Im alten Dampfkraftwerk lernen Handwerker den Umgang mit leichten bis extremen Höhen und Tiefen. Foto: Werner Kuhnle

Im alten Dampfkraftwerk lernen Handwerker den Umgang mit leichten bis extremen Höhen und Tiefen.

Marbach - Den Leuten hier Sicherheit zu vermitteln, damit sie ihre Arbeit erledigen können“: So beschreibt Hannes Klingel seine Aufgabe im „Hochwerk“. Das ist der Name des Trainingszentrums für Berufstätige, die in luftigen Höhen arbeiten, darunter Handwerker, die zum Beispiel Windräder bauen oder instandsetzen. Der 37-jährige Gronauer ist fest angestellter Trainer bei Bornack, Hersteller für Sicherungs- und Rettungsgeräte wie Gurte, Seile, Helme und Netze, der das Trainings- und Eventzentrum im früheren Dampfkraftwerk des Marbacher Energie- und Technologieparks am Neckar betreibt.

Der Schwerpunkt liegt hier neben Theorieschulungen auf der praktischen Ausbildung. geübt wird an Trainingsgeräten wie einem rund 15 Meter hohen Stahlgittermasten, der im Innern der 34 Meter hohen Halle aufragt. Das Gebäude verströmt den Charme eines Industriedenkmals. Doch trainiert wird hier für ganz aktuelle Projekte, etwa aus dem Bauwesen.

„Irgendwann spielt es keine Rolle mehr, ob man in 100 oder 250 Meter Höhe arbeitet“, sagt Hannes Klingel. Gerade bei eher niedrigen Höhen unter zwei Metern sei die Gefahr von Leichtsinn jedoch am größten, weil sie trügerisch beherrschbar wirkten. Ohne Sicherung drohen jedoch im schlimmsten Fall ähnliche Verletzungen wie aus größeren Höhen.

„Eigentlich gehört der Mensch überhaupt nicht in die Höhe, eine Grundvorsicht ist in jedem angelegt“, erklärt Hannes Klingel. Der gelernte Realschullehrer hat als Quereinsteiger im Trainerjob seine Berufung gefunden. „Wer vorne am Felskopf an die Kante kommt, geht intuitiv in die Knie“, so der Experte. Nicht jeder kommt damit zurecht: Es sei aber höchstens eine Handvoll an Teilnehmern im Jahr, die sich beim Training als nicht geeignet herausstellen für Arbeiten in der Höhe.

Es gehe darum, große Höhen selbst zu erleben, um ein besseres Sicherheitsgefühl zu entwickeln, „ein Grundverständnis für die eigene Sicherheit“, erklärt Hannes Klingel. Statt einem Berg mit Felskante gibt es im „Hochwerk“ die vierstöckigen Galeriegerüste und den Stahlgittermasten als Übungsbereiche. In die Gerüste integriert sind neben Containern, die als Büros für die Theoriestunden, als Matriallager oder als Umkleiden dienen, allerlei andere Übungsgeräte und -objekte.

Unter anderem gehören ein offener Dachstuhl mit Stromabnehmer oder zwei Hubschrauber dazu, an denen etwa Feuerwehrleute und Polizisten trainieren. Einen Kurs belegt hat heute die Firma Schupp aus dem Raum Aalen, spezialisiert auf Betonsanierungen. Ihr steht ein Auftrag bevor, bei der eine historische Seilbahn am Predigtstuhl in Bad Reichenhall instandgesetzt wird. Dabei wird an Betonstützen in 32 Meter Höhe gearbeitet, die bis auf eine Ausnahme nur aus der Seilbahn erreichbar sind, das Material muss per Hubschrauber angeliefert werden. Auf Kirchen seien seine Leute natürlich schon öfter im Einsatz gewesen, 20 bis 30 Meter über dem Boden, erzählt Heiko Schupp, der Chef. Ansonsten sind eher Balkonbrüstungen oder Tiefgaragen das täglich’ Brot der Handwerker.

An den Seilbahnstützen zu arbeiten, ist daher schon etwas ganz Besonderes, „man freut sich darauf“, sagt Schupp und lächelt. Für allerlei Eventualitäten müssen sich die Arbeiter jedoch wappnen.

Sogar die Übernachtung in luftiger Höhe auf dem innen hohlen Betonpfeiler müssen sie einkalkulieren, da überraschend Unwetter losbrechen könnten, die einen geordneten Rückzug unmöglich machen können. Schlafsack und genügend Proviant gehören so zwingend zur Notausstattung. „Mir ist es wichtig, dass die Leute das Material kennenlernen“, sagt Heiko Schupp. Dazu gehören zum Beispiel Sicherungsgurte und allerlei Arten von Karabinerhaken. Eine Situation, die in Marbach ausgiebig trainiert wird, ist etwa die „Rettung vom Gerüst“.

In den ersten Übungen, die der reinen Absturzsicherung dienen, geht es darum, die eigenen Haken konzentriert von einem Punkt an den anderen zu versetzen. Aus Versehen die Karabiner an beiden Enden zu lösen, bevor wieder eingehakt wird, könnte böse enden.

„Ihr lebt nur einmal!“, mahnt Joachim Rentschler, Trainer dieser Gruppe. Dazu sagt er den Arbeitern: „Es muss jedem klar sein: Ihr macht das nicht für euren Chef hier, ihr macht das nur für euch!“