Für die Kunden ist es sehr schmerzhaft, dass Susanne Binninger aufhört. Der Besuch bei Susanne Binninger . . . Foto: Werner Kuhnle

Susanne Binninger hat sich ihren Lebenstraum erfüllt und vor mehr als 38 Jahren einen Friseursalon in Affalterbach eröffnet. Jetzt verabschiedet sich die Friseurmeisterin von ihren Kunden.

Affalterbach - Ein paar Stufen abwärts und die Tür zum Reich von Friseurmeisterin Susanne Binninger öffnet sich. Das Reiheneckhaus in der Affalterbacher Goethestraße, wo vormals im Keller eine Sauna zum Schwitzen einlud, ist für die gebürtige Besigheimerin der Ort, der sie zu einer Institution in der Apfelbachgemeinde werden ließ. Doch am Samstag ist Schluss: Wenn die letzte Kundin den Salon verlassen hat, legt Susanne Binninger die Schere für immer zur Seite.

Auch wenn es ihr extrem schwerfällt. Im Juli wird die Friseurin 69 Jahre. Ein Alter, in dem sich viele andere schon längst von ihrer beruflichen Ausübung verabschiedet haben. Ehemann Gunter freut sich deshalb sehr, dass seine Frau den Schritt endlich wagt. Auch wenn es für Kunden wie Ute Rauleder und Gudrun Schweizer sehr schmerzhaft ist. Denn beide Frauen kommen schon seit mehr als 30 Jahren zu der Friseurin und es hat sich längst eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt.

Nun aber müssen sie sich einen anderen Salon suchen. „Wir hoffen auf eine Empfehlung von Susanne“, sagt Ute Rauleder, die es scheinbar immer noch nicht so recht fassen kann, dass sie zum letzten Mal auf dem Friseurstuhl Binningers sitzt. Wie bei Gudrun Schweizer auch, lässt sich inzwischen die ganze Familie die Haare in dem kleinen Salon machen, bis hin zu den Enkeln. „Und die binden mich teilweise in ihr Leben ein und schicken süße Fotos“, strahlt Binninger.

Zwei Plätze finden sich in dem Salon, auf denen die durchweg langjährigen Kunden Platz nehmen, die sich und ihren Kopf den Geschicken Binningers anvertrauen. „Laufkundschaft habe ich keine“, konstatiert dies, die sich und ihre treue Kundschaft „als eine einzige große Familie“ bezeichnet. Doch es ist nicht allein die Vertrauensbasis, sich „bei ihr in guten Händen zu wissen“, die die langjährige Treue definiert. „Der Besuch bei Susanne geht weit über das Haare machen hinaus“, erklärt Ute Rauleder, die erzählt, dass der Funke gleich übergesprungen sei. „Sie hat immer versucht, alles möglich zu machen, was ich als Wunsch mitgebracht habe.“

Das Entscheidende aber ist, dass man bei Susanne Binninger „stets auch guten Zuspruch bekommt“. Soll heißen, die Frau war Haarfachfrau, Kummerkasten und psychologisch feinfühlige Ansprechpartnerin zugleich. „Sie hat eine große soziale Ader und ist da, wenn Hilfe gebraucht wird.“ Das hat auch Gudrun Schweizer erfahren: „Meinen Mann hat sie quasi bis zum Sterben begleitet“, sagt sie dankbar dafür, dass Binninger bis wenige Wochen vor seinem Tod regelmäßig zum Haareschneiden ins Haus kam. Schicksale, die nicht immer leicht zu nehmen waren: „Ich habe viele Chemo-Kundinnen begleitet. Manche bis zum Tod. Das zieht einen auch tüchtig runter“, sagt die Friseurin, die am 20. Juni offiziell im Gemeindehaus Adieu sagen wollte. Das Corona-Virus hat die Absicht vereitelt.

„All diese Menschen haben mein soziales Umfeld bereichert“, blickt Binninger auf die zahlreichen Sozialkontakte zurück, die zudem ihre Menschenkenntnis entwickelt hätten. „Und auch ich konnte an mancher Stelle meine Kümmernisse einfach mal rauslassen. Es gab Frauen, die mir viel Kraft gegeben haben“, erinnert sich die Mutter zweier Töchter, die auch die raue Seite des Lebens kennengelernt hat. Die erste Ehe ging auseinander und Binninger musste nicht nur im Salon ihre Frau stehen, sondern freilich auch die Kinder erziehen.

1987 zog auch privat das Glück wieder ein. Ihr Mann Gunter hatte sich bei einem Tanzkurs in ihr Herz getanzt. Er ist es, der sich nun auf die viele Freizeit mit seiner Frau freut: „Wir wandern gemeinsam sehr gerne“, sagt der passionierte Segelflieger. Die Corona-Pandemie hat den Entschluss aufzuhören erleichtert. Durch die Zwangspause bekam die Haarexpertin einen Vorgeschmack darauf, was es heißt, Zeit für sich und das Privatleben zu haben. Und ein Vorfall, der ihr ein wenig die Röte ins Gesicht treibt, war daran vermutlich auch beteiligt: „Vor drei Wochen hat meine Schere neben den Haaren, zum ersten Mal auch das Ohr einer Kundin erwischt. „Jetzt ist wirklich Zeit aufzuhören“, dachte ich bei mir.

Drei Lehrlinge hat Binninger in den Anfangsjahren ausgebildet. Das war in der Zeit zwischen 1982 und 1990, als sie ihren allerersten Salon in der Erdmannhäuser Straße hatte. Und bei diesem Stichwort erfüllt sie erneut tiefe Dankbarkeit: „Die Familie Paiani hat mir damals die Möglichkeit gegeben, mich als Nicht-Affalterbacherin selbstständig zu machen.“ In deren Wohnhaus unten hat sie den Salon eingerichtet. Erfolgreich, wie sie heute nach fast 39 Jahren weiß. Dass dies in der Gemeinde nicht immer einfach sei, hatte ihr eine Kundin unmissverständlich klar gemacht: „Ich wünsche Ihnen alles Gute, aber Sie werden es nicht schaffen – Sie sind keine Einheimische!“ Doch Susanne Binninger blickt heute glücklich auf zahlreiche Wegmarken als selbstständige Friseurmeisterin zurück, die auch das Herz ihrer Kunden gewonnen hat: „82 Braut-Schleier habe ich über die Jahre gesteckt“, verkündet sie stolz und gleichzeitig wehmütig darüber, dass nun alles der Vergangenheit angehören soll.