Dieses Foto zeigt berittenes Militär 1918 auf dem Kornwestheimer Exerzierplatz. Foto: z

Auch in der Stadt demonstrierten vor genau 100 Jahren in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges Arbeiter und gründeten Arbeiter- und Soldatenräte.

Kornwestheim - Der 9. November ist ein besonders geschichtsträchtiges Datum in der deutschen Geschichte. Am 9. November 1938 fand die Reichspogromnacht statt, als die Nazis jüdische Geschäfte und Synagogen angriffen – heute Abend spricht Dr. Irmgard Sedler auf Einladung der Initiative Stolpersteine über diese dunklen Zeiten. Und, natürlich, fiel am 9. November 1989 die Berliner Mauer.

Ein weiteres wichtiges Ereignis, das Deutschland wie kaum ein zweites prägen sollte, ist mit dem heutigen Tage nun genau 100 Jahre her: Am 9. November 1918 riefen gleich zwei deutsche Politiker Republiken aus. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann verkündete an einem Fenster des Reichstages stehend das Ende des Kaiserreiches und die deutsche Republik. Noch revolutionärer waren die Worte Karl Liebknechts. Aus dem Berliner Stadtschloss heraus wollte er die „Freie sozialistische Republik Deutschland“ begründen.

Die Ereignisse im fernen Berlin fanden schnell im ganzen Deutschen Reich ihren Widerhall – und das auch in Kornwestheim. Der Erste Weltkrieg war fast an seinem Ende angelangt, die deutschen Truppen entkräftet und beinahe geschlagen, auch wenn in der Folgezeit schnell das Wort von der „im Felde unbesiegten Truppe“ und damit die Dolchstoßlegende die Runde machen sollte. Im letzten Kriegsjahr waren allein aus Kornwestheim noch mehr als 40 Soldaten gefallen, insgesamt hatte das damals rund 5000 Einwohner zählende Dorf mehr als 180 Gefallene zu beklagen, hinzu kamen mehrere Vermisste. Dass die Stimmung in der Stadt von Trauer geprägt war, hat der im März 2013 verstorbene Kornwestheimer Ortshistoriker Reinhold Kienzle in seinem Buch „Kornwestheim zwischen den Weltkriegen“ herausgearbeitet. Generell galt Kienzle als der wohl wichtigste Heimatforscher in der Stadt, der die große Geschichte auf Kornwestheim heruntergebrochen hat.

Er versuchte auch, die Geschehnisse am 9. November 1918 im Ort nachzuzeichnen. „Mit dem Umsturz wurde es auf dem Kornwestheimer Rathaus unruhiger, als bekannt wurde, dass sich in Ludwigsburg sofort ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet und sich in den Besitz der militärischen und zivilen Macht gesetzt hatte“, berichtete Reinhold Kienzle aus den Tagen der Revolution. Zwar sei es in Kornwestheim nicht ganz so hitzig zugegangen wie in der Barockstadt. Dennoch marschierten auch hier die Arbeiter, wie beispielsweise weitere Quellen bezeugen, die die Kornwestheimer Stadtarchivarin Natascha Richter verwaltet. In der Standortchronik von Friedrich Siller, seines Zeichens damals auch Schultheiß, heißt es beispielsweise: „Am 9. 11. 1918 vormittags um 10 Uhr stellten die Arbeiter und Arbeiterinnen der Firma Sigle und A. Stotz die Arbeit ein zum Demonstrationszug zum Rathaus bei der Kirche, wo dann die Führer Sprenger, Floruß und Bühler ihr Verlangen bei mir vortrugen, deren Erfüllung ich zusagte.“ Bei den Forderungen der Arbeiter ging es um Lebensmittel, vor allem wohl um die Verteilung von Milch und die Verhinderung von Wucher in den Kriegstagen, in denen auch in Kornwestheim Knappheit herrschte. Die Rede war von „hunderten“ Arbeitern, die in der Stadt demonstrierten. Ausschreitungen gab es aber in Kornwestheim wohl keine.

Dennoch bildete sich auch hier ein Arbeiter- und Soldatenrat wie vielerorts im Deutschen Reich. Eine Kommission der Stadt wiederum verhandelte in Unterbrechung einer Gemeinderatssitzung mit den Arbeiter- und Soldatenvertretern. „Es kam zu keiner Prügelei und es wurde nicht geschossen“, schrieb Kienzle. Der Ortschronist beschrieb die Situation weiterhin so: „Der gemischten Kommission ging es nicht um Krawalle, die die Not im Dorf nur vergrößert hätten, sondern um Sicherheit für die Bürger, um den ehrenvollen Empfang der heimkehrenden Soldaten, um eine gerechte Verteilung und schleunigst um die Herabsetzung der zu hohen Milch-, Butter- und Kartoffelpreise, da sie in jetziger Höhe auf Dauer nicht getragen werden könnten.“ Auch die Sicherung der in der Schuhfabrik vorhandenen Arbeitsplätze sowie die Behebung der „katastrophalen Wohnungsnot“ habe eine Rolle gespielt. Generell war die Stimmung in der Stadt wohl trotz der revolutionären Gesamtsituation von einer gewissen Kompromissbereitschaft und Lösungsorientiertheit geprägt. „Es war in Kornwestheim nur ein revolutionäres Strohfeuerchen“, so Kienzle. Es sei innerhalb von zehn Tagen, nach einer zweiten Sitzung, erloschen.