Die Schere dafür trägt sie in einem cowboyartigen Halfter. Krawatten haben so keine Chance. Foto: Oliver von Schaewen


Sigrid Steuer liest mit ihrer Gruppe den Stadträten am Schmotzigen Donnerstag die Leviten.

Marbach - Auf ihre Krawattensammlung am Häs ist Sigrid Steuer richtig stolz. „Mir macht das einfach Spaß“, erzählt die 60-Jährige, die als moderne Putzhexe Fizzli Putzli am Schmotzigen Donnerstag schon so manchem Mannsbild den Schlips abgeschnitten hat. Die Schere dafür trägt sie in einem cowboyartigen Halfter, in dem natürlich kein Revolver, sondern eben das Schnippschnapp-Instrument steckt. „So kann ich sie schnell hervorholen“, sagt die Oberhexe schmunzelnd.

Auch wenn die Frauen an jenem besonders verrückten Donnerstag der Faschingszeit unter anderem bei der Polizei oder Banken vorbeischauen – es steht doch das Hexengericht im Bürgersaal des Marbacher Rathauses ganz oben auf der Prioritätenliste. Der lustige Haufen besteht momentan noch aus fünf Hexen und einem „wilden Mann“, der im vorigen Jahr zu den Frauen stieß. Von diesem Erfolg beflügelt, wird Fizzli Putzli nicht müde, auch diesmal um weitere Hexen zu werben. „Es sollten wieder mindestens sieben werden“, sagt sie, dann könne der Brauch in den nächsten Jahren auf Dauer fortbestehen.

Der Aufwand halte sich eigentlich in Grenzen, verspricht Sigrid Steuer, die beruflich in einem Stuttgarter Schulsekretariat tätig ist. „Als Hexe kann ich in eine andere Rolle schlüpfen“, erzählt sie und verspricht künftigen Mithexen allerhand Spaß, da sie mit Narrenfreiheit Dinge aussprechen dürfen, „ohne dafür eine Strafe befürchten zu müssen“. Die Top-Themen im Ratssaal für dieses Jahr will Fizzli Putzli natürlich noch nicht verraten, aber man wolle den Stadtvätern und -müttern „zauberhafte“ Impulse geben, querdenken und den Räten den Spiegel vorhalten. „Hier dient uns die Marbacher Zeitung als Informationsquelle“, berichtet Sigrid Steuer. Das Hexengericht enthalte Schwachstellen, Bedenken von Bürgern und Rückblicke auf das, was nicht erledigt wurde. „Aber auch Lob, wenn etwas gelungen ist.“

Von den Eskapaden im Sitzungssaal dürften die Marbacher Bürgermeister ein Lied zu singen wissen. Die ehemalige Oberhexe Lydia Mugele nahm von 1993 bis 2008 die Verwaltungschefs ordentlich ran und engagierte sich mit der damals noch zwölfköpfigen Hexenschar beim Kinderumzug am Faschingsdienstag. Fizzli Putzli Sigrid Steuer hat die Leitung in den Jahren 2009 bis 2013 „nach und nach“ übernommen. Wichtig sei ihr auch ein passendes Erscheinungsbild, so Steuer. „Hexen können sowohl hässlich als auch schön sein.“ Spinnen, Raben, Eulen, schwarze Katzen, Ratten oder Krabbeltiere integriere eine erfahrende Hexe in ihrem Outfit. Die schwäbisch-alemannische Fasnet steht auch bei der Marbacher Gruppe Pate.

Wer also gerne närrisch herumläuft und Freude an schauspielerischem und lokalpolitischem Treiben hat, ist bei den Marbacher Hexen willkommen. Die kreativen Köpfe treffen sich nach dem 11.11. vielleicht zwei- oder dreimal für ein bis zwei Stunden, dann steht laut Steuer der Auftritt im Rathaus schon. „Wir haben unsere Reden, die alle auf Schwäbisch verfasst sind, im Stadtarchiv abgegeben“, erzählt Sigrid Steuer, die sich auch im Vorstand des Bürgervereins Hörnle & Eichgraben engagiert.

Toll findet die Oberhexe die Verstärkung durch den ersten „wilden Mann“ Andreas Gerigk. „Auch diese Gruppe soll wachsen“, wünscht sich Sigrid Steuer, die trotz aller närrischer Emanzipation findet: „Wir Frauen sind zwar wehrhaft, aber mit Männern fühlen wir uns auch ein bisschen beschützter.“ Doch auf der gemeinsamen Tour bleibt es dabei: Krawatten abzuschneiden, ist Frauensache. Pardon, Hexensache.