Ursula Keck in der alten Stadtbücherei, jetzt das Schaudepot der Stadtgeschichtlichen Sammlung Foto: Mateja fotografie

Im Interview zum Jahresbeginn 2020: Oberbürgermeisterin Ursula Keck

Kornwestheim - Der Rückblick aufs Jahr 2019, die Vorausschau auf wichtige Entscheidungen, die in 2020 getroffen werden müssen – das bestimmt das Interview mit Oberbürgermeisterin Ursula Keck. Sie darf sich den Ort des Gespräches aussuchen und hat sich für die alte Stadtbücherei in der Kantstraße entschieden, seit wenigen Wochen die Lagerstätte der Stadtgeschichtlichen Sammlung.

Frau Keck, wann sind Sie das letzte Mal Linienbus gefahren?

Das ist schon lange her, ich gehe mehr zu Fuß. Wenn Sie mich fragen würden, wann ich das letzte Mal nach Ludwigsburg gelaufen bin, dann könnte ich Ihnen die Antwort geben – Mitte des Monats zum Weihnachtsmarkt. Hin und wieder zurück.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Ausweitung der Takte und der zusätzlichen Buslinie ab Januar?

Ich hoffe, dass die Menschen, die seit langer Zeit für eine Ausweitung des Angebots kämpfen, die Busse auch nutzen und dass die steigenden Fahrgastzahlen beweisen, dass die Entscheidung richtig ist. Deshalb ist das ein Angebot für alle, für Jugendliche und Erwachsene, für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.

Experten sagen, dass eine Verkehrswende nur gelingen kann, wenn man den Autofahrern etwas wegnimmt – Fahrspuren oder Parkplätze zum Beispiel. Wollen Sie den Autofahrern etwas wegnehmen?

Es liegt mir fern, den Kornwestheimern etwas wegzunehmen. Aber ich möchte dafür werben, dass die Menschen öfter den Bus nutzen, aufs Fahrrad steigen oder zu Fuß gehen. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, dann werden wir ganz viel erreichen und die Verkehrsbelastung in Kornwestheim mindern.

Wird sich mit dem neuen Busangebot das Mobilitätsverhalten der Oberbürgermeisterin ändern?

Ich denke, dass ich ohnehin sehr vorbildlich bin. Ich gehe viel – auch längere Strecken – zu Fuß, ich bin mit dem Fahrrad unterwegs. Ich setze das Auto nur dann ein, wenn ich es wirklich brauche.

Die baden-württembergischen Bürgermeister haben sich über zunehmenden Hass in den sozialen Medien und eine höhere Erwartungshaltung der Bürgerschaft beklagt. Wie erleben Sie Ihr Amt? Ist der Druck gewachsen?

Ja, der Druck und die Anforderungen sind gewachsen. Aber das gilt nicht nur für die Bürgermeister. Ich sehe uns da in einer Reihe beispielsweise mit Lehrern oder Polizisten. Ich beobachte, dass Menschen, die ein öffentliches Amt bekleiden, viel häufiger Anfeindungen ausgesetzt sind. Man ist häufiger mit Beleidigungen konfrontiert, die Menschen werden schneller als früher persönlich.

Reden Sie aus persönlicher Erfahrung?

Natürlich, das erlebe ich auch selbst. Es gibt Gesprächssituationen, da müssen Sie zunächst einmal schlucken. Damit muss man umgehen können.

Wie gehen Sie damit um: Gegenangriff oder Überhören?

Das hängt ganz von der Situation ab. Es gibt Situationen, da muss ich mich von der Verbalattacke zunächst einmal erholen und schlucke meinen Ärger herunter. Es gibt aber auch Situationen, da sage ich deutlich, was ich von den Angriffen halte. In der Öffentlichkeit reagiere ich sicherlich anders als in einem Vier-Augen-Gespräch.

Sie haben in diesem Jahr die Hochschule Reutlingen gewinnen können, die mit einem Studiengang nach Kornwestheim kommt. Die Stadt lässt sich das 50 000 Euro im Jahr kosten. Ludwigsburg wollte den Studiengang auch, und hat sogar noch deutlich mehr geboten. Gelingen solche Ansiedlungen heutzutage nicht mehr, ohne dass man den Geldbeutel zückt?

Ich halte das finanzielle Engagement für gerechtfertigt, weil Bildungsausgaben Investitionen in unsere Zukunft sind. Die Finanzierung ist zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Im Übrigen: Universitäten werden immer von der öffentlichen Hand unterstützt. In diesem Fall fördern wir eine gemeinnützige Weiterbildungsstiftung, die eng mit regionalen Unternehmen kooperiert.

Warum ist Ihnen die Bezeichnung Hochschulstandort so wichtig?

Das ist eine Auszeichnung für unseren Bildungsstandort und zeigt die Bildungsvielfalt unserer Stadt. Wir bauen unseren Namen in der Region Stuttgart aus – auch als Wirtschaftsstandort. Ich bin davon überzeugt, dass die Bezeichnung Hochschulstandort ein Aushängeschild ist. Und es wird enge Kooperationen mit unseren Unternehmen geben, die – so hoffen wir – Studienplätze für diesen dualen Studiengang anbieten werden. Die Stadtverwaltung wird ebenfalls zwei Ausbildungsplätze anbieten.

Zahlt der Grundstückseigentümer Immovation der Stadt eigentlich eine Provision, weil Sie ihm immer wieder so attraktive Mieter vermitteln?

(Lacht.) Nein, wir handeln in unserem eigenen Interesse und haben so zu einer Revitalisierung des Salamander-Areals beigetragen. Das wird heute weitgehend gut genutzt – von Verkaufsflächen über Büros, Dienstleistungsangebote, Kindergärten bis hin zu Wohnungen. Das Salamander-Areal ist für die Weststadt wichtig.

Im Nachhinein gesehen: Wäre es besser, die Stadt hätte das Areal selbst gekauft?

Wir haben 2008, wie Sie wissen, in der Tat überlegt, ob wir das Areal zusammen mit der Bietigheimer Wohnbau erwerben können. Es wäre eine sehr große Investition gewesen. Hätte man 2008 gewusst, wie groß die Wohnungsnot einmal sein wird und dass das Grundbuchzentralarchiv nach Kornwestheim kommt, dann hätten wir uns vielleicht dazu entschlossen. Aber Sie müssen bedenken: Der Kauf hätte in einer finanziellen Größenordnung gelegen, den wir nur zusammen mit einem großen Partner hätten stemmen können. Ich bin zufrieden, so wie’s ist. Wir sind auf einem guten Weg, und Immovation hat viel Erfahrung mit denkmalgeschützten Arealen.

Wir treffen uns heute auf Ihren Wunsch in der alten Stadtbücherei, oder vielleicht sollte ich besser sagen: im neuen Schaudepot. Was ist ein Schaudepot?

Sie können sich die Exponate sehr gut anschauen, die früher in der Mühlhäuser Straße gelagert wurden. Es ist alles übersichtlich, klar strukturiert, und Sie können sehr gut erkennen, dass mit der jetzigen Auswahl der Exponate die Grundlage für ein späteres Stadtmuseum gelegt wurde. Wir haben hier Arbeitsplätze und Büros, damit können wir mit der Sammlung viel besser arbeiten, als es in der Mühlhäuser Straße jemals möglich gewesen wäre. Das ist wichtig, damit Sie die Exponate jetzt auch sehen können. Wir öffnen das Schaudepot schon in 2020 an einzelnen Tagen.

Und nun sind Sie auf die Idee gekommen, das Stadtmuseum in der alten Bücherei einzurichten?

Nein. Sollte sich die Stadt dazu entscheiden, ein Stadtmuseum zu eröffnen, dann werden wir uns der Frage nach dem richtigen Standort stellen. Dafür ist nach der aktuellen Beschlusslage das Obergeschoss des Kleihues-Baus vorgesehen.

Wie lange wird die Sammlung hier in der alten Bücherei bleiben?

Ich gehe davon aus, dass wir für die Aufarbeitung mindestens fünf Jahre, aber bis zur Eröffnung einer Ausstellung zehn Jahre benötigen. Was aber nicht zwangsläufig heißen muss, dass erst dann ein Stadtmuseum eingerichtet werden kann, weil wir viele Exponate aus unserer Stadtgeschichte haben, mit denen wir eine Ausstellung viel früher konzipieren könnten.

Das Thema Jugendcafé oder Jugendzentrum in der alten Stadtbücherei ist ja nun erst einmal vom Tisch, nachdem die Heimatforschung hier eingezogen ist. Wie geht’s denn mit dem Jugendthema weiter?

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir einen Jugendraum an eine Schule angliedern, weil dort die Infrastruktur vorhanden ist. Wir werden das Thema auf jeden Fall im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Schullandschaft aufgreifen. Die Frage ist: Was für ein Jugendcafé ist gewünscht? Ein selbstverwaltetes, eine Einrichtung mit Fachpersonal? Das müssen wir zunächst einmal klären.

Apropos Schulen: Da scheint es nicht so recht weiterzugehen. Gibt es einen Zeitplan?

Wenn’s nach der Stadtverwaltung gehen würde, dann hätten wir schon vor der Kommunalwahl im Mai 2019 entscheiden können. Aus den Reihen der Fraktionen ist der für mich verständliche Wunsch laut geworden, dass der neue Gemeinderat diese zukunftsweisende Entscheidung treffen soll. Wir haben die neuen Stadträte auf den Stand der Diskussion gebracht. Im ersten Halbjahr 2020 soll dann die Entscheidung fallen, in welche Richtung wir die Schullandschaft weiterentwickeln.

Sie haben in Ihrer Haushaltsrede angekündigt, dass Sie die Bürgerschaft in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen wollen. Wie soll das geschehen?

Wir werden eine Bürgerinformation ausrichten, in der wir unterschiedliche Varianten vorstellen, wir werden durch die Schulen gehen und die Lehrerkollegien informieren – die Ideen und Anregungen aus diesen Runden werden in die Entscheidung des Gemeinderats einfließen.

Mindestens 50 Millionen Euro sollen der Neubau einer Schule und Sanierungen kosten. Hat die Stadt Kornwestheim überhaupt das Geld?

Die Rücklagen sind vorhanden. Aber wir haben das Geld nur dann, wenn wir uns in anderen Themen beschränken.

War das jetzt ein Wink mit dem Zaunpfahl an den Gemeinderat?

Das war zumindest ein Versuch, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass wir große Aufgaben vor uns haben.

Die Stadträte haben in den Beratungen zum Doppelhaushalt 2020/21 sage und schreibe 55 Anträge gestellt. Das wirkte ein bisschen so wie nach einer überstandenen Diät, nach der man nun wieder zuschlagen darf. Wie haben Sie diese Antragsflut erlebt?

Sie hat mich sehr überrascht. Ich habe diese Antragsflut darauf zurückgeführt, dass die einzelnen Stadträte auf die Ihnen selbst wichtigen Themen geschaut haben und nicht so sehr auf die Gesamtstadt.

Der Innenstadt geht’s nicht gut. Mehrere Geschäfte haben geschlossen oder werden schließen. Was ist zu tun?

Das Wichtigste ist, dass die Kundinnen und Kunden auch in Kornwestheim einkaufen. Man muss die Geschäfte nutzen, damit sie auch eine Chance haben und sich am Markt behaupten können. Dafür muss jeder Einzelne sorgen tragen. Der Einkauf im Internet trägt dazu bei, dass Läden schließen. Wir als Stadt können gute Rahmenbedingungen schaffen, die Einzelhändler müssen auch ihren Teil – zum Beispiel einheitliche Öffnungszeiten – dazu beitragen, aber das A und O ist es, dass die Menschen in die Geschäfte gehen.

Die Stadtverwaltung ist, nachdem sich der Stadtmarketingverein aufgelöst hat, zuständig fürs Stadtmarketing. Gibt’s Ideen, was Sie in diesem Bereich künftig machen werden?

In einem ersten Schritt wollen wir Veranstaltungen übers Stadtgebiet hinweg mehr streuen – so wie wir es vor Eröffnung des K gemacht haben, als wir mit dem roten Sofa durch die Stadt gezogen sind. Gemeinsam mit unserem Kulturmanagement wollen wir die öffentlichen Orte mehr ins Blickfeld rücken, die Menschen unterhalten und in die Stadt locken.

Macht das Kulturmanagement künftig das Stadtmarketing?

Nein, aber durch die Belebung von öffentlichen Orten, durch die Zusammenarbeit mit interessanten Partnern zieht auch mehr Leben in die Innenstadt ein. Das ist unser Ziel.

Frau Keck, die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg wollen eine Milliarde Euro in die Sanierung des Opernhauses investieren. Wird Ihnen angesichts solcher Summen ganz schummrig?

Ich beneide die Stadt Stuttgart darum, dass sie sich mit solchen Themen auseinandersetzen kann. Diese Diskussion ist aber auch ein Beispiel dafür, wie Wünsche immer größer werden, die Kosten weiter steigen und die Frage aus dem Blickfeld gerät, was man eigentlich will. Es ist für mich keine Frage, dass das Opernhaus saniert werden muss. Aber warum muss man eine Interimslösung, ein Provisorium schaffen, das später eine eigenständige Einrichtung mit enormen Folgekosten wird?

Haben Sie Herrn Kuhn schon einen Brief geschrieben, dass das K die Oper vorübergehend aufnehmen würde?

(Lacht.) Nein, das sicherlich nicht. Aber das Opernhaus zeigt, was passiert, wenn Kommunen finanziell gut ausgestattet sind und keine Variantenentscheidung getroffen wird, weil beide Varianten möglich sind – eine Sanierung und eine Interimslösung. Aus meiner Ansicht ist es wichtig, dass sich die Politik zu Varianten bekennt und klare Entscheidungen trifft.

Ihre Amtszeit endet im Jahr 2023. Ich muss langsam damit beginnen Sie zu fragen, ob Sie wieder kandidieren. Was ich hiermit tue.

Mir macht mein Amt Spaß, ich fühle mich sehr wohl und deshalb gehe ich – Stand heute – davon aus, dass ich wieder kandidiere.