Eigentlich ist Hermann Toursel schon im Mai in den Ruhestand gegangen. Foto: Archiv (Oliver von Schaewen)

Nach fast drei Jahrzehnten verabschiedet sich Hermann Toursel am kommenden Sonntag als Organist und Kantor von der evangelischen Kirchengemeinde.

Marbach - Zum allerletzten Mal wird Hermann Toursel am Sonntag, 21. Juni, um 17 Uhr in die Tasten der legendären Voit-Orgel in der Alexanderkirche greifen. Mit einem schlichten Gottesdienst verabschieden sich der 65-Jährige und seine Ehefrau von der evangelischen Kirchengemeinde in Marbach, in der Toursel fast drei Jahrzehnte lang als Organist und Kantor tätig war.

Ursprünglich war der Gottesdienst schon Ende April geplant, da Hermann Toursel bereits Mitte Mai in den Ruhestand gegangen ist. Doch wie bei so vielen Vorhaben hat auch in diesem Fall die Corona-Pandemie den Plänen der evangelischen Kirchengemeinde einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dafür können am kommenden Sonntag immerhin rund 100 Zuhörer noch einmal live in der Alexanderkirche dabei sein, wenn Hermann Toursel und seine Frau ihre Abschiedsvorstellung geben.

Dekan Ekkehard Graf und das Organisationsteam hätten dem Bezirkskantor zu diesem Anlass gerne einen größeren Bahnhof bereitet. Doch das hätte zum Charakter des 65-Jährigen nicht gepasst. „Herr Toursel hat sich einen bescheidenen Rahmen gewünscht“, erklärt Dekan Graf. Das entspricht dem Wesen des studierten Kirchenmusikers, dessen Eltern als Flüchtlinge nach Deutschland kamen und insgesamt sieben Kinder großgezogen haben. „Mein Bafög wurde für das Überleben der Familie benötigt“, weiß Hermann Toursel noch gut.

Der 65-Jährige hat in seinem Berufsleben nur zwei Arbeitsstellen gehabt: Bevor er 1991 in die Schillerstadt kam, war er zuvor elf Jahre lang als Kirchenmusiker in der Johannes-Brenz-Gemeinde in Schwäbisch Hall tätig. „Mich hat damals neben den verschiedenen kirchenmusikalischen Aufgaben die Schönheit der spätgotischen Alexanderkirche mit ihrer hervorragenden Akustik gereizt“, erinnert sich Hermann Toursel.

Nicht geahnt hatte er jedoch, dass er - ebenso wie sein Vorgänger – die Orgeln in der Alexanderkirche und in der Stadtkirche zunächst mehr reparieren als spielen würde. „Die waren beide wirklich in einem desolaten Zustand“, erzählt Toursel.

Doch wie so häufig war die Krisensituation Ausgangspunkt einer spektakulären Entwicklung: Das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg schlug vor, die berühmte Voit-Orgel zu restaurieren und diese in die Alexanderkirche zu geben. „Der Orgelsachverständige Burkhart Goethe hat uns damals äußerst fachkundig beraten und begleitet“, weiß Toursel noch gut. Dank der Unterstützung von Landesdenkmalamt, Denkmalstiftung Baden-Württemberg, zahlreicher Gruppen, Vereine, Firmen und Einzelpersonen kam das 1868 erbaute Instrument 2005 in die Alexanderkirche. Die neue Orgel war ein maßgeblicher Grund, warum Hermann Toursel im gleichen Jahr den Marbacher Orgelsommer aus der Taufe hob – das Projekt, das vielleicht am intensivsten mit seinem Namen verbunden ist. Toursel lockte Orgel-Größen wie Stephan Kießling, den Organisten der Leipziger Thomanerkirche, und Jan Dolezal in die Schillerstadt, wo sich die Meister ihres Fachs ein treues Fanpublikum erspielten.

Doch der Name von Hermann Toursel steht nicht nur für handwerklich hochwertigste Musik – ganz im Gegenteil. Er vertrat stets den Standpunkt, dass jeder Mensch singen könne und ein „Recht auf seine eigene singende Lebensäußerung hat“, wie er es nannte. „Bei ihm hat sich wirklich jeder getraut zu singen und die Freude an der Musik entdeckt“, berichtet Katrin Mistele, die Vorsitzende des Kirchengemeinderats, die den scheidenden Bezirkskantor seit gut einem Vierteljahrhundert kennt.

Von daher war es für Toursel logisch, die Strukturen, die er vorfand, weiterzuführen und erst nach und nach neue Facetten einzuführen. Dies betraf die Arbeit mit dem Kirchenchor, dem ChorEnsemble, mit Kinder- und Jugendchören und dem Kirchenorchester. Unter Toursels Leitung entstanden dann Projekte wie der Konfirmandenelternchor, das Offene Singen im Advent und das Singen der Eltern bei der Kinderchorarbeit. Eines ist sicher: Nach 29 Jahren in der Schillerstadt übernimmt Toursels Nachfolger Andreas Willberg aus Lauffen eine musikalisch gut bestellte Kirchengemeinde.