Ernst Sigle (r.) mit seinem Bruder Jakob. Foto: Museen der Stadt Kornwestheim

Selbstbiografisches und Schuhspezifisches vereint der Quellenband zur Salamander-Geschichte, der in den nächsten Wochen im Kohlhammer-Verlag erscheint.

Kornwestheim - Vielleicht sind mir doch Nachkommen beschieden, vielleicht befindet sich unter den Sprösslingen meines eigenen Bluts auch einmal einer, der, wie ich, Sinn für vergangene Zeiten hat und dem es Freude macht, zu erfahren, welches Leben seine Vorfahren getrieben haben. . . Er soll wissen, wie wir gelebt und gerungen haben, mit welcher Liebe wir an unserer deutschen Heimat hängen und wie entsetzlich wir durch die Verfehmungen getroffen werden, womit man uns heute die Grundlage unserer Existenz vergiftet und raubt.“

Rudolf Moos, der die Marke Salamander schuf, verfasste diese zwischen Hoffnung und Verbitterung schwankenden Zeilen vor mehr als 70 Jahren. Teile der Lebenserinnerungen des einstigen Direktors der Berliner Salamander-Schuhhandelsgesellschaft, der 1951 in England starb, sind demnächst in dem Buch „Im Zeichen des Salamander – Firmengeschichte in Selbstzeugnissen“ nachzulesen. Der Band, den Museumsleiterin Dr. Irmgard Sedler in Zusammenarbeit mit Dr. Martin Burkhardt vom Wirtschaftsarchiv Hohenheim und unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Liane Strauß konzipiert hat, ist bis auf die letzte Durchsicht von Fußnoten und die Danksagungen fertig. Für Sedler und Strauß ein beglückendes Ereignis – wenngleich auch keine Zäsur, denn die Arbeit wird dadurch nicht weniger. Der Quellenband zur Salamandergeschichte, der im Kohlhammer Verlag erscheint, ist nur einer von mehreren, die in den nächsten Jahren folgen sollen. Unaufgearbeitetes Material zu Salamander gibt es mehr als genug. In Arbeit ist bereits ein Sachband mit Beiträgen unter anderem von den Schuh-Expertinnen Dr. Anne Sudrow und Nike Breyer.

Interessierten Kornwestheimern gibt der Band aufschlussreiche Einblicke in die frühe Schuhgeschichte ihrer Stadt. Doch der Quellenband leistet viel mehr: Er zeigt, so schreibt Irmgard Sedler in ihrem Vorwort, Ereignisse aus der Entwicklung der mechanischen Schuhproduktion und dem damit verbundenen Vertrieb am Beginn des 20. Jahrhunderts, von denen viele „heute überhaupt nur noch über die biografische Fiktion möglich sind“.

Der subjektive Blick: Er bestimmt nicht nur die Auszüge aus Rudolf Moos’ Lebenserinnerungen – Sedler setzte dabei den Schwerpunkt auf Moos als Persönlichkeit, die für die Salamander-Geschichte Weichen stellte. Auch die beiden anderen Quellen, aus denen der Band schöpft, entstanden aus dem persönlichen Blickwinkel. Ernst Sigles in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verfasste Lebenserinnerungen zum Beispiel. Ebenso wie sein bislang – so Sedler – nur in Ansätzen transkribiertes und noch nie im Wortlaut veröffentlichtes „Briefkopierbuch“ aus dem Jahr 1896/1897.

Der jüngere Bruder von Firmengründer Jakob Sigle hatte damals die USA bereist, um sich über die dortigen Schuhproduktionsmethoden kundig zu machen – und um, so wird kolportiert, von einer in der Familie als „Mesalliance“ missbilligten Beziehung zu einer jungen Dame loszukommen. Seine Beobachtungen in Sachen Schuhherstellung beschrieb er seinem Bruder Jakob in Briefen akribisch und schickte Zeichnungen von Sälen und Maschinenanordnungen über den Ozean. Die Briefe pauste er durch. So blieben sie erhalten.

Der Quellenband bietet Ausschnitte aus den Briefen und wartet überdies mit einem umfangreichen, von Roland Epstein illustrierten schuhtechnischen Glossar auf – Epstein lehrte früher Schuhindustrialisierung an der Salamander-Werkschule. Die Entschlüsselung der heute teils ausgestorbenen Begriffe – von der „Agraffe“ bis hin zur „Risslippen-Bestreichmaschine“ – mündete in kriminalistisch anmutende Recherchen, erinnern sich die Museumsleiterin und ihre Mitarbeiterin Liane Strauß. Letztere habe, so Sedler, einen Großteil der aufwendigen Nachforschungen für den Band geleistet: Strauß durchforstete Genealogien, alte Firmenverzeichnisse, Handelsregistereinträge oder Archivakten aus nah und fern und förderte viel Spannendes zutage. Etwa Ernst Sigles USA-Einwanderungsakte, die belegt, dass er mit 100 deklarierten Dollar in Amerika ankam.

Das Professionelle verzahnte sich auch mit Persönlichem: Es entstanden Kontakte zu den in aller Welt lebenden Nachfahren der Levi-Familie – Max Levi begründete Salamander mit, auch seine Brüder waren in der Geschäftsführung tätig. Auch entspann sich eine lebhafte Korrespondenz zu Rudolf Moos’ Enkelsohn Rudolf Hugo Moos, einem emeritierten amerikanischen Psychologie-Professor. Er stellte, wie viele Nachfahren der Gründerfamilien, Erinnerungen aus seinem Familienarchiv zur Verfügung – ebenso wie Holde Hammelbacher, Witwe des früheren Salamander-Direktors. „Es ist vieles in Bewegung gesetzt worden durch die Publikation“, rekapituliert Irmgard Sedler. Erscheinen wird das Buch im Laufe des dritten Quartals.