an Feiern getragen, meine Gastgroßeltern tragen diese hingegen jeden Tag. Sie können auch kein Englisch und sind nicht zur Schule gegangen. Für mich ist es schon erstaunlich, wie viele Unterschiede sich nur innerhalb einer Generation feststellen lassen. Die Unterschiede zwischen früher und heute sind fast so groß, wie die Unterschiede zwischen den „tribes“ selbst. Allerdings werden diese Unterschiede auch selbst gemacht.

Seit ich hier bin, habe ich aber auch die Abgrenzung von anderen „tribes“ erfahren. Untereinander gibt es Vorurteile, jeder behauptet von sich, natürlich der Beste zu sein. Oft ist das auch nicht erst gemeint aber es gibt sie eben. Die Massai seien geizig und die Männer gierig, die Kikuyu, die überwiegend in Zentralkenia nördlich von Nairobi wohnen, würden klauen aber seien auch gute Geschäftsleute und die Luos aus Westkenia seien verrückt, weil sie so viel an Hexenkraft glauben. Als mir mein Gastonkel das erste Mal davon erzählt hat, habe ich nur gelacht und dachte, er scherzt. Dann sind mir aber auch die Plakate an manchen Pfosten in verschiedenen Städten aufgefallen, bei denen mit Liebestränken oder Potenzmitteln gepriesen wird.

Natürlich gibt es auch viele Gerüchte und nicht alles stimmt. Was die Vorurteile betrifft, diese habe ich auf einer Hochzeit bemerkt. Es war ein Massai und eine Kamba, die geheiratet haben. Bei der Feier wurden von beiden „tribes“ die Tänze getanzt. Die Kamba-Tänze stießen bei meiner Gasttante und einigen anderen Massai auf Ablehnung, sie haben sich den ganzen Tag geweigert mitzutanzen.

In einer Unterhaltung mit meiner Gastmutter war sie einmal der Meinung, sogenannte „Mischehen“ würden zu einem Kulturverlust führen. Zuerst war ich ehrlich gesagt ziemlich sprachlos, aber vielleicht ist schon etwas dran. Die Kinder lernen oft nur noch Kiswahili und nicht mehr die Muttersprache der „tribes“. Die Tänze oder Rituale lernen sie teilweise auch nicht mehr. Und es kann auch für Eingeheiratete, vor allem Frauen, schwer sein, in der neuen Familie akzeptiert zu werden. Es muss nicht so sein, aber es kann passieren, ich habe beides erlebt.

Aber wie weit kann man hier Vorwürfe machen? Sie haben es sich schließlich nicht ausgesucht, gemeinsam in einem Land zu leben, das haben andere entschieden. Nun bleibt mir noch zu sagen: Kwa heri (bis bald)!