Johannes Knödler hat Ralf Preusker tätowiert, während dieser dem Publikum Horrorgeschichten vorgelesen hat. Foto: Werner Kuhnle

Eine Horrorlesung im kleinen Kreis hat am späten Samstagabend für literarisches Gruseln gesorgt.

Marbach - Tatort Marbach, Marktstraße 40. Rund 15 Besucher des Tattoo-Studios „Jeckyll & Hyde“ sahen sich am Samstagabend einem besonders bluttriefenden und menschenverachtenden Verbrechen gegenüber. Die Litera Freaks hatten wieder einmal zugeschlagen. Bei den Literaturfans des Ludwigsburger Vereins darf es gerne etwas spezieller sein: schräg, schrill, morbide oder eben auch mal blutig und horrordurchtränkt. Die beiden Vorstände des Vereins, Ralf Preusker und Conni Eppinger hatten sich für ihren jüngsten Grusel-Lese-Streich eine besondere Bühne gewählt. Gemeinsam mit „dem Tätowierer meines Vertrauens, Johannes Knödler, “ lud Preusker all jene, denen der reale Schrecken dieser Welt noch nicht genügt, in die Arbeitshöhle des Motivstechers ein, weil „eine Horrorlesung eben am besten passt, wenn man sich nebenher tätowieren lässt“. Knödler wiederum machte sich „einen Riesenspaß aus der Sache“, denn er erhofft sich für Marbach, dass es „für Musik und Literatur einfach ein weitaus breitgefächerteres Angebot gibt“. Für den Tätowierexperten, der zusammen mit Rolf Amann – der wiederum ist auf das Übertätowieren von bereits vorhandenen Tattoos spezialisiert – das Studio aufrecht erhält, bot der Abend eine besondere Möglichkeit: „Wir wollen sehen, ob Ralf Preusker während der Behandlung seine Stimmlage und die Konzentration auf die Geschichte beibehalten kann. Denn darum geht es ja schließlich“, so Knödler. Das abendliche Opfer, das sich für das moderne Folterszenario einen Widder ausgewählt hat, der ihm auf den linken Oberschenkel gestochen werden sollte, kündigte seine Lesung wie folgt an: „Den schlimmsten Horror hab’ ich heute für Euch mitgebracht. Das sind nicht so müde Geschichten, sondern solche, dass ihr heute Nacht nicht gut schlafen werdet.“

Doch bevor sich Preusker zum Lesen auf den dicken, mit Schutzfolie abgedeckten Behandlungsstuhl setzte, überließ er das Schlachtfeld einem Jüngeren. Der Verein Litera Freaks sorgt nämlich auch für den Nachwuchs. Preusker selbst hat die Geschichte, die das Publikum zu hören bekam, lektoriert. Erst 17 Jahre jung ist der Autor Daniel Wizemann, der mit „Polarnacht“ ein trübes, beängstigendes Untergangsszenario malte, das die Erde einfrieren ließ. Zwar gab es bei dem jungen ludwigsburger Autor auch Sätze wie „die durchgefrorenen Leichen, von Vögeln angefressen“, doch war der Text insgesamt von weniger kämpferischer Grausamkeit gekennzeichnet, als von wohlüberlegten Beschreibungen.

Zeitgleich mit dem Surren der rotierenden Tätowiermaschine ließ sich die Stimme von Ralf Preusker im Anschluss daran vernehmen. Der Inhalt der gruseligen Wortkaskaden jedoch war nichts für Empfindsame. Schon bei der ersten Geschichte, eine russische, sprudelte die Hassbereitschaft und menschenverachtende Brutalität eines irrsinnigen Mörders nur so heraus. Horror eben. Satz für Satz war ein Schock für jeden, der im Menschsein etwas Erhaltenswertes sieht. Vermutlich aber liegt für manch einen Zuhörer gerade darin der besondere Reiz. Hell erleuchtet war die schaurig-schreckliche Szene von der grellen Lampe des Tätowierers, der sich auf seine Arbeit konzentrierte und die im interessanten Kontrast zu der intim mit Kerzenlicht beleuchteten Atmosphäre des Studios stand.