Die Firma deer hat im Februar in Weil der Stadt bereits ein Carsharing-Angebot eingerichtet. Foto: (factum/Jürgen Bach)

Die Gemeinde Murr steigt in das E-Carsharing-Netz der Calwer Firma deer ein. Sie kauft eine Ladesäule, und ein E-Mobil wird in der Kommune zur Verfügung sein.

Murr - Murr liegt verkehrsgünstig – das ist Fluch und Segen zugleich. Schnell ist man auf der Autobahn 81 – von dort drängt aber auch viel Verkehr in die 6700-Einwohner-Gemeinde. Kein Wunder, dass die Kommune ihren Einwohnern helfen will, ohne eigenes Auto auszukommen. Der Gemeinderat beschloss deshalb am Dienstag den Einstieg ins E-Carsharing.

Murr geht damit einen neuen Weg im nördlichen Landkreis Ludwigsburg. Das Carsharing ist dort bisher nur in größeren Städten mit S-Bahn-Anschluss und dem Anbieter Stadtmobil verbreitet. In Murr wird jedoch der Elektro-Carsharing-Anbieter deer Fuß fassen. Die GmbH hat sich aus einem Angebot der Calwer Stadtwerke entwickelt – und setzt ausschließlich auf den Elektroantrieb.

Bisher sind 80 Kommunen mit insgesamt 250 Fahrzeugen am Netz von deer angeschlossen. „Gerade der ländliche Raum ist für uns interessant“, erklärte Kristina Seifert, Teamleiterin des Unternehmens, im Murrer Gemeinderat. Die etwa 2000 Kunden wohnten in Orten wie Enzklösterle oder in relativ kleinen Städten wie Weil der Stadt. Zu den Kunden zähle auch Schwieberdingen im Kreis Ludwigsburg. Das Netz reiche von Baden-Baden bis Göppingen. Die Kunden kämen bei einer Reichweite von 350 Kilometern und einem Ladevorgang bei etwa 200  Ladepunkten in Baden-Württemberg überall hin. „Auch Einweg-Fahrten sind möglich, etwa zum Flughafen und dann auch wieder nach der Reise zurück“, berichtet Seifert.

Wichtig für das Geschäftsmodell von deer ist die konkrete Zusammenarbeit mit den Kommunen. Denn nur eine Ladesäule an einer zentralen Stelle im Ort garantiert den Einsatz des E-Fahrzeugs. Deer arbeitet dabei aber nicht mit festen Abhol- und Rückgabestandorten – jedoch sorgt die Firma dafür, dass binnen 24 Stunden wieder ein Fahrzeug in Murr zur Verfügung stehe, wenn das dort stationierte unterwegs sei. Werde der erste E-Leihwagen gut angenommen, könne das Angebot ausgebaut werden, stellte Seifert in Aussicht.

Tatsächlich betritt deer mit dem Vorstoß in kleinere Kommunen Neuland. Nicht immer ist dort das ÖPNV-Angebot für mögliche Nutzer ausreichend. So konzentriert sich der Mitbewerber Stadtmobil bewusst auf Städte mit S-Bahn-Anschluss und der Möglichkeit, während einer Reise umzusteigen. Dieses Konzept habe sich bewährt, berichtet Matthias Hartlieb, Pressereferent von Stadtmobil Stuttgart. Die Nachfrage nach den 520 Wagen sei vor der Corona-Pandemie stetig gestiegen. Allerdings forciere Stadtmobil nicht die Umrüstung der Flotte auf E-Antrieb. „Wir haben nur vier vollelektrische Fahrzeuge“, sagt Hartlieb. „Unsere Kunden sind Wenigfahrer – sie wollen eine einfache Nutzung und sich wenig Gedanken über Aufladevorgänge machen.“ Das zeigten die Zahlen: E-Fahrzeuge seien um etwa ein Drittel weniger ausgelastet.

Stadtmobil hege zudem Bedenken, ob die E-Mobilität nur eine Übergangsform darstelle und in absehbarer Zeit durch die Brennstoffzelle abgelöst werde, erklärt der Stadtmobil-Sprecher Hartlieb. Aktuell problematischer sei aber, überhaupt Standplätze für neue Fahrzeuge zu finden. „Ladesäulen erschweren die Suche.“

Bei der für Murr jetzt vorgesehenen Ladesäule der Firma deer kann sich der Bürgermeister Torsten Bartzsch die Hände reiben. Denn der Preis von 12 000 Euro wird durch eine 40-prozentige Förderung des Landes deutlich gesenkt. Die Gemeinde zahlt außerdem lediglich eine Wartungspauschale von 113 Euro pro Monat – und das mindestens über den gesamten Förderzeitraum von sechs Jahren.

Über den genauen Ort der Säule fiel in der Murrer Ratssitzung am Dienstag noch keine endgültige Entscheidung. Im Gespräch sind der Dorfplatz, die Seitenparkplätze in der Mühlgasse und ein Platz in der Nähe des Kleeblatt-Pflegeheims an der Beethovenstraße oder der Heerstraße.

Ansonsten war der Tenor im Murrer Gemeinderat eindeutig positiv, auch wegen des Beitrags zur Klimawende. Nur der Feuerwehrkommandant Marcus Leibbrandt von den Freien Wählern stimmte dagegen. Er hätte gerne Angebote von anderen Anbietern verglichen. Das habe er zuvor getan, versicherte Torsten Bartzsch.

Starten will man im Frühjahr 2021 – so lange dauern laut Bartzsch Förderantrag und Installation.

Wie funktioniert das E-Carsharing in Murr?

Abwicklung: Die Ladesäule von deer hat zwei Ladepunkte: Einer ist für die Kunden reserviert, der andere für Nutzer eigener E-Mobile. Kunden brauchen eine App. Dort registrieren sie sich mit ihren notwendigen Daten, dann können sie das Fahrzeug für einzelne Stunden oder Tage buchen.

Kosten: Ein Kunde bezahlt für jede Stunde 5,90 Euro. Der Tagestarif beträgt 34,90 Euro. Außerdem fällt eine Grundgebühr an: Jeder Nutzer zahlt 29,90 Euro im Jahr. Es gibt keine Kilometerbegrenzung, also auch keine Kosten pro  gefahrenem Kilometer. Die Stromkosten sind bereits in die Preise eingerechnet.
Unternehmen Die deer GmbH ist Anfang 2019 als Tochter der Energie Calw (ENCW) gegründet worden.  Sie will das Grundbedürfnis nach flexibler Mobilität auch in Gegenden  bedienen, in denen der ÖPNV weniger stark ausgebaut ist. Infos zum Leistungsspektrum  unter www.deer-mobility.de.