Der Bürgermeister Jan Trost blickt nach vorne. Foto: Werner Kuhnle

Nachdem Jan Trost mit einem Kraftakt die Wiederwahl zum Marbacher Bürgermeister geschafft hat, blickt er im Interview nach vorne. Es gilt, die richtigen Lehren aus der Wahl zu ziehen.

Marbach - Die Erleichterung bei Amtsinhaber Jan Trost war riesig, nachdem er in der zweiten Runde das Ruder herumreißen und den Sieg bei der Bürgermeisterwahl noch sichern konnte. Worauf er den Erfolg zurückführt, wie er damit umgeht, dass mehr als 50 Prozent der Bürger für andere Kandidaten gestimmt haben, und welche Aufgaben nun anstehen, erklärt der 45-Jährige im Interview.

Direkt nach dem Wahlsieg sagten Sie, dass Sie angesichts der nervenaufreibenden vergangenen Wochen erst mal richtig schlafen und ausschlafen wollen. Ist es Ihnen gelungen abzuschalten?

Nicht wirklich. Mir gingen noch die ganzen Eindrücke von dem Wahlabend und dem gesamten Wahlkampf durch den Kopf. Wegen Corona war natürlich auch keine große Feier möglich. Meine Frau und ich haben uns aber zumindest ein Glas Sekt gegönnt. Gefreut habe ich mich zudem über die vielen Glückwünsche, die via Whatsapp oder E-Mail eingegangen sind. Das tat gut.

Haben Sie nach dem Rückstand auf Timo Jung im ersten Durchgang tatsächlich immer daran geglaubt, in eine zweite Amtszeit gehen zu können?

Das Ergebnis vor zwei Wochen hatte ich mir anders vorgestellt. Vom Gefühl her dachte ich, zumindest knapp in Führung zu liegen. Aber ich habe immer daran geglaubt, das Ruder herumreißen zu können. Sonst wäre ich nicht wieder angetreten. Das hat auch den Kämpfer in mir geweckt. Und letztlich konnte ich knapp 600  Stimmen hinzugewinnen.

Haben Sie schon eine Erklärung für den Umschwung?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke allerdings, dass mehrere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Ich habe im zweiten Wahlgang neue Formen angeboten, habe beispielsweise Plakate aufgehängt, eine Anzeige in der Marbacher Zeitung und im Marbacher Stadtanzeiger geschaltet und war auf Instagram präsent. Innerhalb kürzester Zeit sind mir auf diesem Kanal 120  Menschen gefolgt. Man erreicht dadurch vor allem auch die Jüngeren. Darüber hinaus habe ich Gespräche mit Themenschwerpunkten angeboten, zum Beispiel vor der Grundschule.

Wie wichtig war es, dass Ihnen ein Teil der SPD-Fraktion zur Seite gesprungen ist? Die unangemeldete Unterstützer-Aktion von Räten auf dem Wochenmarkt hat einigen Staub aufgewirbelt.

Inwieweit mir das Stimmen gebracht hat, kann ich schwer einschätzen. Ebenso unklar ist, inwieweit es Timo Jung auf der anderen Seite geholfen hat, dass Unterstützer eine Anzeige für ihn geschaltet haben. Die einen spricht so etwas an, die anderen ärgert es vielleicht.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten vorstellen? Haben Sie sich mit den betreffenden Räten ausgetauscht und eine Strategie festgelegt? Oder lief das parallel und ohne Absprache?

Über den offenen Unterstützer-Brief für mich, der im Vorfeld des zweiten Wahlgangs an die Haushalte verteilt wurde, war ich informiert. Ansonsten gab es keinen Austausch zwischen mir und den Räten, was die Führung des Wahlkampfs anbelangt.

Haben Sie auch davon profitiert, dass die Wahlbeteiligung etwas höher war als beim ersten Durchgang?

Das könnte durchaus eine Rolle gespielt haben für den Wahlsieg am Ende. Zudem sind offensichtlich Stimmen von Tobias Möhle zu mir gewandert. Nicht zu vergessen sind auch die 126 Stimmen, die Andreas Freund vor zwei Wochen hatte und die nach seinem Rückzug quasi frei wurden. Ich denke, dass ich dieses Wählerpotenzial ebenfalls angesprochen habe.

Unterm Strich haben jedoch mehr als die Hälfte der Wähler einem anderen Bewerber das Vertrauen ausgesprochen. Was heißt das für Sie?

Ich muss noch aufarbeiten, woran das gelegen hat. Aber es ist richtig: Im Vergleich zur Wahl vor acht Jahren habe ich mehr als 13 Prozent verloren. Auffällig ist insbesondere mein Abschneiden in der Altstadt, wo Timo Jung bei den Bürgern vorne lag. Mich wundert das insofern, als wir gerade auch hier viel erreicht oder auf den Weg gebracht haben. So haben wir unter anderem mit der Sperrung der Niklastorstraße eine Verkehrsberuhigung durchgesetzt und die Sanierung der Fußgängerzone aufs Gleis gesetzt. Ich habe mich auch stark dafür eingesetzt, dass das Holdergassenfest weiter stattfinden kann.

Trotzdem scheint in der Altstadt eine gewisse Unzufriedenheit mit Ihrer Arbeit vorzuherrschen.

Genau deshalb werde ich versuchen, dort mit Meinungsführern ins Gespräch zu kommen, um ein Stimmungsbild zu erhalten, was ich verbessern könnte.

Gesprächsbedarf dürfte es auch mit den Grünen und der CDU-Fraktion geben, die offen Sympathien für Ihren Hauptkonkurrenten Timo Jung bekundet haben.

Es hat für mich höchste Priorität, mich mit den betreffenden Räten auszutauschen. Ziel muss sein, einen gemeinsamen Weg zu finden, mit dem wir Marbach weiter nach vorne bringen. Das dürfte im Interesse aller sein. Und ich bin auch zuversichtlich, dass wir uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle der Stadt verständigen können. Ganz nach dem Vorbild der vergangenen Jahre, als die meisten Entscheidungen im Gemeinderat einstimmig oder mit großen Mehrheiten getroffen wurden. Das ist auch wichtig, denn es stehen mit der Gartenschau, der Entwicklung des Gesundheitscampus oder der Sicherung der Ärzteversorgung in Rielingshausen große Aufgaben vor uns.

Ein strammes Programm. Kritiker könnten Ihnen vorhalten, dass dadurch wieder die Verwaltung überlastet wird.

Vieles ist gesetzt, vor allem im Hinblick auf die Gartenschau oder den Gesundheitscampus. Das ist einfach so. Aber wir setzen klare Prioritäten, um niemandem zu viel aufzubürden, und werden gut in die Mitarbeiter reinhören, welches Pensum zu leisten ist und welches nicht.

Sie selbst haben nun acht weitere Jahre Zeit, Vollgas zu geben. Nach Ihrer ersten Wahl hatten Sie sich schnell festgelegt, dass Sie wieder antreten würden. Können Sie auch dieses Mal, nach all den Dissonanzen im Wahlkampf, guten Gewissens sagen: Ich strebe auf jeden Fall eine dritte Amtszeit an?

Ich muss jetzt erst mal alles sacken lassen. Dann muss man sehen, was in acht Jahren ist.

Das Gespräch führte Christian Kempf

 

 

ANALYSE: JAN TROSTS AUFHOLJAGD IM GESAMTEN WAHLGEBIET

Von Andreas Hennings

Marbach - Die Frage, wo genau Jan Trost sein Wahlergebnis gegenüber dem von vor zwei Wochen deutlich steigern konnte, ist schnell beantwortet: Ihm gelang dies schlicht überall im Wahlgebiet. Über ganz Marbach verteilt verbesserte sich der Amtsinhaber um satte 581 Stimmen, von 2294 auf 2875.

Deutlich wird seine beeindruckende Aufholjagd anhand folgender Zahlen. Holte Jan Trost im ersten Wahlgang in der Kernstadt 34,6 Prozent der Stimmen, waren es im zweiten Durchgang 44,1 Prozent. In Rielingshausen steigerte er sich von 39,0 auf 50,0 Prozent und im Hörnle sogar von 49,2 auf 59,3 Prozent. Macht in jedem der drei Stadtteile ein Plus von rund zehn Prozent. Dass er sich im Gesamtergebnis dann „nur“ um 8,6 Prozent von 38,8 auf 47,4 Prozent steigerte, ist den Briefwählern geschuldet, bei denen er aber ebenfalls deutlich dazugewann: von 41,8 auf 48,4 Prozent.

Auffällig: Zumindest den Zahlen nach hat Jan Trost dabei seinem stärksten Mitbewerber Timo Jung keine Stimmen vom ersten Wahlgang abnehmen können. Denn auch der verbesserte sein Gesamtergebnis – von 2499 auf 2644 Stimmen, beziehungsweise von 42,3 auf 43,6 Prozent. Heißt in der Theorie: Jan Trost hat vor allem bisherige Wähler von Tobias Möhle und Andreas Freund für sich gewinnen können. Und zusätzlich den Großteil der 151 Neuwähler, die im ersten Wahlgang gar nicht an die Urne gegangen waren. Immerhin war die Wahlbeteiligung ja von 50,0 auf 51,2 Prozent gestiegen.Eine Besonderheit dieser Marbacher Bürgermeister-Wahl ist, dass es in jedem der 14 Wahlbezirke im zweiten Wahlgang einen klaren Sieger gegeben hat – mit mindestens fünf Prozent Vorsprung. War Jan Trost neben dem Hörnle (59,3 Prozent) vor allem in den Wahlbezirken Gemeindehalle Rielingshausen (56,8), in der Uhlandschule (53,7) und in beiden Wahlbezirken im Ahorn-Kindergarten (53,9 und 53,8) erfolgreich, so war Timo Jung dies an der Stadthalle (53,7 Prozent), an der Stadtbücherei (53,6) oder auch am Rathaus (52,6). Auf diese Weise holte Jan Trost acht, Timo Jung sechs Bezirke. In etwa gleichauf ging es zwischen den beiden Kandidaten einzig in den zusätzlichen vier Briefwahlbezirken zu. Die gewann zwar allesamt Jan Trost, das aber zumindest deutlich knapper mit einem Vorsprung von einem bis fünf Prozent.

Timo Jung gewann in den zwei Wochen zwar 145 weitere Wähler für sich, sein Ergebnis aus dem ersten Wahlgang konnte er allerdings nicht mehr nennenswert verbessern. In der Kernstadt schaffte er es noch immerhin von 43,1 auf 46,4 Prozent, ansonsten blieb er in Rielingshausen (34,8 auf 33,9), im Hörnle (30,0 auf 29,6) und auch bei den Briefwählern (45,1 auf 45,3) nahezu gleichauf.Dass beide Favoriten mehr Stimmen als im ersten Wahlgang holten, ist vor allem damit zu erklären, dass Bewerber Tobias Möhle doch einige seiner Wähler verlor. Was wenig überraschend ist, hatte er doch mit seinen 13,4 Prozent im ersten Wahlgang so gut wie keine Aussicht mehr darauf, Bürgermeister zu werden. Seine Befürworter wandten sich daher wohl Jan Trost und Timo Jung zu. So holte Tobias Möhle in der zweiten Runde 8,4 Prozent – ein Minus von 285 Stimmen gegenüber seinem vorherigen Ergebnis. Sowohl in der Kernstadt (15,5 auf 8,8 Prozent) als auch in seinem Heimatort Rielingshausen (22,6 auf 16,0) bekam er diese Einbußen besonders deutlich zu spüren.

Ebenfalls schlechter als im ersten Wahlgang schnitten die Bewerber Dennis Rickert und Ulrich Raisch ab. Rickert fiel von 72 auf 25 Stimmen zurück, Raisch von 15 auf 9. Neu-Einsteiger Ruben Hauptfleisch unterbot dies mit fünf Stimmen.

 

WIE BLICKEN TIMO JUNG UND TOBIAS MÖHLE AUF DIE WAHL ZURÜCK?

Von Christian Kempf

Marbach - Es hat nicht viel gefehlt und Timo Jung wäre am Sonntag zum neuen Marbacher Bürgermeister ausgerufen worden. Einen Rückstand von unter vier Prozent hatte der Stuttgarter am Ende auf Amtsinhaber Jan Trost, den er im ersten Urnengang sogar hinter sich gelassen hatte. So fällt dann trotz aller Enttäuschung über den verpassten Sieg sein Fazit positiv aus. Er sei stolz, in den schwierigen Pandemiezeiten, in denen kein klassischer Wahlkampf möglich war, fast gegen den amtierenden Rathauschef gewonnen zu haben. „Das ist ein Signal, dass von einem großen Teil der Bevölkerung ein neuer Stil gewünscht wird“, sagt Jung. Auch seine Inhalte seien bei den Marbachern auf viel Zustimmung gestoßen.

Warum sein Vorsprung aus der ersten Runde trotzdem weggeschmolzen ist und er von Jan Trost überholt wurde, darüber hätten er und sein Team sich lange den Kopf zerbrochen, sagt der 31-Jährige. Aber letztlich könne man darüber ohne richtige Untersuchung nur spekulieren. Jung denkt, dass im Hintergrund eine „größere Mund-zu-Mund-Beatmung“ stattgefunden hat, wie er es nennt. Sprich: Die Trost-Unterstützer haben mächtig mobil gemacht und ihre Positionen nach und nach weitergetragen. „Das dürfte schon etwas bewirkt haben“, mutmaßt Jung, der darin sogar den alles entscheidenden Punkt erahnt. „Am Schluss hat diese Mobilisierung Jan Trost einen Schub gegeben, gegen den nur schwer anzukommen war“, erklärt der Leiter der Stabsstelle Zentrale Dienste beim Städtetag Baden-Württemberg. Er habe überlegt, was er selbst hätte anderes machen können, aber letztlich alles gegeben im Wahlkampf.

Ob in jenem Wahlkampf manchmal mit zu harten Bandagen gekämpft wurde? Wichtig sei, dass man sich noch in die Augen sehen könne und auf den Ton achte, betont Jung. „Und ich denke, die Kandidaten haben vorgemacht, wie ein fairer Wahlkampf aussieht“, sagt er – ohne weiter ins Detail gehen zu wollen.

Der Rielingshäuser Tobias Möhle, der auf Rang drei landete, hat sich ebenfalls über den Stil beim Wahlkampf Gedanken gemacht – und konnte nichts Verwerfliches feststellen. „Es war ein fairer Wahlkampf. Dass Leute in der Politik ihre Interessen vertreten und Strategien fahren, gehört dazu“, findet Möhle, der sein Abrutschen im zweiten Durchgang von 13,43 auf 8,39 Prozent damit erklärt, dass einige Wähler in der entscheidenden Runde dem Bewerber die Stimmen gegeben haben, dem sie den Gesamtsieg zugetraut haben. Darauf sei er vorbereitet gewesen und daher nicht enttäuscht. Vielmehr ist Möhle nun angespornt, sich lokal einzubringen, zum Beispiel beim Mitmachgarten oder bei anderen Aktionen. Eine Bewerbung bei den Kommunalwahlen in drei Jahren kann er sich ebenfalls vorstellen. Und wie Timo Jung will er für die Zukunft auch nicht ausschließen, erneut ins Rennen um einen Bürgermeisterposten einzusteigen.