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Egal, ob als gedruckte Zeitung oder digital, ein lokales Medium bleibt auch nach 175 Jahren wichtig. Das findet Christof Seeger, Professor an der Hochschule der Medien Stuttgart, im Interview.

Marbach - Die Zeitungsbranche ist mitten im Wandel. Lokale Verlage haben den Vorteil der Exklusivität ihrer Nachrichten und den Vorteil der Verankerung und Verwurzelung vor Ort. Wichtig ist es, den Lesern lokale Informationen zu bieten, Hintergründe zu recherchieren, Dinge zu beleuchten, Zusammenhänge zu erklären, Auswirkungen von Entscheidungen auf den Einzelnen darzustellen und am Ende auch alles einzuordnen.

Christof Seeger, Professor an der Hochschule der Medien  in Stuttgart, sieht in dem veränderten Mediennutzungsverhalten Herausforderung und Chance zugleich. 

Christof Seeger

Wo liegt Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung der Zukunft für Lokalzeitungen?

Die größte Herausforderung ist das veränderte Mediennutzungsverhalten der Menschen. Wobei man das sehr differenziert betrachten muss.

 

Das bedeutet was?

Die, die bisher Zeitung lesen, also in der Regel die Generation 50+, und davon überzeugt sind, schätzen genau dieses Produkt und werden auch weiterhin die gedruckte Zeitung lesen. Aber es kommt eine jüngere Generation nach, die ein anderes Mediennutzungsverhalten hat, und ich glaube, das ist die größte Herausforderung. Ich sehe das an meinen eigenen Kindern. Der Größere mit 16 verhält sich medial schon anders als die achtjährige Tochter.

 

In jeder Veränderung liegt ja immer auch eine Chance. Wo sehen Sie die?

Die Chance ist für Verlage, dass man die Medienmarke als glaubwürdige und seriöse Marke positioniert, und zwar unabhängig davon, ob gedruckt oder digital.

 

Wie kann es gelingen, diese Marke zu positionieren?

(lacht) Indem man glaubwürdig und seriös berichtet.

 

Na ja, das tut man und dennoch gibt es eine gesellschaftliche Entwicklung dahingehend, dass die Arbeit von Journalisten per se als „Fake News“ abgestempelt wird. Deshalb schon noch mal die Frage: Wie gelingt es – trotz dieses Trends in unserer Gesellschaft?

Das ist in der Tat eine schwierige Frage, denn es ist heute einfach, Fake News zu verbreiten. Ich denke, dass in einer komplexer werdenden Welt, die wir gerade erleben – und das nicht nur durch Corona, sondern auch politisch und wirtschaftlich, das Prinzip Journalismus wieder an Bedeutung gewinnen wird. Wir sind doch auf Medien und auf Journalisten angewiesen, die uns die Vorkommnisse der Welt erklären. Dies setzt aber voraus, dass auch die Bereitschaft da ist, den Medien zu vertrauen und eben nicht irgendjemandem, der auf Sozialen Medien irgendetwas von sich gibt. Da liegt es an den etablierten Medien, dass sie sich die Glaubwürdigkeit und Seriosität erhalten oder bei manchen Zielgruppen erarbeiten. Wir müssen berücksichtigen, dass etwa in Sozialen Medien so genannte Influencer existieren, die mit ihren Posts und Beiträgen teilweise mehr Menschen erreichen, als dies eine Zeitung mit ihrer Auflage kann. An der Hochschule der Medien (HdM) haben wir während des Corona-Lockdowns mit drei lokalen Zeitungsverlagen aus dem Kreis Böblingen eine Leserumfrage zur Bedeutung von lokalem Journalismus, gerade auch während der Pandemie, durchgeführt. Wir wollten wissen wie sie die Bedeutung der Tageszeitung einschätzen und wie sie die lokale Zeitung in der Krise nutzen.

Und? Die Umfrage hat gezeigt, dass die Leute sehr wohl die Glaubwürdigkeit der Medien sehen.

Ist aus der Umfrage ein Unterschied oder gar ein Vorteil lokaler Verlage abzuleiten?

Ja. Der Vorteil ist die Verwurzelung und Verankerung vor Ort. Man kennt die Leute, die schreiben. Und die Lokalzeitung mit ihren Redakteuren ist für die Leser sehr viel nahbarer als eine bundesweit erscheinende Tages- oder Wochenzeitung oder ein Magazin.

 

Jetzt gibt es ja viele Experten, die sagen, die klassische Printzeitung hat bald ausgedient. Würden Sie in den Abgesang der gedruckten Zeitung einstimmen?

Wenn ich das wüsste (lacht). Ich hatte ja gesagt, die größte Herausforderung ist das Mediennutzungsverhalten, und das muss man als Zeitungsverlag sehr gut beobachten. Es gibt zwei Arten von Medienhäusern: Zum einen große Verlagshäuser wie etwa Axel Springer, die mit großem Budget viele Innovationen vorantreiben können und sich auch Fehler leisten und viele Experimentierfelder ausprobieren können. Und zum anderen kleinere Häuser, die weder über die personellen oder finanziellen Ressourcen verfügen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Medienmarke in den Vordergrund rücken wird. Also nicht das Produkt Zeitung, sondern das Prinzip Zeitung. Ob die gedruckt wird oder nicht, ist am Ende des Tages vielleicht gar nicht so entscheidend.

 

Für den Nutzer ist es letztlich egal, für den Journalisten ändert sich aber natürlich der berufliche Alltag, denn in der digitalen Welt muss ich nicht nur schneller agieren, sondern bisweilen auch anders.

Sicher implementiert das Digitale, dass man schnell sein muss, aber wenn nicht gerade das Schulgebäude oder das Rathaus in einer Kommune brennt, dann haben wir, was die Aktualität angeht, im lokaljournalistischen Umfeld meines Erachtens nicht die Brisanz, wie wenn der US-Präsident an Covid-19 erkrankt. Wichtiger ist es, gerade auch im Lokalen, Hintergründe zu recherchieren, Dinge zu beleuchten, Zusammenhänge zu erklären, Auswirkungen von Entscheidungen auf den Einzelnen darzustellen und am Ende auch alles einzuordnen. Bei unserer Umfrage kam unter anderem heraus: Man gesteht den gedruckten Medien durchaus zu, dass sie nicht so schnell sind wie digitale. Aber eine lokale Zeitung hat die Exklusivität lokaler Nachrichten, und das ist ein Mehrwert für die lokale Medienmarke – auch in Zukunft.

 

Die lokalen Nachrichten als Zukunftschance?

Lokale Angebote werden genutzt, um sich schnell einen Überblick über lokale Ereignisse zu verschaffen und um sich umfangreich zu informieren. In der Studie stimmen ganz viele der Aussage zu, dass die lokale Zeitungsmarke auch in Zukunft wichtig sein wird. Dies ist nachvollziehbar, denn es wird im Lokalteil ja das berichtet, was bei den Menschen quasi vor der Haustür passiert.

 

Das bedeutet, die Menschen unterscheiden gar nicht so sehr in Print und Digital, sondern die journalistische Arbeit ist wichtig – die dann eben auf unterschiedlichen Plattformen ausgespielt wird.

Exakt. Die Medienmarke ist der Kern. Wenn man es zu konsequent zu Ende denkt, müsste man sogar überlegen, welche Zielgruppe über welchen Kanal mit derselben Marke angesprochen werden soll. So würde beispielsweise die Eröffnung eines Skaterparks vielleicht gar nicht in der gedruckten Zeitung veröffentlicht werden, sondern in einem Online-Kanal der Medienmarke. Es hat sich auch gezeigt, dass verschiedene Inhalte, je nach Lebenslage, von unterschiedlicher Bedeutung sind.

 

ZUR PERSON

Christof Seeger ist seit 2005  Professor für Periodische Medien für Print- und Online-Märkte im Studiengang Mediapublishing an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Er war von 2007 bis 2014 Studiendekan des Masterstudiengangs Print & Publishing an der HdM. Im Jahr 2015 war er maßgeblich an der Entwicklung des Master-Studiengangs „Crossmedia Publishing & Management“ beteiligt, den er seither als Studiendekan leitet. 

 

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