Ungewohnte Blicke aufs Rathaus- entnommen dem Buch „Paul Bonatz. Bauten zwischen Rhein und Neckar. Foto: z/Rose Hajdu

Ein Architekturband stellt das Rathaus der Stadt im Kontext weiterer Bonatz-Bauten vor.

Kornwestheim - Zur Wahrnehmung der Kornwestheimer gehört der Rathaus-Komplex mit Wasserturm und Verwaltungsgebäude so selbstverständlich, dass seine baugestalterischen Besonderheiten wohl eher selten zur Kenntnis genommen werden.

Doch die Betrachtung von außen, aus Perspektive von Architekturfachleuten, eröffnet auch dem Kornwestheimer Leser neue Blickwinkel auf das Bonatz-Ensemble. Zumal, wenn es in den Zusammenhang mit anderen Bauten des Architekten gestellt wird, der in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von Architekturkritikern als „eine der wichtigsten Erscheinungen der Baukunst“ tituliert wurde und der in der Aufbruchszeit der Moderne in Deutschland eine wichtige Rolle spielte.

Der großzügig und detailreich bebilderte Architekturband „Paul Bonatz. Bauten an Rhein und Neckar“ von Rose Hajdu, Marc Hirschfell und Wolfgang Voigt widmet sich Bonatz’ Bauten im Südwesten Deutschlands. Zwar konzipierte der Architekt beispielsweise auch das Kunstmuseum in Basel, die Düsseldorfer Oper und das Opernhaus in Ankara – in die Türkei hatte er sich Anfang 1944 abgesetzt – , doch die meisten seiner Bauten konzentrieren sich auf Baden und Württemberg.

Unter den exemplarisch ausgewählten 30 Gebäuden steht das Rathaus für Bonatz’ Verwaltungs-, Gewerbe- und Kulturbauten Pate. Nachdem 1929/30 schon einmal ein Architektenwettbewerb verworfen worden war, hatte die Kornwestheimer Stadtverwaltung Paul Bonatz 1933 den Auftrag erteilt. Der Architekt hatte mit seinem Entwurf auch gleich eine Lösung für die Wasserversorgung parat. „In Kornwestheim findet man beide Teile des Ensembles als eigenständige Elemente nebeneinander gestellt. Ähnlich wie sein Pendant am Stuttgarter Hauptbahnhof ist der Turm als kubisches Volumen mit kaum merklicher Verjüngung nach oben geformt“, schreibt Wolfgang Voigt, stellvertretender Direktor am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, im Kornwestheim-Kapitel. „Zur Betonung des technisch-konstruktiven Charakters blieb das Stahlbetonskelett unverkleidet, ganz im Sinne der Stuttgarter Schule, die der sichtbar aus der Konstruktion entworfenen Form einen hohen Stellenwert einräumte.“ Der Turm sei eine „mit Sorgfalt gestaltete Komposition“, wohingegen der Verwaltungsbau mit seinem Walmdach zeige, dass „die Moderne der späten Weimarer Republik damals bereits der Verdammung anheim gefallen war“.

Besonders hervorgehoben wird „die Material- und Farbenfreude bei der Klinkerfassade“, die den Betrachter mit einer „erst aus der Nähe erkennbaren Mischung verschiedenster Ziegeltöne“ überrasche. Überall am Rathaus, so die Einschätzung des Autors, sei „die Vermittlung zwischen Tradition und Moderne spürbar“.

Wie vielseitig, qualitätsvoll und inspiriert Bonatz’ Bauten sind, zeigt das Buch in einer Bandbreite von Wohnhäusern über Schulbauten oder Turnhallen bis hin – natürlich – zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Nicht zu vergessen die Themenbereiche, die er sich zur ureigenen Domäne gemacht hatte: die Wasserbauten bei der Kanalisierung des Neckars und die Verkehrsbauten der Autobahn. Seine gestalterischen Lösungen für die Aufgaben reichten – so die Autoren – „von modernen Lösungen in Stahl und Stahlbeton bis zum traditionsbestimmten Steinbogenviadukt“.