Andreas Wetzel Foto: z

Vor 175 Jahren hat der Schwabe Andreas Wetzel in Amerika die Christbaum-Tradition begründet.

Kornwestheim - Als die Barke Herald am 26. Mai 1831 im französischen Le Havre den Anker lichtete, um Philadelphia auf der anderen Seite des Atlantiks anzusteuern, stand Andreas Wetzel auf der langen Passagierliste an oberster Stelle. Dass dies gewissermaßen einen transatlantischen Brauchtumstransfer markieren würde, der nun bis ins Weiße Haus reicht, konnte der 23 Jahre junge, in Weilimdorf geborene Pfarrer nicht ahnen. Zunächst war der Auswanderer schlicht heilfroh, nach 99 Tagen überhaupt wieder Land unter den Füße zu haben, denn die Überfahrt im Bauch des Seglers war, so berichtet er später, so elend, dass die Matrosen in der Not seinen Schäferhund schlachteten.

Herausforderungen aber scheinen Andreas Wetzel nicht geschreckt zu haben. Die Begabung des 1808 geborenen Knaben hatte schon der Ortspfarrer gefördert, und als der Bauernbub aus Weilimdorf, Halbwaise inzwischen, mit zwölf Jahren auf die Lateinschule in Esslingen kam, glänzte er dort ebenso wie am Gymnasium in Stuttgart und dann beim Studium von Philosophie und Theologie in Tübingen, das er in der Rekordzeit von drei Jahren absolvierte. Als er im verarmten und vielfach rückständigen Königreich Württemberg keine adäquate Stelle fand, suchte er sein Glück und fand seine Bestimmung in der Neuen Welt.

Nach einem Umweg über Ohio setzte er sich im Bundesstaat New York fest. Eine kluge Wahl, denn hier fand der Lutheraner unter den Tausenden von Einwanderern aus dem deutschen Südwesten die ideale Anknüpfung und Basis für seine seelsorgerische Mission. So gründete er Gemeinde um Gemeinde, acht an der Zahl, von Constableville bis Utica, wo er sich 1845 mit seiner Frau Elisabeth, Emigrantin aus dem Elsass, niederließ.

Und im selben Jahr setzte er hier ins Werk, was in der Neuen Welt dann weithin Schule machen sollte und was sich nun zum 175. Mal jährt: Zu Weihnachten 1845 stellte er in der ein Jahr zuvor erbauten Little White Church eine Tanne auf, bestückte diese zusammen mit der Gemeinde mit Kerzen, Äpfeln und gebastelten roten Rosen und setzte als Krönung einen Stern in den Wipfel – so wie er es von Zuhause kannte.

Ein gewagtes Unterfangen, wie Wetzel Tage zuvor in seiner Gemeinde in New England erleben konnte, wo laut einer Lokalzeitung „eine mit rabiater Ausdrucksweise ausgerüstete Gruppe von Kanalarbeitern“ die Kirche stürmte, sich den als „Symbol des Heidentums“ gescholtenen Baum schnappte, auf die Straße schleppte und in Brand setzte. In der kleinen weißen Kirche und mit der von ihm gegründeten Evangelisch-Lutherischen Zionsgemeinde von Utica hatte Reverend Andrew Wetzel mehr Glück. Vermutlich, so der Chronist, weil „der erste Weihnachtsbaum viele an ihre deutsche Heimat erinnerte“. Bereits das Schmücken war demnach „eine Feier, bei der Nüsse und Kekse an die Kinder verteilt wurden“.

In Utica war mit diesem ersten kirchlichen Christbaum eine Tradition gesetzt, nicht ahnend, welche Wellen dies schlagen würde, über den gesamten Kontinent. Zeitweise scheint zwischen den Gemeinden ein regelrechter Überbietungswettbewerb in Sachen Christbaumschmuck ausgebrochen zu sein. Schon bald und dann immer wieder wird dies auch von den großen Zeitungen in New York aufgegriffen und dabei der „Reverend aus Württemberg“ als Christbaum-Pionier gerühmt. Nur in die alte Heimat dringt nichts davon. Bis 1980 Lydia Forsbrey-Hummel, ihrerseits nach Amerika ausgewandert, aus der als Züchter von Hummis-Erdbeersorten bekannten Gärtnerfamilie Hummel stammend, in einer Familienbibel einen einschlägigen Zeitungsbericht aus dem Jahr 1880 findet. Was wiederum daher rührt, dass die Hummels eine Linie mit den Wetzels verbindet.

Des Entdeckungsabenteuers nicht genug, kommen damit im Abstand von weiteren Jahrzehnten weitere Auswanderer-Geschichten ans Licht. Bis hin zu Julia Krauss, in der mütterlichen Linie des Reverends dessen Enkelin in siebter Generation und heute als Schauspielerin und Regisseurin in Toronto lebend. Nichts hatte Krauss bis dato von ihrem Urahn gewusst, über den sie nun ein Buch verfasst hat. Angeregt von ihrem Weilimdorfer Großvater Helmut Maier, der über den tragischen Untergang des Gutshofes Maier geforscht hatte und dabei auf den eigenen Urgroßvater gestoßen war: Gustav Adolf Maier, zu Vermögen gekommen und als Wohltäter in Weilimdorf wohlgelitten, war in unternehmerischer Absicht nach Amerika aufgebrochen und dort spurlos verschwunden: das Ende des als Sicherheit aufgebotenen Gutshofes.

Julia Kraus war elektrisiert: „Von meinem Opa habe ich als Kind gelernt, dass jeder Mensch das Recht auf Würde und auf ein sicheres Zuhause hat. In meinem Beruf bin ich damit befasst, was Menschen bewegt, wonach sie streben, was sie traurig, was sie glücklich macht. Andreas Wetzel war diese Figur in unserer Familiengeschichte, von der ich mehr wissen wollte. Deshalb dieses Buch.“

Bei der Arbeit am Buch habe sie entdeckt, dass Andreas Wetzel „weit mehr als der Begründer der Weihnachtsbaum-Tradition in Amerika“ sei, und vor allem deshalb werde in Utica die Erinnerung an ihn gepflegt: „Er hat zum Beispiel eine Schule gegründet und armen Einwandererkindern eine kostenlose Ausbildung ermöglicht. Gerühmt wird seine Sozialfürsorge während des Bürgerkrieges oder wie er armen Witwen eine Rente erkämpft hat. Sein Lebenswerk war gelebtes Christentum. Davon können wir auch heute noch lernen, denn es ist zeitlos gültig, wie die Botschaft von Weihnachten.“

Info: Am morgigen Samstag, dem 2. Weihnachstfeiertag, gibt es auf der KWZ-Internetseite ein Interview mit Julia Krauss zu lesen, die ein Buch über Andreas Wetzel geschrieben hat.