Ernst Sigle vor dem Porträtfoto seines Bruders Jakob. Foto: Museum Stadt Kornwestheim

Druckfrisch auf dem Tisch: Das Buch „Im Zeichen des Salamander“ gewährt erhellende Einblicke in frühe Jahre der Firmen-Historie und die Psyche zweier führender Köpfe

Kornwestheim - Als Max Levi, der mit Jakob Sigle die Kornwestheimer Schuhfabrik auf den Weg gebracht hatte, den Schuh-Mogul und Kreator des Markennamens Salamander Rudolf Moos in Berlin aufsuchte und ihn als Abnehmer der Sigle-Schuhe gewinnen wollte, holte er sich erst einmal eine Abfuhr. „Als er mir seine Muster vorlegte“, schreibt Moos in seinen Lebenserinnerungen, „ musste ich lachen und sagte auf gut Schwäbisch zu ihm: ,Dös sind Muschter für die oberschwäbische Baurä und net für die Friedrichstraß in Berlin!’“

„Gewöhnlicher, bäurischer Zuschnitt“, urteilte Moos, „grobes Oberleder, dicke Sohlen“. Kurz: „Für Landkundschaft geeignet.“ Damit war in der Reichshauptstadt kein Staat zu machen. Max Levi habe ruhig zugehört und dann entgegnet: „Sie mögen Recht haben. Unser Fabrikat ist noch nicht so weit, dass es für Sie passt. Aber warten Sie nur, in einem Jahr komme ich wieder, dann werden Sie anders urteilen.“

Dass Moos ein Jahr später anders urteilte und die glückliche Verbindung von Moos, Levi und Sigle zu einem Firmenaufstieg führte, der seinesgleichen sucht, ist hinlänglich bekannt. Neu sind hingegen viele Einblicke, die der jetzt erschienene Band von Irmgard Sedler und Martin Burkhardt „Im Zeichen des Salamander – Firmengeschichte“ gewährt. Etwa besagte Lebenserinnerungen, die der von den Nazis in die Emigration getriebene Rudolf Moos zwischen April 1934 und Juni 1944 verfasst: rund 1800 Seiten, auf denen Moos mit flammendem Herzen und verletzter Seele auf das zurückblickt, was er im geliebten Deutschland erreicht hatte und aufgeben musste. Als Jude im Hitler-Staat diskreditiert, will sich der in der Heimat Weggeschwiegene nicht unterkriegen lassen: Er setzt Gegenakzente. Er kehrt schreibender Weise den Macher, Gestalter, den mondänen Bürger und Geschäftsmann Moos hervor. Ein mentaler Kraftakt.

Diese Selbstzeugnisse, die Moos’ in Kalifornien lebender Enkelsohn Rudolf Hugo Moos Irmgard Sedler zur Verfügung gestellt hat, gelangen in dieser Form erstmals an die Öffentlichkeit. Der Enkel, ein emeritierter Psychologie-Professor, publizierte zwar 2010 englisch übersetzte Auszüge. Dies aber im Hinblick auf die Familiengeschichte, während nun Moos als Persönlichkeit, die dem Salamander-Erfolg den Weg ebnete, im Vordergrund steht.

Rudolf Moos’ Selbstzeugnissen gegenübergestellt sind Dokumente aus dem Leben von Ernst Sigle, dem Bruder des Firmengründers Jakob Sigle. Dieser hatte Ernst 1896/1897 auf „Bildungsreise“ in die USA geschickt. Der 24-Jährige sollte neueste Technologien in der mechanischen Schuhproduktion aus Übersee nach Kornwestheim vermelden – und im gleichen Zug Gras über eine in der Familie als unpassend angesehene Liebelei wachsen lassen.

Das im Wirtschaftsarchiv Hohenheim lagernde Briefkopierbuch konservierte Sigles Reise-Aufzeichnungen, für „Im Zeichen des Salamander“ wurde es transkribiert. Akribisch vermerkte Sigle Produktionsweisen und räumliche Gegebenheiten und verschaffte den Daheimgebliebenen manche Wissensvorsprünge. Persönliches blitzt in diesen Notizen, die in Form von Briefen an den Bruder abgefasst waren, selten auf. Doch Randbemerkungen wie: „Abends waren wir im Bostoner Theater, was du selbstverständlich dem Vater nicht sagst“ lassen das strenge Regiment im Hause Sigle erahnen.

Ernst Sigles „Lebenserinnerungen“ machen einen weiteren Teil des Buches aus. In der rund 60-seitigen, im Jahr 1935 endenden Selbstbespiegelung, deren Anlass unbekannt ist, entfaltet er sein persönliches Salamander-, Familien- und Kornwestheim-Panoptikum. Seitenhiebe auf Lehrer und Pfarrer („Kornwestheim war ein angenehmer Ruheplatz für alte Herren“) und ausführliche Reiseberichte inklusive, die den Stolz des gesellschaftlich Aufgestiegenen demonstrieren.

Biografien der damaligen Salamander-Akteure, ein umfangreiches schuhtechnisches Glossar, das ausgestorbene Techniken und Fachbegriffe dem Vergessen entreißt, ein zeitlicher Überblick der Anfänge der Firmengeschichte von Martin Burkhardt, Fotos und Zeichnungen komplettieren den Band. Zudem stoßen zahlreiche Fußnoten weitere Türen auf – zu kleinen, spannenden Geschichten innerhalb der großen.

Die Quellen fanden Sedler und Burkhardt, unterstützt von Liane Strauß, Annemarie Weber, Holde Hammelbacher, Rudolf Epstein und Natascha Richter, unter anderem in zahlreichen Archiven und durch Einsichtnahme in private Zeugnisse von Sigle-, Moos- und Levi-Nachfahren. Bei den umfangreichen und zeitintensiven Recherchen ist viel Material zusammengekommen – aber das vorliegende Buch ist auch erst der Anfang. Ende 2015 soll ein Nachfolgeband herauskommen. Und ein Text- und Bildband zur Salamander-Sammlung der Stadt ist ebenfalls in Arbeit.