Die Personen aus der Geschichte der Schillerstadt haben die Besucher auch in ihre Szenen eingebunden. Foto: Werner Kuhnle

Besucher treffen bei szenischen Führungen durchs nächtliche Marbach unter anderem den wilden Mann vom gleichnamigen Brunnen.

Marabch - Selbst der motivierteste Städtetourist findet es meist nach spätestens einer halben Stunde ermüdend, endlosen Jahreszahlen und den Namen mehr oder weniger bekannter Personen zu lauschen. Das ist bei den szenischen Stadtführungen in Marbach ganz anders. Fast zwei Stunden lang hat Dorothee Ensinger am Samstag eine 13-köpfige Besuchergruppe durch die Altstadt geführt, ohne dass dabei auch nur eine Sekunde Langeweile aufkam. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Anette Prohl und Elke Staudacher vom Stadtinfoladen Drehbücher für insgesamt 14 Szenen geschrieben haben, durch die bekannte Personen aus der Geschichte Marbachs quasi noch einmal lebendig wurden. Und zwar so sehr, dass sie die Besucher gleich mit eingespannt haben.

Der wilde Mann vom Wilde-Mann-Brunnen etwa, eine schauerliche Gestalt mit zottigen Haaren und ebensolchem Bart, musterte die Umstehenden auf ihre Tauglichkeit. Eine Frau wies er an, sein Bett aufzuschütteln, einem Mann gab er den Befehl: „Ab ins Holz!“ Bevor es ernst wurde, kam zum Glück der Vogt vorbei und verscheuchte ihn mit den Worten: „Der Herzog ist in der Stadt!“ Doch auch er hatte spezielle Wünsche ans Publikum. Das sollte sich in zwei ordentlichen Reihen aufstellen, und während die Herren einen Kratzfuß zu machen hatten, mussten die Damen knicksen. „Aber nicht vornüberbeugen dabei, der Herzog will nicht ins Dekolleté sehen! Das heißt, vielleicht will er es schon…“ Kaum blieb Zeit für die solchermaßen Instruierten, sich in ihre Rollen zu finden, als schon der Herzog vorüberschritt, gefolgt von zwei kichernden Damen.

So tauchten während der Führung immer wieder historische Persönlichkeiten auf, die – vom wilden Mann einmal abgesehen – tatsächlich so oder so ähnlich geschehene Szenen nachstellten. Da lief hastig der Bürgermeister in Frack und Zylinder vorüber – er war auf dem Weg zur Einweihung des neuen Schillerdenkmals. Tobias Mayer erklärte seiner Frau die Bedeutung der Mondkarte, während diese selbst gemachten Holunderlikör ausschenkte. Der bekannte Jurist Karl Georg von Wächter ließ den Besuchern auf dem Burgplatz Brezeln und Milch servieren. Die Verbundenheit Wächters zu seiner Geburtsstadt Marbach, verriet nebenher Stadtführerin Dorothee Ensinger, habe ihn dazu gebracht, die Marbacher Bürger jedes Jahr solchermaßen zu bedenken, selbst, als er schon nicht mehr in seiner Heimatstadt lebte.

Auch von der letzten Turmwächterin wusste Ensinger zu berichten, die dort noch bis in die Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ohne jegliche sanitäre Einrichtung gelebt habe. Ältere Marbacher wüssten noch, dass sie öfters mal ihren Nachttopf durchs Fenster entleert habe. Und schon tauchte die Wächterin Katharina auf den Stufen auf, wobei sie jammerte, weil sie die Kartoffeln alleine nach oben schleppen musste, und ein paar Minuten, nachdem sie im Turm verschwunden war, rief es von oben: „Uffbasse!“, und ein Schwall ergoss sich aufs Pflaster.

Die szenischen Stadtführungen finden nur in den Wintermonaten statt. „Es muss dunkel sein, damit sich die richtige Stimmung einstellt“, so Dorothee Ensinger.