Für das Musikvideo in Kornwestheim tritt auch der Feuer­spucker von der Ludwigsburger Mittelalter-Band „Des Geyers Schwarzer Haufen“ auf. Foto: factum/Bach

Das Ludwigsburger Künstlerkollektiv Klangkrise dreht ein Musikvideo zu ihrer Single „Großstadtlichter“. Mit dabei: ein Feuerspucker, tanzwütige Komparsen und die ständige Angst, dass die Polizei vorbeikommt.

Kornwestheim - Blitzlichter zucken durch den künstlichen Nebel, der Beat hämmert gegen die Wände, junge, luftig bekleidete Menschen tanzen ausgelassen zusammen. Plötzlich geht die Musik aus. „Okay, alle noch mal raus, wir drehens nochmal“, sagt Markus Fink. Er ist heute Regisseur und gibt die Anweisungen. Deshalb hat er die Musik gestoppt. „Wenn das ein DJ im Club gemacht hätte, ihr hättet ihn gelyncht“, scherzt er in die Runde von knapp 15 Komparsen.

Es ist aber kein Club, es soll nur so aussehen wie einer – für ein Musikvideo. Fink gehört dem 2017 gegründeten Ludwigsburger Künstlerkollektiv Klangkrise an, er hat den Song „Großstadtlichter“ geschrieben, zu dem jetzt das Video gedreht werden soll. Zusammen mit der Sängerin Daphne Demetriou spielt er seit Jahren in der Coverband The Finch.

„Wir hatten Sehnsucht nach eigener Mucke“, erklärt er den Schritt zu Klangkrise. Wie die beiden auf den Namen kamen, können sie auch nicht so genau erklären. „Der Krisenfaktor sind wir selbst“, sagt Demetriou im Scherz. Sie ist die Sängerin und für den Dreh gestylt wie Uma Thurman im Kultfilm Pulp Fiction: Bob-Frisur, weißes Hemd, knallenge schwarze Lederhose. Künstlerkollektiv nennen sie sich, weil immer wieder neue Künstler dazukommen und die Arbeiten inspirieren. So steht beispielsweise der Stuttgarter Fotograf Benjamin Hanus für das Video an der Kamera.

Eingängiger elektronischer Pop mit Hang zum Exzess

Eine Krise beim Hören des Songs bekommt man jedenfalls nicht: „Großstadtlichter“ ist eingängiger elektronischer Pop, es geht ums Tanzen, um Exzess, um Spaß haben auf einem Rave in einer angesagten Metropole wie Berlin, Belgrad oder Tel Aviv. Dass mancher Tänzer beim Dreh eine Flasche Schwabenbräu in der Hand hält, wird man später nicht mehr sehen.

Bei der Wahl der Location haben die Künstler Wagemut bewiesen: Sie drehen in einer alten Lagerhalle in Kornwestheim. Eingeschlagene Scheiben, Wasser, das von der Decke tropft, Pfützen am Boden. Eine Underground-Aktion, die unbeachtet von der Öffentlichkeit bleiben soll. Die Scheinwerfer, die Nebelmaschine, die Kamera mit Stativ und die meterweise Kabel sind von außen nicht zu sehen.

Für Wärme sorgt ein Feuerspucker

Die Klangkrise-Künstler sind ein wenig im Verzug: Das Video sollte schon Anfang März gedreht werden. „Aber wir wollten es unseren Komparsen nicht zumuten, bei Minusgraden im T-Shirt zu tanzen“, sagt Demetriou. Also hat man den Termin noch mal verschoben. Jetzt tobt draußen wieder der Schnee und die Tänzerinnen und Tänzer hüpfen während der Drehpausen auf und ab, um sich warm zu halten.

Für ein wenig Hitze sorgt dann der Auftritt von Andreas Berg. Er ist Mitglied der Ludwigsburger Mittelalter-Band „Des Geyers Schwarzer Haufen“ und heute zuständig für eine besondere Show-Einlage im Video: Er soll Feuer spucken. Skeptisch blickt er an die niedrige Decke der Lagerhalle – eigentlich zu niedrig, meint er.

Nach kurzer Diskussion entscheidet man, es dennoch durchzuziehen, weil hier alles aus Beton ist. „Bitte nichts abfackeln“, sagt Fink zu Berg, bevor’s losgeht. Berg streckt den Rücken durch und pustet die Flüssigkeit, Pyrofluid genannt, in die brennende Fackel. Sofort rollt sich eine Flammenfontäne gen Decke und kräuselt dort entlang, bis sie erlischt. Aber außer dass es in der kalten Halle schlagartig warm wird, passiert nichts weiter. Als er fertig ist, gibt’s Applaus von den Komparsen.

Am Ende, nach knapp 13 Stunden Dreh und den Vorbereitungen dazu, ist alles im Kasten und die Künstler sind zufrieden. Niemand hat die Dreharbeiten bemerkt, alles kann wieder abgebaut werden. Die subversive Kunstaktion ist gelungen.

Und sie haben es tatsächlich geschafft, Szenen zu drehen, die so aussehen, als würden Menschen in einem Underground-Club einer Metropole im Sommer feiern. Und das in einer Lagerhalle in Kornwestheim bei Minusgraden. Kunst kann manchmal ganz schön hart sein.