Wer sein Rad und die Verkehrsregeln beherrscht, hat gut lachen. Foto:  

In der vierten Klasse durchlaufen Kinder eine Fahrradausbildung bei der Polizei. Bei bestandener Prüfung dürfen sie offiziell ohne Begleitung mit ihrem Rad am Straßenverkehr teilnehmen.

Marbach - Was genau passiert gerade um mich herum? Ist dem Autofahrer klar, dass ich gleich anhalte, abbiege, langsamer werde? Welche Fehler könnten dem Lastwagenfahrer hinter mir gleich passieren und welche Gefahr besteht dadurch für mich? Diese und ähnliche Fragen sollen die Viertklässler der Marbacher Grundschule immer im Kopf haben, wenn sie mit ihren Rädern im Straßenverkehr unterwegs sind. Das legt ihnen Polizistin Stephanie Burkhardt mit Nachdruck ans Herz. Denn davon hängen im Zweifelsfall ihre Gesundheit oder gar ihr Leben ab – Radfahren auf der Straße ist toll, aber nicht ungefährlich. Und bald schon werden die Kinder sich dieser Gefahr stellen. Denn derzeit durchlaufen sie die Fahrradausbildung der Polizei, und sobald die Prüfung bestanden ist, dürfen die Jungen und Mädchen offiziell ohne Begleitung mit ihrem Rad am Verkehr teilnehmen – und zwar auf der Straße, nicht mehr auf dem Gehweg.

Schon vor einigen Wochen haben die Schüler der 4b an der Marbacher Grundschule ihre Radfahrausbildung begonnen. Mit Theorie. Die hat ihnen ihr Klassenlehrer Elias Hermann im Unterricht nahe gebracht. Und an diesem eisigen Vormittag im Schulhof können viele der Mädchen und Jungen ihr theoretisches Wissen mühelos abrufen. Polizistin Stephanie Burkhardt stellt dabei knifflige Fragen. Wie viel Abstand halten wir vom Bordstein? Wie zeigen wir dem Autofahrer hinter uns, dass wir anhalten wollen? Was müssen wir beachten, wenn wir ein Hindernis wie zum Beispiel einen stehenden Lastwagen umfahren? Warum kann es gefährlich sein, an einem parkenden Auto vorbei zu radeln? Eifrig strecken viele Mädchen und Jungen. Sie sind sehr gut vorbereitet.

Dass das Anwenden dieses Wissens letztlich eine ganz andere Dimension hat, sogar auf dem autofreien Übungsplatz, wird den Kindern dabei schnell klar. Bevor es überhaupt losgeht, prüft Stephanie Burkhardt die Bremsen und Helme der Kinder. Jeder Bremshebel wird gezogen und jeder Kinderhelm bekommt einen kleinen Stüber nach oben – wenn er rutscht, sitzt er nicht richtig. „Stellt den Helm bitte mit euren Eltern richtig ein.“ Und ein Kichern aus der Kinderschar quittiert sie: „Das ist nicht witzig, das ist traurig, denn so bringt euch der Helm gar nichts.“ Die 43-jährige Affalterbacherin weiß genau, von was sie spricht. Bevor sie vor zehn Jahren zur Prävention gewechselt war, fuhr sie Streife und hat dabei viele Unfälle mit Radfahrern aufnehmen müssen, auch mit Kindern und auch mit Toten: „Ich habe schlimme Sachen gesehen.“

Um so wichtiger ist der zweifachen Mutter, dass die Viertklässler gut vorbereitet sind auf die Gefahren des Straßenverkehrs. Mit fünf Teams ist sie im Landkreis Ludwigsburg unterwegs und bereitet die Kinder aus rund 250 Klassen auf die Radprüfung vor. „Der Verkehr hat im Laufe der Jahrzehnte zugenommen“, sagt die Polizistin. Er ist sogar so komplex und gefährlich geworden, dass eine Schulung im Realverkehr gar nicht mehr möglich ist, denn auch weniger befahrene Straßen sind in vielen Städten und Gemeinden so stark zugeparkt, dass das Training zu gefährlich wäre, berichtet die Polizistin. So ist es auch in Marbach, und deshalb drehen die Kinder an diesem Vormittag auf dem Schulhof ihre Runden. Weiße Striche simulieren Straßen, aber eigentlich ist der Übungsplatz zu klein und die Fahrbahnen sind zu eng. „Wo fahrt ihr denn – mitten auf der Fahrbahn“, ruft Burkhardt, breitet die Arme weit aus und geht den radelnden Kindern entgegen, „hier kommt ein Lastwagen“. Jetzt wird es knifflig: Am imaginären Fahrbahnrand steht ein weiterer Lastwagen – symbolisiert durch eine orangefarbene Tonne. Abbremsen, Blick zurück über die linke Schulter, linke Hand raus, dabei Gleichgewicht halten, vorbeifahren mit genügend Abstand, rechte Hand raus, Gleichgewicht halten, wieder einscheren, geschafft. Und zur Steigerung des Schwierigkeitsgrades darf nun ein Kind gegen den Strom radeln und den Gegenverkehr mimen.

Spätestens jetzt gelingt die Übung nicht mehr allen. Aber die Mädchen und Buben haben insgesamt drei Trainings, bis sie zur Prüfung antreten. Und oft kann Stephanie Burkhardt schon bei der zweiten Übungsstunde eine deutliche Verbesserung sehen. Wer die wertvolle Trainingszeit mit Quasseln oder Quatsch vertut, muss auch schon mal ein paar Runden am Rand stehen und zuschauen. Noch schwieriger ist es, wenn Kinder das Radfahren erst gar nicht beherrschen. Und das, so die Polizistin, geschieht immer häufiger, besonders in Städten. „Solche Kinder dürfen nicht mitmachen“, sagt sie. Denn es sei nicht möglich und vorgesehen, diesen Kindern das Radfahren beizubringen – das muss zuhause geschehen.

Doch auch wenn die Mädchen und Buben gut radeln können, auch einhändig, ist die Wissensvermittlung nicht immer leicht, denn das Lernverhalten und die Lernfähigkeit der Kinder hat sich im Laufe der Zeit verändert. Stephanie Burkhardt: „Die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder hat sich verkürzt“. Durch den Konsum verschiedenster Medien seien die Kinder einer Reizüberflutung ausgesetzt. Der Unterricht müsse deshalb interessant gestaltet werden, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen.

Dabei ist für viele der Zugang zu hochwertiger Ausrüstung einfacher als früher. Die Fachfrau bemängelt aber, dass viele Kinder zu große Fahrräder hätten, „weil sich die Eltern eine Zwischengröße sparen wollen“. „Bis die Kinder in die Fahrräder hineingewachsen sind, sind sie sehr unsicher unterwegs“, berichtet Stephanie Burkhardt.

Für dieses Mal haben die Kinder der 4b genug gelernt. Sie können ganz zufrieden sein. Der eine oder andere wird am Wochenende mit den Eltern üben. Dann steht der Prüfung und dem Abenteuer Straßenverkehr nichts mehr im Weg.