Nachdem die Menschen gerettet worden sind, werden die Schlauchboote abgestochen, damit sie nicht weiter zum Einsatz kommen. Foto: /z

Seenotretter Olaf Oehmichen und Pfarrerin Ines Fischer berichten von ihrer Arbeit.

Kornwestheim - Die Fotos und Filmausschnitte sind verstörend: Menschen eingepfercht auf einem großen Schlauchboot, die ihre Arme nach Seilen und helfenden Händen ausstrecken. „One by one“ (Einer nach dem anderen) ruft der Seenotretter, aber seine Aufforderung verhallt nahezu ungehört. Die Flüchtlinge drängt es auf das Rettungsschiff, runter vom schwankenden Schlauchboot und raus aus einer Brühe aus Fäkalien, Erbrochenem, Salzwasser und Treibstoff, die sich im Laufe der vergangenen Stunden in dem Schlauchboot angesammelt hat. Ein nahezu unerträglicher Gestank gehe von dem Boot aus, sagt Seenotretter Olaf Oehmichen. „Die in der Mitte sitzen, haben fast alle offene Wunden“, Leichen dümpeln im Wasser. Diese Flüchtlinge haben es nicht mehr geschafft.

Am Mittwochabend berichtete der Architekt aus Asperg im Schafhof auf Einladung des Ökumenischen Arbeitskreises Asyl und im Rahmen der Interkulturellen Woche über seine ehrenamtlichen Einsätze im Mittelmeer. Vor der libyschen Küste sucht die deutsche Rettungsorganisation Sea-Eye mit ihrem Schiff „Alan Kurdi“ nach Bootsflüchtlingen. Die in Rom ansässige Leitstelle zur Koordination der Seenotrettung MRCC weist ihnen den Weg zu den Schlauchbooten und Holzbarken, mit denen die Flüchtlinge versuchen, das Mittelmeer zu queren. Das Gebiet, auf dem die gerade einmal 13 Kilometer pro Stunde schnelle „Alan Kurdi“ unterwegs ist, ist so groß wie Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zusammen.

18 000 Leichen sind in den vergangenen Jahren aus dem Mittelmeer gezogen worden. Olaf Oehmichen geht davon aus, dass es bis zu 100 000 Menschen sind, die ihr Leben bei der Flucht über das Mittelmeer verloren haben. „Das Mittelmeer“, sagt er, „ist die tödlichste Außengrenze der Welt.“ Oehmichen verurteilt die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Libyen. Er zeigt Aufnahmen, wie die Küstenwache des nordafrikanischen Staates Menschen im Wasser zurücklässt. Er berichtet, dass Flüchtlinge auf den Schiffen der Küstenwache misshandelt werden.

Pfarrerin Ines Fischer, im Kirchenbezirk Reutlingen für die Asylarbeit zuständig, wirbt an diesem Abend für die Hilfsaktion Seebrücke. Mitgliedskommunen erklären sich bereit, Menschen aufzunehmen, die aus Seenot gerettet worden sind. Wichtig sei das Zeichen, dass damit verbunden sei, sagt Fischer. Die Städte und Gemeinden – deutschlandweit sind es knapp 100, in Baden-Württemberg zwölf sowie ein Landkreis – stellen sich gegen die Abschottungspolitik Europas. Die Seelsorgerin ist davon überzeugt, dass es solche Maßnahmen sind, die letztlich zu Veränderungen führen. Kornwestheims Baubürgermeister Daniel Güthler, sichtlich beeindruckt von den Bildern, die Olaf Oehmichem zeigt, verspricht, das Thema in die Stadtverwaltung einzubringen. Von den Stadträten, die der Arbeitskreis Asyl zu der Veranstaltung eingeladen hat, ist nur Sylvia Rauscher (SPD) gekommen. Auch sie will mit anderen Stadträten in dieser Sache Kontakt aufnehmen.

Warum wagen sich Menschen auf solche Boote, von denen nicht anzunehmen ist, dass sie, weil mit keinerlei Navigationsgerät ausgestattet, den Weg übers Mittelmeer schaffen? „Diese Menschen haben nichts mehr zu verlieren“, sagt Ines Fischer. Die Zustände in den libyschen Lagern seien unerträglich, ein Zurück in die Heimat sei ihnen häufig versperrt, weil sie nicht mehr über ihre Papiere verfügen würden. Wohin also?

Oehmichen, seit Anfang 2017 bei Sea-Eye engagiert, hat eine Reihe von Menschen im Mittelmeer sterben sehen. Er hat wegen des beißenden Gestanks selbst zeitweise Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Aber Sea-Eye, sagt er, habe über 1000 Menschen aus dem Wasser gezogen, die die Überfahrt in den schwankenden, überladenen Booten nicht überlebt hätten. „Das entschädigt für vieles“, sagt er.