Ihr Lachen ist ihr Markenzeichen: Renate Schwaderer Foto: Horst Dömötör

Kirchenpflegerin Renate Schwaderer ist in den Ruhestand verabschiedet worden. Zudem bekam sie die Philipp-Matthäus-Hahn-Medaille überreicht.

Kornwestheim - Fast 40 Jahre lang hat sie die Geschicke der evangelischen Kirchengemeinde geleitet. „Bei den Pfarrerinnen und Pfarrern war ein Kommen und Gehen. Renate Schwaderer blieb – wie ein Fels in der Brandung“, sagte Pfarrer Horst Rüb im Verabschiedungsgottesdienst am Sonntagvormittag in der Johanneskirche. Von einem vertrauensvollen und guten Miteinander war die Rede, der Kirchengemeinderatsvorsitzende Dr. Klaus Schaldecker lobte, dass Renate Schwaderer nicht nur habe verwalten, sondern auch gestalten wollen. Den Abschied in den Ruhestand nutzte die Stadt Kornwestheim, um die langjährige Kirchenpflegerin und Leiterin der kirchlichen Sozialstation mit der Philipp-Matthäus-Hahn-Medaille auszuzeichnen. Oberbürgermeisterin Ursula Keck würdigte ihr Engagement an vielen Stellen in der Stadt – bei der Kirche, in der Asylarbeit, im Bürgerverein in Pattonville. „Renate Schwaderer hat das Herz am richtigen Fleck. Sie nimmt die Menschen als Ganzes an und begegnet ihnen offen und mit großem Respekt.“ Der Preis, so Schwaderer bescheiden, stehe aber nicht allein ihr zu, sondern auch den vielen Teams, mit denen sie zusammengearbeitet habe.

Tobias Laufs tritt die Nachfolge von Renate Schwaderer an – unterstützt von der Kirchenpflege in Ludwigsburg, mit der eine Verwaltungseinheit gebildet worden ist.

Stolz auf die umgebaute Johanneskirche

In einem Interview mit unserer Zeitung schaut die scheidende Kirchenpflegerin auf ihr Berufsleben zurück.

Frau Schwaderer, Sie waren fast 40 Jahre lang Kirchenpflegerin. Ist die evangelische Kirchengemeinde Kornwestheim pflegeleicht oder pflegeintensiv?

Eine schwierige Frage: Man muss viel arbeiten, weil die Gemeinde auch viel bietet. Als ich angefangen habe, hatten wir eine Kindergartengruppe, die Sozialstation hatte einen eigenen Geschäftsführer, und Pattonville war in weiter Ferne. Die Gemeinde war aber insofern nie schwierig, weil es immer ein gutes Miteinander gab – mit den Pfarrerinnen und Pfarrern, mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit dem Kirchengemeinderat.

Worauf blicken Sie mit Stolz zurück?

Zum Beispiel auf den Aufbau der Kirchlichen Sozialstation, die ich zusätzlich als Geschäftsführerin ab 1983 geleitet habe. Ich freue mich, dass in Kürze noch eine Tagespflege hinzukommt. Ich bin stolz darauf, dass wir die Sozialdiakonie aufgebaut haben und nun auch die Obdachlosenunterkünfte im Moldengraben betreuen. Und worüber ich mich auch sehr freue, das ist die umgebaute Johanneskirche.

Wobei Sie doch zu denen gehörten, die einem Abriss nicht im Wege gestanden hätten.

Das ist richtig. Aber nachdem es dafür keine Mehrheit gegeben hat – und darüber bin ich im Nachhinein froh –, habe ich mich für die Haus-in-Haus-Lösung ausgesprochen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das so schön wird.

Was gefällt Ihnen an der neuen Johanneskirche?

Das Offene, das Einladende. Was mir nicht gefällt: Dass Corona alle Ansätze, die wir hatten, um das Haus zu beleben, zunichtegemacht hat. Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Johanneskirche zu einem Haus der Begegnung und der Kommunikation wird, so wie wir es uns vorstellen.

Kirchliche Entscheidungsprozesse zeichnen sich nicht durch eine besondere Schnelligkeit aus, Sie gelten aber als pragmatisch und lösungsorientiert. Wie hat das über fast vier Jahrzehnte zusammengepasst?

Es ist gut, wenn man sich Zeit für eine Entscheidung nimmt, die man auch benötigt, um zu einer guten Lösung zu kommen. Das galt für das engere Zusammenrücken der Gemeinden in Kornwestheim, das galt zuletzt aber auch für die Gebäudekonzeption. Das Pragmatische gilt bei mir für den Alltag. Und da hat man mir sowohl als Kirchenpflegerin und als Geschäftsführerin der Kirchlichen Sozialstation freie Hand gelassen. Dass Entscheidungsprozesse mitunter eine lange Zeit in Anspruch nehmen, das gilt übrigens nicht nur für die Kirche: Wenn ich daran denke, wie lange es gedauert hat, bis wir die Genehmigungen für den Umbau der Johanneskirche zusammenhatten. . . Was mich über all die Jahre wirklich oft hat verzweifeln lassen, das war die Zunahme der Bürokratie in nahezu allen Bereichen. Wenn Sie früher drei Seiten haben ausfüllen müssen, sind’s heute 20.

Lösungsorientiert gearbeitet

Jetzt sind Sie als Kirchenpflegerin ja auch selbst ein Teil der Bürokratie. Waren Sie ganz anders?

Das müssen Sie wohl eher andere fragen. Aber klar: Manches haben sich die Pfarrerinnen und Pfarrer auch einfacher vorgestellt, und ich war diejenige, die bremsen musste. Aber mein Handeln war lösungsorientiert und ich habe immer versucht, den Gesamtzusammenhang zu sehen. Ich merke allerdings: Die nachfolgenden Generationen orientieren sich strikter an den Verordnungen und Vorgaben.

Die Kirche nimmt insgesamt an Bedeutung ab. Woran spüren Sie das auf der Verwaltungsebene?

In erster Linie natürlich an den zurückgehenden Gemeindemitgliederzahlen und auch Steuereinnahmen. Meine Generation war noch gut vernetzt in die Rathäuser. Ich befürchte, dass das nachlassen wird und dass eine schrumpfende Kirche nicht mehr so wahrgenommen wird.

Welche Rolle wird die Kirche künftig spielen? Wo sehen Sie ihre Aufgabe?

Sie wird in erster Linie die frohe Botschaft verkündigen und Seelsorge betreiben. Das bleibt die vorrangige Aufgabe. Sie muss aber auch die Menschen in Not sehen, und die kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Und wir dürfen die Menschen am Rande der Gesellschaft nicht vergessen. Die Frage ist: Wie viel Diakonie kann sich die Kirche noch leisten? Das gilt auch für die Kindergartenarbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das über eine lange Zeit aufrechterhalten lässt, wenn die Menschen der Kirche den Rücken kehren und der Ansicht sind, dass es sich nicht lohnt, regelmäßig die Steuern zu zahlen. Es wird auch spannend sein zu beobachten, wo die Kirche wegen der Finanzen professionelle Strukturen aufgeben muss, um wieder mehr aufs Ehrenamt zu setzen.

Wie oft haben Sie sich auf die Kanzel gewünscht, um endlich einmal das sagen zu können, was Ihnen auf der Seele brennt?

Nie. Ich habe gerne bei der Vorbereitung von Gottesdiensten mitgemacht, wenn’s um bestimmte Themen ging, ich habe ganz früher auch die Altenheim-Gottesdienste übernommen, aber damit hat es sich dann auch.

Sie waren als Frau in einer Leitungsposition in der Kirche. War das je ein Problem?

Ich war sicherlich eine der ersten Frauen, die die Kirchenpflege in einer Gemeinde dieser Größenordnung übernommen hat. Aber ein Problem war das nie. Ich bin in einem Handwerkerhaushalt aufgewachsen und weiß mich durchzusetzen. Die größte Freude hatte ich in den vergangenen Jahren, wenn ich junge Frauen fördern könnte.

Sie waren über all die Jahre für die Kindergärten verantwortlich. Was war da die größte Herausforderung?

Die permanenten Veränderungen. Wenn Sie allein an die Ausweitung der Öffnungszeiten denken: Das war ein stetiges Herantasten an die Bedürfnisse der Eltern. Verändert hat sich im Laufe der Jahre auch die Kommunikation mit den Eltern, die ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeit eines Kindergartens haben: Die einen wollen eine Bildungsanstalt, die anderen alle Freiheiten für ihr Kind. Das zusammenzubringen, das ist schon eine Herausforderung. Eine Entwicklung, die mich freut: Wir haben in den Kindergärten Inklusion und betreuen Kinder, die einer besonderen Förderung bedürfen. Das wäre vor 30 Jahren undenkbar gewesen. Und um noch mal aufs Thema Bürokratie zurückzukommen: Die Erzieherinnen und Erzieher sind viel mit der Dokumentation beschäftigt. Das ist eine Zeit, die für die Betreuung der Kinder fehlt.

Es gibt auf diesem Markt mittlerweile viele Anbieter. Soll die Kirche sich weiter engagieren?

Ja. Weil es einfach schön ist, wenn man Kindern im Alltag ein Gottesbild vermitteln kann. Der Kindergarten ist ein ganz wichtiger Arbeitsbereich für die Kirche.

Viele Änderungen im Pflegebereich

Auch im Pflegebereich hat sich viel verändert.

Auf jeden Fall. Als ich die Geschäftsführung der Sozialstation übernommen habe, gab es zwei Abrechnungsmodi: Mitglied des Krankenpflegevereins und Nicht-Mitglied. Und es gab auch nur zwei Autos. In der Regel haben Familienmitglieder gepflegt, und wir haben unterstützend eingegriffen. Das hat sich rasant weiterentwickelt und bekam durch die Einführung der Pflegeversicherung noch einmal einen großen Schub. Wir haben viel mehr Patienten, weil sie älter werden und länger daheimbleiben können. Und was zu beobachten ist: Das Thema Demenz hat massiv zugenommen. Und größtes Problem ist derzeit der Mangel an Pflegekräften.

Auch in diesem Arbeitsfeld tummeln sich viele Privatunternehmen. Warum braucht’s da noch die Kirche?

Weil bei uns die Gewinnmaximierung nicht im Vordergrund steht und weil bei uns auch die Seelsorge ein Thema ist – nicht im Sinne von Missionierung, sondern weil wir nicht nur aufs gesundheitliche Befinden schauen. Ein Beispiel ist unsere Patientenweihnachtsfeier, die wir wegen der Pandemie im vergangenen Jahr allerdings nicht ausrichten konnten. Das ist für manch einen Patienten der Höhepunkt des Jahres, und für die Pflegerinnen und Pfleger war’s toll, ihren Patienten einmal auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen einen Kaffee zu trinken.

Was ist Ihnen für die Kirche der Zukunft wichtig?

Dass sie weiterhin eine Kirche für die Menschen bleibt, dass sie mit ihren Gottesdiensten begeistert, dass sie für die Bibel begeistert, denn das ist ein hoch spannendes Buch, in dem sie alles finden – Trost, Zuversicht, Unterhaltung.

Künftig pflegen Sie nicht mehr die Kirche, sondern hoffentlich Ihr eigenes Wohlbefinden. Wie gut können Sie loslassen, und was treiben Sie den lieben, langen Tag?

Ich hoffe, dass ich gut loslassen kann. Mit dem Abgeben der Aufgaben von Sozialstation und den Kindergärten habe ich ja schon geübt. Und was den Ruhestand betrifft: Ich freue mich wahnsinnig. Ich bin im Bürgerverein Pattonville engagiert und werde mich, weil ich eine absolute Leseratte bin, stärker in die Büchereiarbeit einbringen. Und auch der Seniorenakademie will ich die Treue halten.