Nun sind mehr Kontrollen erforderlich: Aber der Mehraufwand sei überschaubar, sagen die Logistiker. Foto: dpa/Frank Augstein

In Kornwestheim gibt es viele Logistiker. Einige fahren Großbritannien zwar an, machen sich aber kaum Sorgen wegen des EU-Austritts der Briten.

Kornwestheim - Kilometerweit nur rote Rücklichter und kaum ein Vorwärtskommen: Bereits Wochen vor dem Ende der Brexit-Verhandlungen staute es sich gewaltig vor dem Hafen von Dover, einem der wichtigsten Knotenpunkte der Handelsrouten ins Vereinigte Königreich. Nun liegt endlich ein Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien vor – ob an den Grenzen ab sofort alles wieder reibungslos abläuft, bleibt offen. Seit dem 1. Januar gehört Großbritannien nicht mehr zur europäischen Zollunion und wurde damit zum sogenannten Drittland.

Auf die Logistikbranche kommen damit nicht nur Zollkontrollen an der neuen Zollgrenze zu, sondern auch Formalitäten, die für den Handel nach und aus Großbritannien erfüllt werden müssen. Dazu gehören unter anderem die Voranmeldung von bestimmten Lieferungen sowie einige Lizenzen und Dokumente, die Spediteure zum Überqueren der Grenze benötigen. Die Recherche bei den Kornwestheimer Speditions- und Logistikunternehmen zeigt aber: Der Brexit bringt zwar einige Herausforderungen mit sich, allzu große Sorgen machen sich die hiesigen Firmen allerdings nicht.

Timo Conrad, Geschäftsführender Gesellschafter bei der internationalen Spedition Era, sagt: „Wir dienen England mit an, es ist aber keiner unserer Schwerpunkte.“ Die lägen eher in Italien, Österreich und der Schweiz. Darüber sei er zurzeit „recht froh“. Nach England zu liefern sei momentan relativ schwierig, wobei Conrad auch den britischen Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie anspricht, nicht nur den Brexit.

Was letzteren angehe, wappne man sich für Kontrollen und damit verbundene Verzögerungen und Wartezeiten. „Wir rechnen in der Übergangsphase nicht mit einem reibungslosen Ablauf.“ Conrad weist darauf hin, dass vor allem das Thema Verzollung die Speditionen wegen des Brexits beschäftigen werde. „Die Zollspezialisten fehlen in manchen Firmen anfangs, sie müssen ausgebildet werden.“ Es holpere eben am Anfang, sagt Conrad. Er ist aber auch weit davon entfernt zu dramatisieren. „Wir gehen das professionell an“, betont er. „England ist jetzt quasi als Drittland zu behandeln, aber wir verzollen ja auch dann etwa, wenn es um Transporte in die Schweiz geht.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt Mustafa Erdal, Gesellschafter von Giga Logistics. Sein Unternehmen ist auf schnelle und spontane Transporte spezialisiert – man fährt dafür nach England, wenn auch nicht andauernd. „Wir stellen uns künftig auf längere Wartezeiten ein“, so Erdal. „Wir schauen nun, wie es sich entwickelt.“

Anderswo ist man froh, keinen Güterverkehr zur Insel zu unterhalten. „Tatsächlich hat unser Haus keinerlei Berührungen zu Großbritannien und somit in keiner Weise mit Brexit-Auswirkungen zu kämpfen“, gibt Jens Hildebrand, Geschäftsführer der Große-Vehne Speditions-GmbH mit Sitz in Kornwestheim, zu Protokoll. „Insofern können wir – zum Glück – keine Aussagen zu diesem für viele Kollegen leidigen Thema treffen.“

Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg sagt, man habe in der Branche die Verhandlungsergebnisse „mit großer Erleichterung“ zur Kenntnis genommen, insbesondere weil damit das Worst-Case-Szenario eines harten Brexits verhindert werden konnte. „Industrie, Handel und Logistiker haben nun zumindest Planungssicherheit.“ Laut Marongiu seien die Logistiker in Baden-Württemberg gut auf die neuen Regelungen vorbereitet. Auch weil Lieferketten in und aus Drittländern generell kein Neuland seien. „Wäre Großbritannien bereits im Frühjahr 2019 Drittland geworden, hätte das sicher etliche Unternehmen überfordert.“ Gut vorbereitet sei übrigens auch der deutsche Zoll: „Dort wurden EDV-Systeme aufgerüstet und das entsprechende Personal eingestellt und geschult“, sagt der Kornwestheimer.

Auch das Speditionsunternehmen Dachser ist betroffen. Aus dem Raum Stuttgart schickt die Logistikfirma täglich ein bis zwei Dutzend Sendungen nach Großbritannien, die in der Kornwestheimer Niederlassung administrativ abgewickelt werden. „Die Auswirkungen sind überschaubar“, sagt Markus Maurer, General Manager am Kornwestheimer Dachser-Standort. Lediglich der administrative Aufwand pro Sendung würde sich – trotz des Handelsabkommens – erhöhen. Das sei unter anderem auf komplexere Abläufe, beispielsweise bei der Prüfung der Lieferdokumente, zurückzuführen. Nach und nach werde sich dieser Mehraufwand wohl einpendeln.

„Auch wenn wir uns bei DSV bereits im Vorfeld intensiv auf den Brexit vorbereitet haben, können wir die Wartezeiten an den Fähren oder am Eurotunnel leider nicht beeinflussen“, sagt Sarah Teschner, Sprecherin von DSV, ehemals Panalpina. Insbesondere im ersten Quartal erwarte man kaum Entspannung. Bei DSV sieht man die EU besser vorbereitet als Großbritannien, da „das Vereinigte Königreich sein System umstellen und kompatibel an die Handelsgrenzen anpassen muss. Dies ist ein organisatorischer Kraftakt“. Das UK-Geschäft wird bei DSV vor allem in der Schwieberdinger Niederlassung abgewickelt – Großbritannien gehört zu einem der wichtigsten Märkte des Unternehmens. „Bei DSV beobachtet ein europäisches Brexit-Team die Marktentwicklungen genau, kann bei Bedarf schnell und flexibel reagieren“, so Teschner. Um einen möglichst reibungslosen Übergang zu gewährleisten und die Lieferketten nicht zu gefährden, komme in Deutschland darüber hinaus ein Notfall-Team zum Einsatz, das situativ Entscheidungen fällen könne.