Leonard Cohen ist tot. In der Bildergalerie blicken wir auf sein Leben und Wirken. Foto: AP

Vor wenigen Wochen hat Leonard Cohen sein letztes Album veröffentlicht, nun klingt das propethische „You want it darker“ wie ein Requiem in eigener Sache: Der große kanadische Songpoet ist mit 82 Jahren in Los Angeles gestorben.

Stuttgart - Große Dichtkunst findet auch für das Unsagbare Worte. „If you are the Dealer, I’m out of the Game / If you are the Healer, it means I’m broken and lame / If thine ist the Glory then mine must be the Shame“ singt Leonard Cohenin den ersten Versen seines letzten Albums. Adressiert mögen sie auch an sein vielköpfiges Publikum sein, doch im tiefsten Herzen muten sie an wie eine Zwiesprache: eines Menschen mit einer Macht, die größer und am Ende auch stärker ist, der man seine eigene Unvollkommenheit gestehen kann und in deren Hände man letztlich sein ungewisses Schicksal legen muss.

Im Nachgang mag man die Sätze als Prophetie bezeichnen, als zu Musik geronnenem letztem Heroldsruf eines Mannes, der wusste, dass der Moment naht. Veröffentlicht hat Leonard Cohen diese Zeilen vor wenigen Wochen, in seinem Lied „You want it darker“, das auch dem dazugehörigen, wunderbaren Album seinen Titel gegeben hat, das nun zu einem Epilog geworden ist. Der große kanadische Poet und Musiker bekennt darin, dass er ausgelaugt und erschöpft vom Erdendasein ist; er schlägt dort in die gleiche Kerbe wie schon in seinem letzten großen Interview, das er dem amerikanischen Magazin „New Yorker“ im Sommer gegeben hat. Für ihn habe sich der Kreis der noch unerledigten Dinge geschlossen, nun sei er bereit, sagte er.

Frauen waren mehr als nett zu ihm

Umgekehrt hat er diesen Moment aber auch auch von sich weisen wollen. Er gedenke 120 Jahre alt zu werden, scherzte Leonard Cohen anlässlich der Albumveröffentlichung. Der Schalk trieb ihn noch immer, seine zwei vorangegangenen, in zügiger Abfolge veröffentlichten Alben nannte er ironiedurchtränkt „Old Ideas“ und „Popular Problems“ – und der Schalk führte vielleicht auch das Zepter, als er sein letztes Werk eben „You want it darker“ betitelte.

Ein Fürst der Finsternis aber war Cohen mitnichten, ein großer Melancholiker sehr wohl. Wer in seinem vor zehn Jahren erschienenen letzten Prosaband „Buch der Sehnsüchte“ blättert, liest viel von einem Liebenden, einem Sehnenden, einem Lebensbejahenden – und von einem mit der Gabe der Selbstironie gesegneten Mann. „Wegen ein paar Liedern, in denen ich von ihrem Geheimnis sprach, waren Frauen immer außerordentlich nett zu mir“, schreibt der Songpoet mit großer Beiläufigkeit in einem Gedicht. Und so wird das auch gewesen sein. Man höre nach bei seinem Lied über die Tänzerin Suzanne Verdal, das 1966 seinen Weg auf das Debütalbum „Songs of Leonard Cohen“ fand. Man höre weiter bei „So long, Marianne“, der Hommage an seine langjährige Muse Marianna Jensen, die er nur um wenige Monate überlebt hat. Und man ende bei „Treaty“ vom aktuellen Album, einem letzten weihevollen Gruß an eine unbekannte Schöne.

Gleichwohl war eine tiefe Spiritualität das Leitmotiv des Spätberufenen, der erst nach einer längst erfolgreich eingeschlagenen Karriere als Literat mit Mitte dreißig zur Musik kam. „Hallelujah“ kündet davon, wiewohl dieser Song, Cohens zweiter größter Welterfolg, erschienen 1984, auch von der religiösen Ambivalenz des zeitlebens Suchenden kündet. Die christlichen Reminiszenzen in diesem Stück verschwanden in späteren Interpretationen, Cohen selbst fand erst durch viele meditative Jahre im Zen-Kloster zu einer Stärke, die ihm half, nicht nur Depressionen, sondern auch die Angst vor der Bühne zu überwinden. „Spiritual Things, baruch hashem, have fallen into Place, for which I am deeply grateful“, sprach er im erwähnten letzten großen Interview: Gott sei Dank – er benutzt für die Formel die hebräischen Worte – habe er zumindest in spirituellen Dingen mit sich ins Reine kommen können.

Gepeinigt haben ihn die Zipperlein, zermürbt die finanziellen Sorgen, die ihm seine frühere Managerin bescherte, die das Vermögen des Weltstars veruntreut und ihn zu den späten Tourneen genötigt hat. Gebrochen hat ihn das jedoch nicht. Der Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie, geboren 1934 im kanadischen Montreal, starb angekommen bei den Seinen, wie die Plattenfirma mitteilte, 82-jährig im Kreis seiner Familie im kalifornischen Los Angeles. Die Stadt der Engel war, nach den künstlerisch prägenden Jahren in New York und auf der griechischen Insel Hydra, seine letzte Wahlheimat.

Auf dem Pfad der Einsamkeit

Traurig wiederholt sich Geschichte: Wieschon David Bowie zu Beginn des Jahres ist auch Cohen nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seines letzten Albums gestorben. Zusammen mit Prince sind 2016 drei große Musiker unserer Zeit gegangen, ein annus horribilis für die Popwelt.

Was bleibt, ist das ungeheure Vermächtnis, das Leonard Cohen hinterlässt. Lyrikbände von Rang – ihnen entsprang der Text zu „Suzanne“ – nebst unzählige Preisen und Weihen haben Cohens literarisches Schaffen nobilitiert. 14 Studioalben spiegeln die andere künstlerische Seite, mit einem grundlegenden Erfolg 1967 beginnend, mit einem gefeierten Comeback nach seiner neunjährigen Auszeit im Kloster fortgesetzt – „Ten new Songs“ von 2001 – und schließlich in den vergangenen sechs Jahren mit einer Trilogie zu Ende geführt. Ein kleiner Auszug jener Musiker und Bands, die Cohens Songs interpretiert haben, sagt alles. Von Joe Cocker über R.E.M. und Johnny Cash bis zu John Cale und Bon Jovi reicht die Liste, insgesamt sind mehr als zweitausend Coverversionen dokumentiert, die Sisters of Mercy haben gar ihren Bandnamen einem seiner Lieder entlehnt.

„Auf dem Pfad der Einsamkeit kam ich zum Platz des Liedes / Dort blieb ich mein halbes Leben / Nun lasse ich meine Gitarre zurück / und trotte wieder hinaus auf den Pfad der Einsamkeit“, schreibt Leonard Cohen in seinem Gedicht „On the Path“. Der Songpoet wird uns fehlen – zusammen mit der Stimme des Melancholikers, diesem sanften und behaglichen Bass, der jetzt für immer verstummt ist.