Frank Bartel hofft, dass die Erkenntnisse aus der Corona-Zeit Foto: Werner Kuhnle

Revierleiter Frank Bartel äußert sich zu Auswirkung von Corona auf die Arbeit – und die Erwartungen an Silvester.

Marbach - Frank Bartel war erst wenige Wochen im Amt, da wurde er als neuer Leiter des Marbacher Polizeireviers und Nachfolger von Peter Kolwe schon mit einer gewaltigen Herausforderung konfrontiert: der Corona-Krise. Was das für den Alltag der Beamten bedeutet, welche Einsätze damit verbunden waren und wie es um die Masken-Moral der meisten Bürger bestellt ist, davon berichtet der 58-jährige Hauptkommissar im Interview.

Herr Bartel, im Januar haben Sie die Revierleitung übernommen, seit März müssen Sie sich mit der Corona-Krise arrangieren. Kann man sich ein schlimmeres Einstiegsjahr auf einem neuen Posten vorstellen?

Schlimm ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber natürlich hat sich niemand ein Jahr wie 2020 gewünscht. Und so wie alle Menschen in den vergangenen Monaten beruflich und privat mit Einschränkungen leben und Abstriche machen mussten, so hat sich auch der polizeiliche Alltag sehr stark verändert.

Wie haben denn die ersten konkreten Auswirkungen ausgesehen?

Irgendwann Anfang März stellten sich bei uns die ersten Bedenken ein und es kam die Frage auf, wie wir nun mit Verkehrs- und allgemein Personenkontrollen umgehen sollen. Schnell war klar: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir Masken aufsetzen müssen. Masken, die aber gar nicht in dem Umfang vorhanden waren, wie wir sie benötigt hätten. Es gab auch kaum Desinfektionsmittel. Das war im ersten Lockdown eine Katastrophe.

Wie haben Sie sich beholfen?

Es wurde viel improvisiert. Die Kollegen haben zum Beispiel privat genähte Masken genutzt. Man muss aber auch sagen, dass der Staat sehr gut auf dieses Manko am Anfang der Krise reagiert hat. Darüber hinaus haben wir ein Hygienekonzept entwickelt, das sehr gut funktioniert und uns nun im zweiten Lockdown auch zugutekommt.

Wie muss man sich das Konzept vorstellen? Bei der Polizei kann man schließlich nicht zu den Mitarbeitern sagen: Wir steigen jetzt alle auf Home-office um.

Da muss man unterscheiden. In den Präsidien können bestimmte Verwaltungsaufgaben auch von zuhause aus erledigt werden. Bei den Revieren, die vornehmlich im operativen Bereich tätig sind, ist es aber in der Tat eher schwierig, auf Heimarbeit umzustellen. Aktuell ist das bei uns in Marbach bei einem der insgesamt 76 Kollegen der Fall. Ansonsten haben wir aber an etlichen Stellschrauben gedreht, um die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Die Kollegen von den Polizeiposten in Steinheim, Freiberg und Großbottwar gehen in Marbach zum Beispiel nicht mehr ein und aus, sondern holen die Post im Hof ab. Es werden auch keine gemischten Streifen mehr gefahren, sodass immer nur die gleichen Kollegen zusammen auf Achse sind. Zudem tragen wir alle, sobald wir das Büro verlassen, eine Maske.

Treffen sich die Kollegen dann überhaupt noch?

Für das Gesamtteam ist das natürlich nicht optimal, aber wir wollen, so weit es geht, Vermengungen vermeiden. Unsere fünf verschiedenen Schichten begegnen sich deshalb auch nicht in den Fluren. Die Übergaben laufen entweder telefonisch oder von Dienstgruppenleiter zu Dienstgruppenleiter ab, die dabei natürlich auch wieder eine Maske tragen. Konferenzen finden zudem per Video statt.

Konnten damit die Corona-Fälle im Team eingedämmt werden?

Das System klappt. Dafür spricht, dass über das gesamte Jahr lediglich drei Kollegen positiv getestet wurden und wir keine einzige Schicht aus dem Betrieb nehmen mussten, weil sich eine mögliche Infektionskette ergeben hätte. Man muss auch sagen, dass unsere Mannschaft sehr diszipliniert vorgeht und die Vorgaben strikt einhält.

Kann man das auch von den Bürgern sagen, mit denen Sie bei den Querdenker-Demos auf der Schillerhöhe Kontakt hatten?

Meiner Erfahrung nach waren die Teilnehmer der Demos im Durchschnitt schon verbal aggressiver als der Rest der Bürger. Und die letzte Versammlung wurde auch verboten, weil Auflagen nicht eingehalten worden waren. Ich habe auch den Eindruck, dass man mit den Querdenkern nicht diskutieren kann. Da kommt man mit Argumenten leider nicht weiter. Es ist aber nicht so, dass die Leute körperlichen Widerstand leisten und auf die Polizei losgehen würden.

Haben Sie Verständnis für die Demonstranten?

Man kann sicher die eine oder andere Maßnahme von Bund und Land hinterfragen. Aber insgesamt sind die Regeln zur Eindämmung der Pandemie sehr, sehr gut. Man muss ja auch bedenken, in welcher Kürze gehandelt und entschieden werden musste. Ich bin überzeugt davon, dass der aktuelle Lockdown Wirkung zeigen wird.

Dazu müssten sich die Bürger aber konsequent an die Vorgaben halten.

Die Bevölkerung hält sich sehr gut an die Vorgaben wie die Ausgangsbeschränkungen. Am Anfang musste man mit dem einen oder anderen noch diskutieren. Mittlerweile geht die Quote derer, die ohne triftigen Grund auf den Straßen unterwegs sind, deutlich zurück. Ich glaube, es ist inzwischen in den Köpfen der Bürger angekommen, warum es die Einschränkungen gibt.

Hören Sie trotzdem manchmal hane-büchene Erklärungen, warum jemand nach 20 Uhr noch das Haus verlassen hat?

Das kommt natürlich auch vor. Fast schon ein Klassiker ist die Begründung: Ich wollte Zigaretten holen. Oder: Ich bin doch alleine unterwegs, wie soll ich da jemanden anstecken? Aber wie gesagt: Insgesamt gehen die Corona-Vergehen zurück. Am Montag haben wir bei einer Kontrollaktion am Bahnhof nur drei Vergehen gegen die Maskenpflicht festgestellt. Das ist relativ wenig.

Wie war die Lage über die Weihnachtsfeiertage?

Bei uns sind über die Feiertage lediglich zwei Anrufe eingegangen, weil sich Nachbarn über größere Menschengruppen gewundert haben. Das haben wir selbstverständlich überprüft, aber es lagen keine Verstöße vor. Es handelte sich ganz einfach um größere Familien, die zusammengekommen waren.

Denken Sie, dass die Regeln an Silvester häufiger gebrochen werden, weil dann unter Umständen auch noch Alkohol im Spiel ist?

Wir haben unsere Schichtstärke zum Jahreswechsel etwas erhöht, wollen auch kontrollieren. Ich vertraue aber auf die Vernunft der Masse und daran, dass sich die Bürger an die Ausgangsbeschränkungen und das Böllerverbot halten. Und wir befürchten auch keine größeren Ansammlungen im Freien, sind aber darauf vorbereitet.

Da an Silvester in diesen Jahr wegen der Pandemie keine Partys steigen dürfen, kann dort auch niemand über die Stränge schlagen, sodass die Nacht eigentlich ruhiger verlaufen müsste.

Das kann man so nicht sagen. Die Leute sitzen nun schon so lange eng aufeinander. Mit Hausstreitigkeiten ist also auch dieses Jahr zu rechnen. Generell ist es ohnehin wegen Corona und der Einschränkungen eher so, dass die Situation bei Familien angespannt ist und sich vergleichsweise häufig in Auseinandersetzungen entlädt. Wir sind mehr denn je als Streitschlichter gefragt. Das wird wohl auch an Silvester so sein. Ich gehe davon aus, dass sich das am Ende des Jahres in der polizeilichen Statistik niederschlägt und dort mehr Fälle von häuslicher Gewalt ausgewiesen werden. Was dafür zurückgeht, ist die Zahl der Einbrüche, weil viele Leute die meiste Zeit nun in den eigenen vier Wänden verbringen.

Wie hart wird eigentlich durchgegriffen, wenn sich jemand an Silvester und grundsätzlich in Corona-Zeiten nicht an die Spielregeln hält?

Sie können davon ausgehen, dass jeder Kollege mit Fingerspitzengefühl die jeweilige Situation beurteilt. Wenn jemand bewusst und gewollt gegen die Vorschriften verstößt und sich bei einer Ermahnung auch noch uneinsichtig zeigt wie die notorischen Maskenverweigerer, dann wird eine Anzeige angefertigt. Wenn sich aber drei 70-Jährige unverhofft beim Einkaufen treffen, kurze Zeit zusammenstehen und sich sofort entschuldigen, weil sie die Regeln einen Moment nicht auf dem Schirm hatten, weist man als Polizist höflich darauf hin, dass eine solche Konstellation nicht erlaubt ist. Außerdem erklären wir, warum es sich so verhält: weil die Gesundheit geschützt wird. Das sehen die meisten Leute auch ein.

Wobei es den Kollegen vermutlich nicht immer leicht fällt, jede Regel sofort parat zu haben.

Es gibt bei der Polizei eine Sammelstelle, die die aktuellen Vorschriften zusammenfasst. Es ist aber in der Tat schwierig, jeden Paragrafen zu kennen. Zum einen sind die Verordnungen so umfangreich, zum anderen verändern sie sich häufig. Wir haben allerdings extra einen Ordner angelegt. Wenn Bürger anrufen und Fragen formulieren, kann der Kollege am Telefon in den Dokumenten blättern und Auskunft geben. Und auch wir haben die Möglichkeit, dort jederzeit nachzuschauen.

Klingt trotzdem nach einem ziemlichen Aufwand. Wie sehr hoffen Sie eigentlich, dass wir irgendwann 2021 diese ganzen Verordnungen zu Corona nicht mehr brauchen?

Ich wünsche mir natürlich, dass wir wieder zur Normalität zurückkehren können. Allerdings nicht zu der Normalität, die wir vor Corona hatten. Es wäre schön, wenn wir im Bewusstsein behalten würden, was wirklich zählt und was man aus der Krise mitnehmen kann: Die Pflege von Freundschaften oder wie sehr einem die Verwandtschaft am Herzen liegt, die man zuletzt nicht so oft oder gar nicht besuchen konnte. Ich fände es schön, wenn solche Erkenntnisse nicht verloren gehen, sondern bleiben. Aber ich habe noch einen weiteren Wunsch.

Und der wäre?

Dass wir 2021 von Einsätzen wie in diesem Jahr in Erdmannhausen verschont werden, als eine Kollegin schießen musste, nachdem sie mit einer Nagelpistole bedroht worden war. Oder die Brandanschläge in Marbach, als direkt vor dem Revier ein Brandsatz gezündet wurde. Solche Ereignisse bedeuten eine enorme Belastung für die Kollegen. Das geht nicht spurlos an einem vorüber, wenn so etwas passiert. Und jeder Gebrauch einer Schusswaffe hinterlässt eine Wunde.