Siegfried Aniol (links) und Günter Heimbach durchforsten das Gelände. Foto: Michael Raubold Photographie

Biologen siedeln die Reptilien um, damit Großbottwar eine Stadthalle bauen kann. Eine Aufgabe, die durchaus ihre Tücken hat.

Großbottwar - Günter Heimbach hat weder eine Karriere als Fußballprofi hingelegt noch verdient er seine Brötchen als Autoverkäufer. Wenn seine Frau ihn nach dem Feierabend immer mit der Frage „wie viele?“ begrüßt, möchte sie also nicht wissen, ob er häufig ins Tor getroffen oder welche Menge an Fahrzeugen er an den Mann gebracht hat. Stattdessen geht es Frau Heimbach um etwas anderes: Sie erkundigt sich, ob ihr Gatte beim Fangen von Zauneidechsen ein gutes Händchen hatte. Genau das gehört nämlich aktuell zu seinem Job. Zusammen mit Siegfried Aniol versucht Günter Heimbach, die geschützten Reptilien auf dem Stadthallen-Areal in Großbottwar aufzuspüren, dingfest zu machen und umzusiedeln. So machen die beiden Biologen den Weg dafür frei, dass auf dem Gelände gebaut werden kann.

Der Auftrag ist durchaus knifflig und gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Zumindest könnte das auf Laien so wirken. Denn das Feld, das Aniol und Heimbach beackern, hat ungefähr die Ausmaße eines Fußballplatzes. Und die Zauneidechsen, denen sie auf den Fersen sind, messen maximal 20 Zentimeter. Einigermaßen scheu sind die Tiere obendrein. „Auf vier bis fünf Meter kann man sich ihnen schon nähern“, sagt zwar Günter Heimbach. „Ab zwei bis drei Metern flüchten sie aber auf jeden Fall“, ergänzt Siegfried Aniol.

Dazu gesellt sich der Umstand, dass die Echsen ihr Tempo den Temperaturen anpassen. „Je wärmer es wird, umso schneller sind sie“, erklärt Heimbach. Und das ist ein Dilemma. Denn die Tiere kriechen ausgerechnet dann aus ihren Verstecken, wenn das Thermometer auf angenehme Grade klettert. Es scheint folglich ein schier aussichtsloses Unterfangen, die 25 bis 30 Eidechsen einzusammeln, die sich nach Vorab-Berechnungen der Biologen auf dem Areal tummeln müssten. Doch das Team von der Planungsgruppe Ökologie und Information aus Unterensingen im Landkreis Reutlingen hat natürlich seine Tricks.

Die Mitarbeiter machen nicht an jedem x-beliebigen Tag Jagd auf die Reptilien. Stattdessen studieren sie zunächst den Wetterdienst. Wenn es warm werden soll, schwärmen sie morgens oder abends aus – weil die Sonne dann zwar scheint, aber nicht mit voller Kraft. Entgegen kommt ihnen zudem, dass das Areal mit einer Folie umrandet ist. Die Tiere können sich folglich nur innerhalb des abgesteckten Geländes Rückzugsorte suchen. Überdies ist damit garantiert, dass die Biologen am Ende alle Zauneidechsen erwischen. Andererseits ist auch ausgeschlossen, dass sich weitere Tiere aufs Baufeld verirren können.

Doch all das würde nichts bringen, wenn Siegfried Aniol und Günter Heimbach nicht das entsprechende Equipment zur Hand hätten. Am wichtigsten sind die Bambusstäbe mit Schlinge. „Andere Kollegen arbeiten mit langen Angelrouten. Da kriegt man aber Vibrationen rein“, sagt Siegfried Aniol. Und Schwingungen sind das Letzte, was er gebrauchen kann. Schließlich muss er die kleine Schlinge über den Kopf der Echsen halten und dann im richtigen Moment den Stab kurz nach oben reißen. „Die Schlinge zieht sich zu und ergreift das Tier sofort“, erklärt der Experte. Die Reptilien werden umgehend in ein Säckchen gepackt. Später wandern sie in ein kleines Terrarium. Noch am selben Tag dürfen sie aber ihr neues Zuhause besiedeln, das zwischen dem Holzweilerhof und Winzerhausen liegt. Einen Kescher haben die Fachleute ebenfalls dabei. Der kommt aber im Prinzip nur zum Einsatz, wenn ein Tier in die Enge getrieben werden soll.

So ausgestattet, schreiten Aniol und Heimbach durch die Wiesenfläche im Winzerhäuser Tal. Sie inspizieren vor allem die Böschungen, die voll von Schlupflöchern und Verstecken sind. Günter Heimbach kauert vor einem Busch aus Brennnesseln. Mit den Augen sucht er den Boden ab. Nichts. Derweil tastet sich Siegfried Aniol durch eine Senke auf dem Areal. Er schaut hier, schaut da. Aber auch er hat keinen Erfolg. Alles deutet darauf hin, dass ihre Mission langsam zu Ende ist. Wenn sie zweimal in Folge kein Tier sichten, gilt das Feld als Eidechsen-frei und die Bagger können anrücken. Genau das ist seit Anfang dieser Woche auch offiziell. Denn da waren die Biologen nochmals vor Ort, ohne ein Reptil schnappen zu können. Wie viele Tiere letztlich eingefangen wurden, möchte Siegfried Aniol derzeit noch nicht sagen. Es bewege sich aber in der Größenordnung, die man vermutet habe – also wohl um etwa zwei Dutzend Tiere.

Es gibt Menschen, die nicht nachvollziehen können, dass ein solcher Aufwand für den Artenschutz betrieben wird. Auch in Großbottwar. „Wir erleben hier alle Reaktionen“, sagt Siegfried Aniol. Und ja, man habe auch schon kritische Kommentare von Passanten aufgeschnappt. „Unterm Strich ist die Resonanz aber positiv“, betont der Biologe. Er weist zudem darauf hin, dass artenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten seien. Siedele man die Echsen nicht um, würden alle früher oder später auf der Baustelle sterben. Vielleicht ist das der Wandergruppe bewusst, die gerade vorbeispaziert. „Sind Sie erfolgreich bei der Suche?“, ruft jedenfalls jemand aufmunternd. Dann wünschen die Damen und Herren noch viel Glück und ziehen weiter. Auch Siegfried Aniol und Günter Heimbach brechen langsam ihre Zelte ab. Es ist inzwischen zu heiß geworden. Gut für die Echsen, schlecht für ihre Häscher.